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Saarbrückens
WIEDERAUFERSTEHUNG
Wenn irgend jemand, so kann der Bergmann
an der Saar mit vollem Recht einen Ehrenplatz
lm Riesenwerk des Wiederaufbaues beanspruchen,
denn auf seiner Arbeit beruht die Wiederankur
belung des Wirtschaftslebens. Die Energie-Erzeu
gung, wie Eisen- und Metallwirtschaft, die
Erzeugung des verschiedensten Rohmaterials, die
weiterverarbeitende Industrie sowohl der Maschi
nen- wie auch der Werkzeugfabrikation, das
ganze Transportwesen endlich, sie alle hängen
von der Kohlenproduktion ab. Es ist also die
Grube, von der alle Möglichkeiten, die man ver
wirklichen möchte, bedingt sind. Deshalb kann
der Bergmann mit Fug und Recht beanspruchen,
genau unterrichtet zu werden über die Grund
sätze der Leute, die berufen wurden, die Städte
des Saargebiets und damit sein Heim wiederauf
zubauen. Ja, man kann wohl sagen, daß er sogar
die Pflicht hat, sich über das Werk zu vergewis
sern, das unter Ausnutzung der durch den Krieg
verursachten Katastrophe ohnegleichen erstehen
soll, um für uns bessere und menschlichere
Lebensbedingungen zu schaffen. War doch diese
Katastrophe das blutige, furchtbare Wahrzeichen
dafür, daß die Vergangenheit nunmehr abgetan
Ist und daß unsere Welt heute an der Wende
einer neuen Zeit steht.
So sind also unser bisheriges Brauchtum,
unsere früheren Einrichtungen, ja sogar das Maß
unserer bisherigen Bedürfnisse überholt. Wir
müssen all dem entschlossen den Rücken kehren
und an eine neue Welt denken, kurzum, un
seren Blick einer fortschrittlichen Zukunft zu
wenden.
Gewiß werden viele dagegen einwenden, daß
unter den heutigen Umständen jemand, der
sicher gehen will, die Tradition nicht vernach
lässigen darf. Angesichts einer ungewissen Zu
kunft erscheinen in der Tat die Regeln, die bisher
das Schaffen der Werktätigen bestimmt haben,
wie eine Versicherung gegen das große Unbe
kannte. Wir müssen an der Tradition festhalten,
aber dies in einem tieferen Sinne: daß wir näm
lich das Werk unserer Zeit kühn mit den uns
heute zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln,
Materialien und Methoden anpacken müssen
und nicht bloß in jenem oberflächlichen Sinne,
der sich fälschlich Tradition nennt und nichts
anderes ist, als das Festhalten an der Form um
ihrer selbst willen. Es war keineswegs alles voll
kommen in jener „guten alten Zeit“, die heute,
ach, schon so ferne liegt! Unsere Städte, unsere
Wohnungen, unsere Fabriken trugen eine drük-
kende Hypothek: Unordnung, ungesunde Verhält
nisse und nicht zuletzt eine Häßlichkeit, die
ihnen das dem Zufall überlassene Wachstum je
nach den sich gerade stellenden Bedürfnissen
und die infolgedessen ohne Folgerichtigkeit, ohne
Methode und ohne vorherige Planung ergrif
fenen Maßnahmen aufprägten. Wieviele Gebäude
hätten nicht müssen abgerissen werden, deren
kleine und finstere Höfe und enge Lichtschächte
den Wohnungen nur einen ungenügenden Anteil
gönnten an Luft, Licht und Sonne! Wieviel enge
Gassen, die kaum die Jahreszeiten unterscheiden
ließen und die daher mit Recht „freudlose
Gassen“ genannt werden konnten, erlaubten
keinerlei freien Ausblick, gestatteten nur einen
ungenügenden und durch andere einmündenden
häufig verstopften und verlangsamten Verkehr;
wieviel innerhalb unserer Wohnviertel mitten
unter den Häusern erbaute Fabriken störten die
Ruhe durch ihren Lärm, verpesteten die Luft
durch ihren Gestank und Qualm! Welcher Raub
bau an Zeit, an Kräften, an Glück und an Ge
sundheit, und noch nicht zuletzt auch welche
Verluste an Geld! Welche Vorbelastungen auf
unserer menschlichen Arbeitskraft, die doch die
Quelle unseres Reichtums ist! Und wie war doch
dieser Zustand zu allen Zeiten und in allen Län
dern das vorherrschende Problem für die Hygie
niker, die Soziologen und die Städtebauer!
Nach dem Krieg ist es jetzt möglich, nicht
nur eine weitgehende Umgestaltung vorzunehmen,
sondern einen vollständig neuen Stadtplan auf
zustellen, So hat also diese Katastrophe una
immerhin eine kleine Wohltat gebracht, näm
lich die Möglichkeit einer wahrhaften Aufer
stehung in einer schöneren Form für unsere
Heimstätten, unsere Fabriken und unsere Städte.
Da sind nun eine Anzahl Grundsätze zu beachten,
die unsere vorliegende Arbeit über Städtebau
und Architektur bestimmen müssen; sie heißen,
Freiheit, Ordnung, Fortschritt, Hygiene, Wirk
samkeit und endlich^ Schönheit.
Erste Losung: Freiheit
Die Stadt, das Haus, die Fabrik schaffen die
Normen unseres Lebens. Es handelt sich für uns
darum, dieser Norm einen menschlicheren Sinn
zu geben. Da heißt es zunächst, das Familien
leben von sefnen Lasten zu befreien: da ist zu
nächst die Frau, die Mutter, häufig genug eine
Magd ihrer Hausfrauenpflichten, niedergedrückt
durch die eintönige freudlose tägliche Arbeit,
durch die Verpflichtung, für das Essen zu sorgen
und einen Haushalt zu führen in einem Hause,
das dafür schlecht und unrationell eingerichtet
ist. — Notwendige Folgerung: eine sorgfältig
durchstudierte Wohnungsplanung, um den je
weiligen Arbeitsweg zu verkürzen, Zeit und Mühe
zu sparen, mühevolle Bewegungen auf ein Min
destmaß zurückzuführen, indem das notwendige
Werkzeug und jede Arbeit leicht zur Hand ist,
ausreichende Beleuchtung und Möglichkeit freier
Bewegung. Weiter heißt es auch, den Hausvater
zu befreien; ihm in seinem Hause sein wirklich
privates Heim zu geben, wo er je nach seinem
Wunsch seine technische Arbeit fortsetzen oder