Full text: 72.1944 (0072)

Horchposten üer Waffen-ff. Die Trillerpfeife, die den Kameraden das 
Herannahen des Gegners ankündigt, der aufgegurtete Ladestreifen und 
scharfgemachte Handgranaten liegen neben den Männern in Griffnähe 
oder hängen an dem Baum. 
Aufnahme: ff-Kriegsberichter Adendorf. 
nicht doch durch die Er¬ 
eignisse vergangener Mo¬ 
nate eine innere Erschütte¬ 
rung erfahren haben. In 
einer ganz kleinen, schma¬ 
len Behausung am Kuban 
hat dieses Thema eine Nacht 
gefüllt und erfüllt, während 
die Lehmmauern vom Ar¬ 
tillerieduell zitterten. 
In dieser Nacht zog das 
vergangene halbe Jahr noch 
einmal in Schattenbildern 
an uns vorüber. Städte¬ 
namen aus dem Kaukasus 
und vom Gebiet zwischen 
Wolga und Don tauchten 
auf und standen gleich 
Mahnmalen mitten unter 
uns. Sie muteten wie Kilo¬ 
metersteine an, die den 
Vormarsch des Sommers 
ebenso markierten wie die 
Absetzbewegungen des Win¬ 
ters. Kameraden standen 
zwischen uns, die auf dem 
Marsch zwischen Wolga und 
dem westlichen Kaukasus 
ihren Ruheplatz gefunden 
hatten und deren Namen 
nun als das Gewissen der 
Front auf tauchten. In den 
Gesichtern, die von diesen 
Ereignissen berichteten, lag 
etwas Neuartiges, etwas, was 
der Front nicht vom ersten 
Tag anstand. Noch im letz¬ 
ten Sommer konnte man 
jungen Menschen begegnen, 
in deren Gesicht wohl die 
Jugend, in deren Reden 
aber das tiefe Wissen 
um die letzten Dinge des 
menschlichen Lebens stan¬ 
den. Dieser Gegensatz von 
innen und außen scheint nach dem vergange¬ 
nen Winter ausgeglichen zu sein. Das äußere 
und das innere Gesicht des Soldaten hat 
einen gleichen Ausdruck gefunden, der sich 
in den harten Konturen scharf geschnittener, 
gebräunter Profile offenbart. Ein bitterer 
Ernst steht in diesen Gesichtern, die die Welt 
nüchtern sehen und erkennen. 
Der Krieg ist für sie zunächst einmal zu 
einem ganz nüchternen Rechenexempel ge¬ 
worden. Sie sehen den Gegner und sein 
Material. Daran ermitteln sie die Notwen¬ 
digkeiten für ihren eigenen Kampf. Die 
Gefahr besteht, daß durch eine solch nüch¬ 
terne Rechnung der Krieg als Naturerschei¬ 
nung den Menschen überwältigt. Unter denen, 
die darüber sprachen, war ein Soldat aus 
dem ersteh Weltkrieg. Er erzählte von dem 
Zweikampf des Materials, der damals eine 
völlig neue Erscheinung gewesen war. Nicht 
selten kam es vor, daß der Selbsterhaltungs¬ 
trieb des einzelnen Soldaten sich zum Ver¬ 
nichtungstrieb wandelte. Der einzelne 
Kämpfer konnte oft im unmittelbaren Hin¬ 
terland nicht mehr begreifen, daß ein Haus 
noch unberührt war. Er lebte auch inner¬ 
lich oft so stark im Ruinen- und Graben— 
dasein, daß er die normale Lebensform ab¬ 
zulehnen begann. Seine Mentalität wünschte 
dann und wann im vierten Kriegsjahr erhal¬ 
tenen Häusern oder noch gut aussehenden 
Auslagen die Wirkung von Bomben und 
Granaten. Ein Zeichen, daß der einzelne im 
materialmäßigen Denken aufzugehen drohte 
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