Der Schatz der Zwerge
Ein Hunsrückraärchen von Otto Bolz
Es war einmal ein armer Schieferbrecher,
der wohnte mit seiner fleißigen Frau und
seinen zwei braven Kindern, dem Peter und
der Liesel, drunten im Dorf nicht weit vom
Bach.
Er hatte schon zweimal sein Glück ver¬
sucht und nach Schiefer gegraben, aber nur
armselig Gestein und tiefste Enttäuschung
waren sein Lohn. An einem schönen Som¬
mertage, als die Mutter fortgegangen war,
um Futter für die Geißen zu suchen, mach¬
ten sich die beiden Kinder auf den Weg, um
droben im Walde Himbeeren zu suchen. Ihre
blanken Eimerchen blinkten in der Sonne
und in ihren Herzen lag eine große, stille
Vorfreude. Die Mutter sollte sich mächtig
wundern, wenn sie heimkamen, und die
Eimerchen waren voll bis oben hin.
Der Wald winkte und grüßte und endlich
nahm er die beiden auf und umfing sie mit
seiner köstlichen Kühle und seinem tiefen
Frieden. Als der zehnjährige Bub mit seinem
etwas jüngeren Schwesterlein auf einem lau¬
schigen Wege dahinging, fing das Mädel an
zu fragen: „Peter, gelt, hier ist auch das Rot¬
käppchen einmal gegangen?“ „Kann sein,
Gretel.“ „Peter, lebt denn die alte Großmut¬
ter noch?“ „Ich glaube nicht.“ „Peter, gelt,
hier in dem Walde ist kein böser Wolf mehr?“
„Nein Gretelein.“
Da war das kleine Mädchen zufrieden und
die beiden gingen immer tiefer in den Mär¬
chenwald hinein.
Aber immer noch fanden sie keine Him¬
beeren und Sorge kam in ihre Herzen.
Da auf einmal sahen sie eine Frau, eine
alte Frau, mit einem gütigen Gesicht und
klugen Augen. Freundlich rief sie die Kinder
und zeigte ihnen, wo die schönsten Himbeeren
standen. Ja, sie half ihnen sogar beim Pflük-
ken und im Nu waren die Eimerchen voll.
Da machten sich die drei auf den Heim¬
weg und die alte Frau, die niemand anderes
als die Waldfee war, fragte die Kinder nach
diesem und jenem, nach Vater und Mutter
und nach all den Dingen in ihrem kleinen
Kinderleben.
Die Kinder tauten bald auf und gewannen
ein tiefes Vertrauen zu diesem guten Gro߬
mütterchen.
Vor dem Walde an einem großen Hügel
machten sie halt. Auf diesem lag ein ge¬
waltiger Steinblock und hohe Wacholder-
sträucher hielten ringsum Wache. Hier setzte
sich die Alte mit den Kindern und erzählte
ihnen, daß hier in diesem Hünengrab ein
Fürst aus alter Zeit liegen würde, der vor
tausend und mehr Jahren einmal mächtig
und reich gewesen sei.
Der Peter und die Liesel schauten ganz an¬
dächtig und ehrfürchtig auf den Hügel und
den Stein.
Die Sonne meinte es gut. Zwei Schmetter¬
linge haschten sich, und ein Hummelchen
machte vergnügt ein Bummelchen. Immer
schwerer wurden die Augen der Kinder und
immer schöner die Welt. Und was sahen sie
da? Sie kamen aus dem Staunen nicht her¬
aus. Zwerge, viele freundliche Zwerge sahen
sie, die kamen hinter den Wacholdern her¬
vor und umringten das Hünengrab. Dann
hüben sie an zu sprechen, langsam und ganz
feierlich:
„Wir sind die Zwerge vom Koppenstein,
wir kommen still im Mondenschein
und dienen dem König der Zwerge.
Wir lohnen die Guten, wir lohnen dgn
[Schweiß
wir hüten mit Liebe, mit Sorgfalt und
[Fleiß
die köstlichen Schätze der Berge.“
Und dann kam ein etwas größerer Zwerg
hervor, der hatte ein funkelndes Krönlein
auf dem Haupt. Er ging gemessenen Schrit¬
tes auf den großen Stein und fing so an zu
sprechen:
„Ich bin der König vom Koppenstein.
Hier zwischen Wacholdern, hier hinter
[dem Stein,
da liegt ein Schatz verborgen.
Ihr könnt ihn heben, und hebt ihr ihn
[gleich,
so werdet ihr glücklich und werdet ihr
[reich,
und weg sind all eure Sorgen.“
Die Kinder kamen aus dem Staunen und
Wundern nicht heraus. Doch als sie ihre
Augen aufmachten, da sahen sie keine Wald¬
fee mehr und auch keine Zwerge. Dann aber,
nach einer geraumen Weile, da liefen sie den
Berg hinunter, um den Eltern so schnell wie
möglich die wunderbare Geschichte zu er¬
zählen.
Wohl hüpften ein paar Himbeeren voller
Freude aus den Eimerchen heraus. Das machte
aber nichts. Was würden die Eltern zu all
dem sagen? Die Mutter schüttelte den Kopf
und meinte: „Träume sind Schäume“. Der
Vater aber lachte und sagte: „Das ist das
Glück,' das große Glück, das einmal zu jedem
Menschen kommt. Die Waldfee und die Zwerge
meinen es gut mit uns. Wir wollen zupacken
und uns durch Fleiß und Schweiß ihr Lob
und ihren Lohn ehrlich verdienen.“
Und der Schieferbrecher packte zu. Schon
am folgenden Tag ging er an die Arbeit. Das
Hünengrab ließ er unversehrt. Aber hinter
dem Stein, da grub und grub er, bis er am
dritten Tage an den Schiefer kam. Es war
prächtiger Schiefer, tief blauschwarz und
ganz glänzend, wie er noch keinen gesehen
hatte. Aus dem Stollen wurde eine große
Schiefergrube und aus dem armen Schiefer¬
200