Full text: 72.1944 (0072)

inne und wollte den Korb von seinen Schul¬ 
tern nehmen und Schnurli noch einmal 
streicheln, aber wenn man sein Herz ver¬ 
lieren will, muß man sich mühen, hart zu 
sein. Peter blieb auch immer noch in Ge¬ 
danken, als er schon die Fahrkarte gelöst 
hatte und in den wartenden Zug einstieg. 
Das Abteil war gut besetzt. Er stellte den 
Korb oben auf die Kofferbank, und als der 
Zug anfuhr, sah er schon zum Fenster hin¬ 
aus, als kümmerte ihn nun nichts mehr. 
Irgendwo im Halse tat es ihm nur noch 
manchmal weh, wenn er auf den kläglichen, 
dünnen Laut hörte, der aus dem Korbe in 
sein Ohr drang. Aber er sah nicht auf, er 
überwand sich. 
Und dann, plötzlich, auf einem Bahnhof, als 
der Zug sich schon wieder in Bewegung 
setzen wollte, sprang er auf, schlug die Wa¬ 
gentür hinter sich zu und eilte zur Sperre. 
Elin Mädchen aus dem Abteil rief noch 
hinter ihm her: „Sie, Herr, Sie haben ja 
Ihren Korb stehen gelassen!“ Peter sah sich 
nicht um. Der Zug stöhnte an ihm vorüber, 
der Huf des Mädchens verhallte irgendwo an 
einer leeren Stelle in seiner Brust. 
Peter, der Kauz, hatte nun kein Herz mehr, 
er fühlte es. Peter, der Kauz, fuhr mit dem 
nächsten Zug ohne Korb und ohne Herz wie¬ 
der auf den Hof des Hilzschuchbauern. 
Und wer Trine war? 
Ei, die Kuhmagd, die des Morgens die 
weißen Eimer in den Stall trug und sich auf 
den vierbeinigen Schemel setzte und „nanu 
Olle“ sagte, wenn sich eine Kuh mit dum¬ 
mem Gesicht nach ihr umsah.- 
Wer Trine war? 
Ach, die Kuhmagd, die immer lachen 
mußte, wenn der Bauer sie hinter der Häck¬ 
selmaschine sprechen wollte. 
Wie gut Peter den Bauern kannte. Peter 
schüttete die Pferde, schirrte sie an. Peter 
nahm die Sense, dengelte sie und ging, das 
reife gelbe Korn zu mähen, es roch schon 
ganz nach frisch gebackenem Brot. 
Und wenn die Trine hinter ihm raffte und 
band und beim Frühstück an derselben Korn¬ 
mandel saß wie er und das Brot schnitt und 
ihm die blaue Kaffeekanne reichte, daß er 
aus ihrem hohen Deckel tränke, was ging ihn 
die Trine an, die Kuhmagd? 
Und wenn es abends Pellkartoffeln gab, die 
er nur mühsam zu pellen verstand und die 
Trine ihm die gepellten Kartoffeln heimlich 
auf seinen Teller tat, was sollte er sich schon 
dafür bedanken? Er hatte ja kein Herz mehr. 
Schon vor acht Tagen hatte er sein Herz ver¬ 
loren, in einem Korb, in einem Zug stehen¬ 
gelassen. Schon acht Tage aber war es ihm 
dabei sonderbar genug zumute, und er wollte 
es nur nicht wahr haben, daß er immerfort 
an Schnurli denken mußte und des Nachts 
Heimweh nach dem kleinen, warmen, atmen¬ 
den Leib hatte. 
* 
Da geschah etwas Seltsames. Als Peter am 
nächsten Sonntag nachts in seinem Bett in 
der Holzkammer lag und vor sich hinsann, 
hörte er vor der Türe einen gar sonderbaren 
Laut. Er lauschte. — War es wieder das 
Lachen der Trine hinter der Häcksel¬ 
maschine? Was ging ihn die Trine, die 
dumme Kuhmagd noch an? Peter drehte sich 
auf die andere Seite und wollte nicht mehr 
hinhören. Aber, obgleich er sich auch die Bett¬ 
decke noch über die Ohren zog, er lauschte 
nur noch angestrengter. Da kratzte etwas an 
seiner Tür, und es jammerte, als sei Schnurli 
wieder in die Dunggrube gefallen. 
Schnurli? 
Peter sprang aus dem Bett, riß die Tür auf 
und sah am Boden die zwei glühenden Augen, 
die ihn anleuchteten. — 
Elin Jubelschrei hob den Kater zu seinem 
Gesicht empor, das sich glücklich in das 
weiche Fell schmiegte. Vor Freuden küßte 
Peter das Tier und fühlte zum ersten Mal, 
wie wohl das tat. Und nun nahm Peter den 
Heimgekehrten wieder mit sich in das an¬ 
gewärmte Bett und hörte dem Schnurren zu, 
mit dem der Müde einschlief. Sein ruhiger 
Atem regte den warmen Körper. 
Es kann doch niemand ohne sein Herz 
leben, Peter. Kein Mensch, kein Tier und so 
auch du nicht! 
as Lachen einer warmherzigen Mutter ist ein Klang, 
der durch ein langes Menschenleben iorttönen kann. 
O.v. Leisner 
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