Full text: 71.1943 (0071)

in dem Riesenland verlieren, wie vor allem 
die kleineren und mittleren Städte selten 
sind, die zwischen dem Dorf und der Gro߬ 
stadt eine natürliche Ueberleitung bilden. 
Sie fehlen, ebenso wie der Mittelstand fehlt. 
Land ohne Straßen und Autos. 
Wenig Städte, wenig Straßen. Und wenn 
Straßen, was für Straßen! Spuren durch buch¬ 
stäblich knietiefen Sand, morastige Pfade und 
wenn einmal eine von den großen gepflaster¬ 
ten Ueberlandstraßen in der Vormarschrich¬ 
tung liegt, dann ist sie so heruntergekommen, 
daß es erbarmungswürdig ist. Metertiefe 
Löcher und Gruben sind seit Jahren von den 
Bauernfuhrwerken immer tiefer ausgefahren 
worden. Es tut ja nichts. Die paar Lastkraft¬ 
wagen, die auf sowjetischen Straßen den 
Autoverkehr ausmachten, würgten sich schon 
durch. An der Straßenmeisterei einer strate¬ 
gischen Straße erzählte der Straßenmeister, 
daß er als Verkehrsdurchschnitt täglich bis zu 
sechzig Lastkraftwagen und einen einzigen 
Personenkraftwagen gezählt habe. Die Kraft¬ 
wagen gehören dem Staat, seinen Betrieben, 
seiner Armee. Einen privaten Kraftverkehr 
gab es nicht. Sowjetland wollte sich techni¬ 
sieren, ohne seinen Bewohnern die Freude an 
guten Straßen, die Freude am eigenen Auto zu 
gönnen. Bei uns das Streben, durch den Volks¬ 
wagen jedem Schaffenden sein eigenes Kraft¬ 
fahrzeug zu verschaffen, in Sowjetland sind 
die paar Personenkraftwagen Vorrecht der 
Kommissare. Da hat man an einem Beispiel 
den verratenen Sozialismus, den um den Er¬ 
trag seiner Arbeit betrogenen Proleten. 
Land ohne Ausland. 
In den Papieren eines toten politischen Kom¬ 
missars fand sich unter den günstigen Zeug¬ 
nissen über seine sowjetische Gesinnung die 
Bemerkung: Nie im Ausland gewesen. Das 
war ein Lob. Wir schicken unsere HJ hin¬ 
aus in alle Länder, mit denen man sich über 
die Zukunft der Welt unterhalten kann, wir 
haben in Friedenszeiten unsere schaffenden 
Volksgenossen auf Auslandsreisen mit KdF 
geschickt, wir haben ständig wissenschaftliche, 
technische, wirtschaftliche, künstlerische Grup¬ 
pen und Expeditionen draußen. Wir sehen 
das Verhältnis zum Ausland so an, daß wir 
sagen, je mehr einer herumkommt, umso bes¬ 
ser kann er seinem Land dienen und umso 
tiefer wird er es lieben lernen. Denn wir 
brauchen uns nicht vor dem Vergleich mit 
anderen Ländern zu fürchten. Sowjetland hat 
eine chinesische Mauer der Nachrichtensperre 
zwischen sich und anderen und dem Ausland 
auf gerichtet. In einer geistigen Abschnürung, 
die ohne Vorbild und ohne Vergleich ist, 
mußten 160 Millionen leben. Nur spärlich 
drangen Nachrichten über ihre Leiden in die 
Welt hinaus. Und sie selber, die drin saßen 
im Freiheitsgefängnis, wußten nichts davon, 
daß man auch anders leben konnte. Schon 
den Wunsch nach einer Auslandsreise zu 
äußern, war verbrecherisch. Seht euch den 
Genossen Gorotschenko an, er ist Kommissar 
und nie im Ausland gewesen. Da habt ihr das 
Vorbild. 
Sklaven für Rüstung und Propaganda. 
Alle Arbeit der Sowjetunion verwandelte 
sich in Rüstung und Propaganda. Eine 
Rüstung ohnegleichen, die nur darauf berech¬ 
net sein konnte, die Welt in einem günstigen 
Augenblick an allen Ecken und Enden mit 
Krieg zu überziehen, wird von unserer Wehr¬ 
macht dem Weltfeind aus der Hand geschla¬ 
gen. Die Propaganda war zweiseitig. Nach 
außen war ihre Arbeitsweise bekannt. Sie 
gaukelte der Welt ein potemkinsches Sowjet¬ 
land vor, in dem alles herrlich war. Im Ver¬ 
ein mit dem deutschen Soldaten sehen jetzt 
Freiwillige aus allen europäischen Ländern 
die Wahrheit und sind entsetzt. Man hat es 
sich schlimm vorgestellt. Aber so schlimm, 
wie es ist, konnte man es sich gar nicht vor¬ 
stellen. Nach innen mußten die Schulen als 
überall amtierende Verdummungsanstalten 
Propaganda machen. Mochte ein ganzes Dorf 
baufällig und verkommen sein, das rührte die 
Behörden nicht. Eine neue Schule wurde ge¬ 
baut, in der den Schülern gesagt wurde, daß 
sie es besser hätten als irgend jemand auf der 
Welt. Dann konnten sie nach Hause gehen, 
wo sie kein Bett, schlechtes Brot und die 
Nachricht vorfanden, daß wieder ein Nach¬ 
bar oder ein Mitglied der eigenen Familie 
fortgeführt worden war, von dem man nie 
mehr etwas hören würde. Wer es wagte, an 
dem Zwangsarbeitswahnsinn und an der sa¬ 
distischen Behandlung der menschlichen Num¬ 
mern Zweifel zu hegen, dessen nahm sich die 
unheimlichste Waffe der inneren Propaganda 
an, ihn erledigte die GPU. 
Das ist die deutsche Lebenshaltung, und dadurch unterscheidet sich der deutsche 
Mensch von allen anderen: daß er die Pflicht nicht als äußere Aufgabe ansieht, als 
etwas, das ihm befohlen wird, sondern daß er sie von innen heraus bejaht, 
daß er — ohne Pflichten nicht glücklich sein kann. Daraus wächst ihm aber auch die 
Hoffnung, wächst ihm das Wissen um die größere und schönere Zukunft im eigenen 
Leben und im Leben des Volkes. Hermann Claudius 
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