Paracelsus als Bergmanns
dottor
Von Dr. Wilhelm Fischdick, Berlin
Ueber Parazelsus wird heute sehr viel ge¬
schrieben, darunter auch manches, aus dem
man sich keinen Vers machen kann. Daß er
einer der genialsten Aerzte aller Zeiten war,
steht außer Frage, aber sein Erbe für uns
auszuschöpfen, ist schwerer als die meisten,
die zu seiner Würdigung die Feder ergreifen,
es sich vorstellen. Schon die Sprache seiner
zahlreichen Schriften ist völlig anders als die
unsrige. Er war ein Zeitgenosse Luthers, und
es ist erst Luthers Verdienst, das Deutsch
der damaligen Zeit so gesprochen zu haben,
daß daraus unsere heutige Schriftsprache ent¬
stehen konnte. So wie noch Parazelsus spricht,
droht bei fast jedem Worte für uns die Ge¬
fahr, seine Begriffe mit solchen aus unserer
Vorstellung zu verwechseln, die zwar gleichen
Wortklang aber gänzlich anderen Sinn haben.
Wenn die Wissenschaft jener Zeit sich haupt¬
sächlich der lateinischen Sprache bediente,
so ist der Grund dafür nicht ausschließlich in
geistiger Ueberfremdung zu suchen, sondern
auch darin, daß die noch erst werdende neu¬
hochdeutsche Sprache tatsächlich noch nicht
jene Klarheit und Eindeutigkeit besaß, die
zur Niederlegung wissenschaftlicher Gedan¬
ken eigentlich nötig ist. Nun war Parazelsus
einer der ersten, die deutsch schrieben; das
ist ihm gewiß sehr hoch anzurechnen, aber
wir dürfen nicht vergessen, daß die deutsche
Sprache der Wissenschaft erst später, durch
Lessing, Kant und ihre Zeitgenossen, sozu¬
sagen zurechtgeschliffen wurde. Was Para¬
zelsus meinte, ist seinen Schriften mit jener
Eindeutigkeit, die wir heute von der Sprache
verlangen, nicht zu entnehmen. Doch nicht
allein in der Sprache liegt die Schwierigkeit,
sie liegt auch darin, daß Parazelsus in der
Wissenschaft ein großer Sucher und keiner
der großen Vollender war. In ihm und bei
ihm gärt alles, und deshalb ist Klarheit des
Ausdrucks das Letzte, das man von ihm ver¬
langen kann. Drittens liegt zwischen ihm und
uns überhaupt ein völliger Wandel des Welt¬
bildes. Er lebte von 1493 bis 1541, d. h. rund
ein Jahrhundert vor Keppler und Galilei-
Zwar war er ein Zeitgenosse des Kopernikus,
aber es hat bekanntlich sehr lange gedauert,
bis dessen neue Welterkenntnis sich durch¬
setzte, über die selbst Luther noch wie über
eine Narretei mit einer Handbewegung hin¬
weggeht.
Dies sei vorausgeschickt zum Tröste für
diejenigen, die bis jetzt mit Parazelsus, sogar
in der Form, in der ihn uns der Kolben-
heyersche Roman schildert, garnicht in die
Reihe kommen konnten. Dieses vermeintliche
Manko ist keine Schande, zeugt sogar von
gesunderem Sinne als ihn diejenigen besit¬
zen, die sich für allerlei krause Mystizismen
und medizinische Dilettanten- und Sekten¬
anschauungen auf diesen großen Arzt beru¬
fen. Man ehrt Parazelsus, wenn man ihn
nicht versteht, besser, als wenn man ihn
falsch ausdeutet, und das Letztere tun die
genannten Schwärmer ganz zweifellos.
Lassen wir hier einmal die ganze philoso¬
phisch-weltanschauliche Seite des Mannes
aus dem Spiel. Nichts ist schlimmer, als aus
den Worten, mit denen er in wahrhaft großer
Art um Klarheit ringt, Schlagworte zu ma¬
chen. Begnügen wir uns in dieser Hinsicht
Parazelsus
mit der Feststellung, daß er in frommer Ehr¬
furcht vor der Natur und vor Gott an den
Einklang des kleinsten mit dem größten
Weltgeschehen (Mikrokosmos und Makrokos¬
mos) glaubte. Vor allem der Mensch, mit dem
er es als Arzt zu tun hatte, war ihm nicht
ein Einzelding, das man im Falle eines De¬
fektes wie eine Maschine repariert, sondern
ein Wesen, das durch die Umwelt, in der es
von Natur lebt, desgleichen aus dem Kerne
seines Wesens zum Ganzen der Welt gehört,
das sich Parazelsus als gottdurchwirkt vor¬
stellt. Darum ist ihm auch der Körper des
Menschen nichts für sich allein. Einer der
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