Full text: 69.1941 (0069)

Jahr der Vorentscheidung — Der revolutionäre Krieg 
Von Edgar Schröder 
Es war in den ersten Septembertagen des 
Jahres 1940, da traf bei der Hauptschrift¬ 
leitung der NSZ-Rheinfront, der Zeitung 
Gauleiter B ü r ck e l S, ein Brief ein, der uns 
Männern von der Presse, die mit den seltsam¬ 
sten Zuschriften bedacht werden, eine große 
Freude bereitete. ES geschieht nicht eben häufig, 
daß da ein Mann sich an seine Zeitung wendet, 
nicht um irgendwelche persönlichen Wünsche vor¬ 
zubringen, für die die Zeitung das Sprachrohr 
abgeben soll, sondern um etwas zu sagen, was 
den Briefschreiber und seine Arbeitskameraden 
im Innersten bewegt und zugleich Anspruch da¬ 
rauf erheben kann, von einer größeren Öffent¬ 
lichkeit als schöne Offenbarung einer im tiefsten 
Grunde beispielhaften männlichen Haltung ge- 
wertet zu werden. Jener Leserbrief war, als er 
bei uns eintraf, der Sphäre des Privaten ent¬ 
rückt, weil er soviel allgemein Gültiges enthielt, 
daß man mit Recht von einem Zeitdokument 
sprechen darf. Ein Dokument aus der Zeit des 
Krieges, der den nach uns Kommenden keine 
Rätsel aufgeben wird, wenn sie solche Zeugnisse 
der Gesinnung unseres deutschen Volkes lesen 
werden wie den Brief deS Bergmannes von der 
Saar, dessen Name nicht genannt sei, weil er 
für alle feine Kameraden geschrieben ist und 
darüber hinaus für den deutschen Arbeiter, der 
mit dem deutschen Soldaten diesen Krieg ae- 
wann. 
Der Brief, an dessen schlichter Sprache mit 
keiner Silbe hier etwas geändert ist, lautet: 
„In Ihrer Zeitung Nr. 244 vom 5. 9. 40 
brachten Sie auf der Titelseite einen Artikel: 
„Warum nicht am Feind?" Verfasser desselben 
ist Hauptmann Ellenbeck. (Anmerkung: Vom 
Oberkommando der Wehrmacht). 
Beim Lesen dieses Artikels empfand ich eine 
tiefe Genugtuung, daß man auch mal derjenigen 
Männer gedachte, denen es nicht vergönnt ist, 
mit der Waffe in der Faust für Führer, Volk 
und Vaterland einzustehen, weil sie in der Hei¬ 
mat an ihrem Arbeitsplatz unentbehrlich sind. 
Da ich als Lampenmeifter auf Grube . . . . 
täglich mit hunderten Bergleuten in Berührung 
komme, kenne ich die Meinung derselben genau 
und kann ich Ihnen versichern, daß unter allen 
eine gewisse Bitternis herrscht, weil sie an der 
großen Auseinandersetzung mit unseren Feinden 
und an der Neuordnung Europas nicht aktiv 
teilnehmen dürfen. So hat sich im Verlauf der 
Kriegsmonate eine Ansicht unter den Berg¬ 
leuten breit gemacht, daß, wenn der Krieg zu 
Ende ist und die Kameraden von der Front 
heimkehren, wir alle den Mund halten und den 
Hut in die Augen ziehen müßten. 
In diesen Worten spiegelt sich die große Ent¬ 
täuschung dieser Männer wieder, die sich als zu¬ 
rückgesetzt fühlen, da man sie nicht an der kämp¬ 
fenden Front benötigt und daß sie später einmal 
das S (lachkseld nur als Touristen betreten 
dürfen. 
Sie dürfen überzeugt sein, daß, wenn es uns 
auf den Gruben beschäftigten Männern in den 
freien Willen gestellt wäre, Soldat und Front¬ 
kämpfer zu werden, innerhalb 48 Stunden die 
Gruben von wehrhaften Arbeitern entblößt und 
damit ihre Pforten zu schließen gezwungen 
wären. 
Ich behaupte ferner nicht zu viel, daß gerade 
der Bergmann nicht der schlechteste Soldat 
wäre, da er an Strapazen und Härten gewöhnt 
ist und dem Tod tagtäglich ins Auge sieht. 
Sogar die Militärkommissionen drückten bei 
den Musterungen zum Heeresdienst ihr Er¬ 
staunen darüber aus, weil die meisten Freiwil¬ 
ligenmeldungen aus den Kreisen der Bergleute 
kamen. 
Ich selbst war am 18. Juli in der Musterung 
des Jahrgangs 1902. Meine Kameraden un¬ 
serer Grube und ich trugen alle einen schwachen 
Hoffnungsschimmer in uns, daß es noch mit der 
Ausbildungszeit reichen würde und wir vielleicht 
gerade noch zurechtkämen, um zu helfen „dem 
Engländer den Frack zu bügeln". 
Wie aber waren wir maßlos enttäuscht, als 
man uns bei der Musterung sagte, daß wir vor¬ 
erst nicht mit einer Einberufung zu rechnen hät¬ 
ten, da uns unsere Betriebe nicht entbehren 
könnten. Tief bekümmert über unser Mißgeschick 
gingen wir wieder nach Hause und an unsere 
Arbeit. Inzwischen haben wir uns mit unserem 
Loö abgefunden, weil es sonst keinen Ausweg 
gab, so schwer und bitter eö auch fiel und weil 
wir Verständnis dafür hatten, daß es auch eine 
schaffende Front geben muß, ohne die die kämp¬ 
fende Front nicht bestehen kann und weil die 
persönlichen Interessen und Wünsche vor dem 
Gesamtziel zu schweigen haben. 
Wir werden unsere Pflicht bis zum äußersten 
erfüllen, da wir nicht hinter der kämpfenden 
Front zurückstehen wollen. Wir haben ferner 
unsere Pflicht im Kriegshilfswerk für das 
Deutsche Rote Kreuz erfüllt und wir werden sie 
23
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.