Hand wird in Klauenstellung gehalten. Beim Ver¬
such, die Finger zu strecken, werden starke Schmerzen
angegeben. Die Umgebung der schwarzverfärbten
Stelle ist hochrot entzündet, die rechte Hohlhand ver¬
dickt und sehr schmerzempfindlich. Die Entzündung
geht vom Grundglied des rechten Daumens aus und
schreitet nach der Hohlhand zu weiter. Gleichzeitig
Schmerzen über der Bcugeseite des rechten Hand¬
gelenks."
Obwohl der Puls nur unwesentlich beschleunigt und
auch die Körpertemperatur kaum erhöht war, erachtete der
Chefarzt des Knappschafts-Krankenhauses den Fall so¬
fort für sehr ernst. Nur einen Tag lang versuchte er es
mit einer Hochlagerung der rechten Hand und Alkohol-
und sonstigen Verbänden. Länger ließ sich ein energischer
chirurgischer Eingriff nicht hinauszögern.
Es heißt dazu im einschlägigen Arztbericht:
„Am 21. September in Narkose Einschnitt auf
der Beugeseite des rechten Daumes bis in die rechte
Hohlhand, wobei sich jedoch kein Eiter entleert. Er¬
hielt weiter heiße Hand- und Armbäder und öfters
am Tag Verbandwechsel, Einspritzungen verschieden¬
ster Art. Abends stieg die Temperatur auf 39,5°,
der Puls schwankte um 100 Schläge in der Minute.
Sch. machte einen schwerkranken Eindruck."
Das ging bis zum 29. September so fort, nur daß die
Stichwunde allmählich stark abzusondern begann. Am
30. September war wiederum ein tiefer Einschnitt, dieses
Mal am rechten Unterarm notwendig, nach dem Ellbogen
zu, wobei sich auch dort sehr yiel Eiter entleerte. Erst
einige Tage oarauf konnte die Lebensgefahr als abge¬
wendet und der Höhepunkt der Krankheit als überschritten
gelten.
Es dauerte aber noch lange, ehe die „kleine Verletzung"
endgültig geheilt war. Die Einschnitte an der rechten
Hohlhand und am rechten Unterarm mußten offen gehal-
ten werden und sonderten weiterhin reichlich Eiter ab. Am
15. Oktober ergab sich sogar die Notwendigkeit, am rech¬
ten Handrücken und in der rechten Hohlhand nochmals
zwei tiefe Einschnitte anzulegen, um den restlosen Abfluß
der Eitermaffen zu ermöglichen. Erst am 1. Dezember be¬
gann die Eiterung wirklich abzuklingen. Ab 15. Dezember
ließ auch die gewaltige Schwellung des rechten Armes all¬
mählich nach. Am 11. Januar 1938 glaubte der be¬
handelnde Arzt, in seinem Bericht Vorzeichen einer be¬
ginnenden Wundheilung vermerken zu dürfen. Bis zum
10. März war dann die Wundheilung so weit fortge¬
schritten, daß Sch. ohne Verband wieder zur Arbeit ent¬
lasten werden konnte.
Aber was war aus seiner rechten Hand geworden? Die
Antwort ist erschütternd. In seinem Schlußgutachten muß
der . Chefarzt des Knappschafts-Krankenhaus feststellen:
„Die rechte Hand steht in Floffenstellung und ist
ellenwärts abgebogen. Der 5. Finger ist hohlhand-
wärts gekrümmt. Bei passiven Bewegungsversuchen
starke Schmerzäußerung im Hand- und in allen
Fingergelenken. Alle Beugesehnen, die sich im Ver¬
lauf der Eiterung zersetzten und abstießen, fehlen
vollkommen. Es handelte sich bei Sch. um das Bild
einer typischen, sehr schwer verlaufenden V-Phleg-
mone (Zellgewebseiterung), ausgehend von einer
Stichverletzung am Grundglied des rechten Daumens.
Wie die Röntgenkontrolle ergab, ist der chronisch
entzündliche Prozeß auch im Bereich des rechten
Handgelenks auf den Gelenkknorpel übergegangen
und teilweise sogar auf den Knochen. Die Hand¬
wurzelknochen sind in ihrer Zeichnung verwischt. Als
die Erwerbsfähigkeit vermindernde Unfallfolgen be¬
stehen:
1. die völlige Gebrauchsunfähigkeit der rechten Hand.
2. die Versteifung der rechten Hand und aller ihrer
Finger;
3. eine starke Schwellung und Kreislaufstörungen im
ganzen Bereich der rechten Hand;
4. glaubhafte Schmerzen in der rechten Hand und im
rechten Unterarm;
5. eine hochgradige Abmagerung der Muskulatur des
ganzen rechten Arms.
Die Erwerbsfähigkeitsverminderung beträgt 50 °/o."
Das war die Folge eines „kleinen Stichs" im rechten
Daumen. Der finanzielle Aufwand war noch das kleinste
Übel, obwohl allein für das Heilverfahren ohne Neben¬
kosten die Knappschaft rund 400 RM., die Knappschafts-
Berufsgenoffenschaft 1100 RM. ausgeben mußten. Der
sehr beträchtliche Rentenaufwand wird Sch. niemals für
die dauernde Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit
und Verlust der Hälfte seiner Erwerbsfähigkeit entschä¬
digen. Seine rechte Hand ist ausgeschaltet und schmerzt
dauernd. Der Grube fehlt ein Fachmann, dessen Platz
nun ein anderer Arbeitskamerad ständig einnehmen muß.
Dafür ist dessen Platz verwaist, irgendwo fehlt ein Mann
und wird immer fehlen.
Wo soll die Grube eine neue vollwertige Kraft her¬
nehmen? Deutschland aber braucht den Fachmann. Auf
keiner Grube darf die Förderung stillstehen oder gar
zurückgehen. —
V.
Es gibt leider auch an sich ganz harmlose Verletzungen,
die den davon Betroffenen infolge ungenügender Be¬
achtung das Leben kosten. Sie sind glücklicherweise nicht
häufig, aber das furchtbare Schicksal des Rückers W. sei
eine Warnung.
W. arbeitete im Rutschenstoß auf der dritten Tiefbau¬
sohle einer Saargrube. Am 13. Dezember 1936 erhielt er
nachts gegen zwei Uhr den Auftrag, den Rutschenmotar
vorzurücken. Dazu war ein Stempel abzuhauen. Wie
sich W. nun an die Arbeit begab, fiel ihm vom Ausbau
ein Vorstecker auf die rechte Wange und ritzte sie leicht.
Gleich darauf schnitt er sich auch noch an einem Berge¬
stück, das er in den Bergeversatz werfen wollte. Am rech¬
ten Daumen entstand ein kaum blutender Riß. Immerhin
war W. ziemlich vorsichtig. Zu Schichtschluß um 5.30 Uhr
sprach er auf der Heildienerstube vor. Der Heildiener
legte einen Schutzverband an und überwies W. ins Kran¬
kenhaus.
Leider beging W. nun einen verhängnisvollen Fehler.
Der Rat des Heildieners erschien ihm überflüssig und
übervorsichtig. Er beschloß, lieber weiterzuarbeiten. Zuerst
schien er auch Recht zu behalten. Die Schramme an der
Wange heilte glatt ab. Aber die Leichtfertigkeit der
Weiterarbeit rächte sich doch, die Verletzung über der
Streckseite des Grundglieds des rechten Daumens saß an
einer sehr beanspruchten Stelle der Hauptarbeitshand.
Der Riß begann zu schmerzen und zu klopfen. Daheim
machte W. mehrfach Seifenbäder, ohne jedoch eine Besse¬
rung zu erzielen.
Schließlich mußte er seinen Knappschaftsarzt aufsuchen,
der ihn, wie in seinem Krankenbuch verzeichnet steht, schon
nach dem ersten Blick auf die Verletzung dem Knapp-
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