Full text: 68.1940 (0068)

die Gestalt über den Jüngling; sekundenlang. Dann 
senkte sich plötzlich der wuchtige Kopf und der umbuschte 
Blick des Marschalls tastete den Waffenrock hinab. Die 
Hand griff an das E. K., nestelte es los und steckte es 
dem Leutnant mit umständlicher Langsamkeit unter das 
junge Herz. Über das bärtige, runenübersäte Gesicht aber 
ging der Schein eines Lächelns, einer ungewohnten, fast 
schwerfälligen Bewegung, als er brummte: „Es ist zwar 
ein wenig abgeschliffen, doch mag es genügen. Tragen 
Sie es in Ehren!" Grüßend fuhr seine Hand an die 
Pickelhaube, dann wandte er sich an den nächsten. 
Das alles war die Sache einiger Augenblicke gewesen, 
kaum einer Minute. Doch der Glanz der Unvergänglich- 
Eine deutsche Batterie 
Als die Batterie in das Städtchen einfährt, 
liegen die Straßen und Gäßchen wie ausgestor¬ 
ben. Alle Fenster sind geschloffen, und zum Über¬ 
fluß sperren dichte Vorhänge das Sonnenlicht. 
So und nicht anders war es in Feindesland, 
denkt versonnen der Leutnant, der an der Spitze 
der einherraffelnden Kanonen reitet und aufmerk¬ 
sam die Fassaden der niederen Häuser mustert; 
denn jeden Augenblick können Feuersalven aus 
dem Verborgenen zucken und ihre guten Ziele 
finden. Nicht weit von hier, bei Boltrup, hat 
man heute morgen eine Patrouille aus dem Hin¬ 
terhalt überfallen, auch nicht einer der Kame¬ 
raden kam mit dem Leben davon, ihre gräßlich 
verstümmelten Leichen fand man am Straßen¬ 
rand. 
Die ganze Brigade Löwenfeld ist im Vor¬ 
marsch, denn allenthalben sind die weißen Trup¬ 
pen zur Offensive angetreten und treiben die auf¬ 
gescheuchten Spartakisten wie Hasen vor sich her. 
Wesel, darin die Roten ihren gräßlichen Spuk 
treiben, das ganze Ruhrgebiet soll befreit wer¬ 
den, das hart an den Rand eines schlimmen Ab¬ 
grundes geriet. 
Die Batterie des Leutnants, die in der ganzen 
Brigade ihren hohen Ruf besitzt, ist in den 
Schmuck schwarz-weiß-roter Fähnchen gehüllt. 
Die Farben des alten Reiches grüßen von den 
Geschützrohren und Protzenwagen, wiegen lustig 
selbst auf dem Rücken der Pferde, neben ihren 
nickenden Köpfen. Jetzt schallt trotziger Gesang 
auf, schlägt sieghaft in das marternde Schwei¬ 
gen der verlaffenen Ortschaft und ringt mit ihrer 
Feindseligkeit. Seit dem Baltikum und jenem 
gewagten, glückhaften Sturm auf Riga, der im 
letzten Augenblick Tausende von armen Geiseln, 
Greise, Frauen und Kinder, aus der Gewalt der 
Bolschewisten befreite, singen sie dieses Lied, san¬ 
gen es um so lauter, als endlich wieder Pferdehuf 
keil, der Helle Schein menschlicher Größe hatte die Se- 
künde wunderlich erhellt und umgab nun wie eine Gloriole 
den jungen Leutnant, sein ganzes Wesen verwandelnd. 
Eine stille Feierlichkeit ging von ihm aus, ein Hauch ge¬ 
heimer Weihe, dem niemand sich entzog. Nicht als ob sich 
eine Kluft aufgetan hätte zwischen ihm und den anderen. 
Das zu verhindern, hätte es nicht einmal jenes Beispiels 
bedurft, aus dessen magischer Kraft seine Besonderheit 
wirkte: eine Besonderheit der Würde und Ehre, aber 
auch die Besonderheit übermenschlicher Opferbereitschaft 
und Hingabe. Diesem Jüngling folgten die Leute mit 
blindem Vertrauen, und sie hätten ihn herausgehauen 
aus jeglicher Fährnis, solange nur ihre Kraft reichte. 
Von Hans Henning Freiherr Grjote 
und Mannestritt den Heimatboden berühren 
durften. Stolz und sehr zuversichtlich klingt es: 
„Hakenkreuz am Stahlhelm, schwarz-weiß- 
rotes Band ..." 
Der Leutnant hebt den Arm mit der Reit¬ 
peitsche hoch; da verstummt der Gesang, — die 
Batterie hält und sucht die Quartiere. 
Es ist wirklich so: was von den Einwohnern 
noch im Orte ist, ein paar alte Männer oder 
Weiblein mit zahnlosem Munde, die verlaffene 
Kinder hüten, blickt in offenbarer Angst auf die 
Soldaten, — die Landsleute. Der Leutnant be¬ 
greift noch immer nicht; vierundeinhalb Jahre lag 
er im Krieg, ging dann freiwillig nach dem Bal¬ 
tikum, kommt jetzt mit den Seinen von der Ost¬ 
grenze her, die er gegen die Polen gehütet hat... 
Sie sollen die Ruhr vom roten Schrecken be¬ 
freien, sollen retten ... 
Dann erfährt er: die Roten haben sinnlose 
Gerüchte ausgestreut, vom weißen Mord erzählt, 
der sich an den Frauen und Schwachen rächt; 
schlimmer erging sich auch einst die Greuelpropa¬ 
ganda im Weltkriege nicht in Lügen und Über¬ 
treibungen. Der Leutnant, der bei Riga als 
erster mit seinem Geschütz die große Brücke er¬ 
oberte und mitten in die von den Bolschewisten 
besetzte Stadt sprengte, begreift das alles nicht 
mehr. Marschiert er nicht wieder durch Deutsch¬ 
land? Sind jene Spartakisten wirklich nicht 
mehr wert, als die Mordbanden im Baltikum? 
Deutschland, — das war doch immer ein lieber, 
verehrter Name, war es geblieben trotz der No¬ 
vembertage und was nach ihnen kam. Gestern 
in jenem Gefecht — es war eher ein geordneter 
Rückzug des Gegners vom ersten Schuffe an — 
war es sehr wohl zu spüren gewesen, daß alt¬ 
gediente Soldaten ihnen gegenüberstanden, die 
etwas von der Sache verstanden. Kameraden 
also, mit denen man vor nicht langer Zeit Seite 
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