Full text: 67.1939 (0067)

erschaffen getrieben war, nach Vauernart, 
wenn auch in fremdem Gebiet. Die Aerzte 
bemerkten seinen treuen Fleiß, seine strenge 
Sorgfalt in der Ausübung aller Pflichten, 
man betraute ihn mit verantwortungsvolle¬ 
ren Dingen, Schwerkranke wurden seiner 
Obhut unterstellt. Der Neid war wach, er 
sprach mit böser Zunge über den Einsamen, 
nannte ihn einen Sonderling, einen Herrn 
Unbekannt. Wiste man denn irgend etwas 
von ihm? Von seinem Leben, von Herkunft 
und Heimat? Er stamme aus einem Dorf, 
das war alles, was neugierigen Fragern zur 
Antwort geworden war. Ihn focht es nicht 
an, sein Leben war geordnet, ihn plagten 
nicht äußere Wünsche, und der Kummer, der 
geheim und oft an ihm nagte, war ein star¬ 
kes Gegengewicht, dem gegenüber kleinliche 
Feindschaften gering wurden. Er lebte in 
dem Spital, dort wohnte er, und seine Tage 
vergingen in gleichruhigem Maß wie die 
Nächte, in denen er oft Wache hatte, und 
seine Freizeit nutzte er kaum. 
Er lernte eine junge Pflegerin kennen, 
sie war noch nicht lange in der Stadt, sie 
stammte aus einem Dorf. Ihr schüchtern un¬ 
beholfenes Wesen erinnerte ihn an die Mäd¬ 
chen seiner Heimat, und das war der Schlüs¬ 
sel, der einer Liebe sein Herz öffnete. Das 
Mädchen hieß Marie. 
Er war 31 Jahre alt und eine Liebe hatte 
in seinem Leben vorher nicht Raum gehabt, 
nun umwarb er das Mädchen mit ernster 
Scheu. Die lange Zeit des Alleinseins gab 
seinem Werben etwas schwermütig Flehen¬ 
des, und das Mädchen willigte ein, feine 
Frau zu werden. Sie saßen an einem freien 
Nachmittag auf einer Bank im Park der 
Stadt, und dort, mitten im Trubel der 
Spaziergänger, verlobten sie sich, und die 
Erschütterung dieses Geschehens zwang ihn, 
dem Mädchen sein Leben zu erzählen, wie er 
unter einem ungerechten Verdacht gestanden 
und die Heimat verlassen habe, und wie ihm 
die Rückkehr unmöglich gewesen sei. Und er 
gestand, daß er von seinen Eltern nichts 
wisse und nichts von seinen Geschwistern, 
seit all jener Zeit. Da beschwor ihn das 
Mädchen, das tiefe Unrecht, das er seinen 
Angehörigen angetan, durch eine Heimreise 
zu mildern. Er willigte nach langem Zö¬ 
gern, nach tagelangem Ablehnen, Vertrösten 
endlich ein. Und so viel er selbst dann noch 
zu reden wußte von der vermeintlichen 
Sinnlosigkeit des Vorhabens, und daß die 
Eltern gestorben sein könnten oder daß sie 
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