Full text: 67.1939 (0067)

Von Herrrann Stahl 
Johannes kehrt heim 
Ruhig kam Johannes vom Feld heim zum 
Feierabend, er saß allein auf dem Wagen, 
der Vater war schon vorausgegangen, und 
Johannes hatte nicht Eile. Er fuhr in den 
Hof, spannte die Kühe aus, trieb sie in den 
Stall, er wollte noch eben die Geschirre weg¬ 
hängen, da kam die Mutter gelaufen, ver¬ 
weint, hastig, und faßte den Sohn an der 
Schulter und sagte: „Wenn du das Geld 
hast, Johannes, dann sag es rasch, gib es 
her, es ist noch Zeit, der Vater sucht noch." 
Ja, ein Goldstück fehlte im Kasten, und nie¬ 
mand außer Johannes hatte gesehen, wie 
der Vater den Kasten unverschlossen am 
Abend zuvor in den Schrank gestellt hatte, 
und morgen war Markt in der Stadt, und 
mußte Johannes das Stück nicht an sich ge¬ 
nommen haben? Johannes lachte, sah dann 
die Mutier zornig an, ließ sie stehen und 
ging in das Haus. „Du suchst ein Goldstück", 
sagte er zum Vater, — „ich habe es nicht. 
Oder glaubst du mir nicht?" Der Vater sah 
ihn nicht an. „Ich weiß, daß es im Kasten 
war", erwiderte er. „Soll ich es genommen 
haben?" fragte der Sohn, und der Vater 
antwortete jähzornig: „Ich weiß, daß es im 
Kasten war, und du warft dabei, als ich das 
Geld zählte!" Dem Sohn verschlugs die 
Sprache, er ging aus der Stube. 
Alles war wie sonst, die Dorfuhr schlug 
die Stunde, nichts Besonderes war. Die 
Schicksale begleiten die Menschen von ihrer 
ersten Stunde an. die Schicksale vollziehen 
sich in der Stille, unerkannt, unzugänglich 
im Geheimnis. Als der Vater am frühen 
Morgen für den Stadtgang sich rüstete und 
dabei das Goldstück fand, und es lag von 
ihm selbst versteckt an einem vergessenen 
Platz, und als er in jäher Beschämung dem 
Sohn die Kunde bringen wollte, war Jo¬ 
hannes verschwunden. 
Man wartete bang durch Tage hin, man 
suchte und fahndete schließlich, der Sohn 
blieb verschollen. Alles war wie früher, die 
Geschwister wuchsen heran, ihr Leben er¬ 
füllte das Haus, fast vergaßen sie den Ent¬ 
laufenen, man sprach nicht von ihm. Nur 
die Eltern saßen manchmal an den Abenden 
beisammen, zu sagen war nichts mehr, 
schweigend grübelten sie über das Unbegreif¬ 
liche nach. Der Zorn über den Abtrünnigen 
war längst verraucht, stumpfer geworden 
war die Trauer, nur manchmal, seltener mit 
den Jahren, geschah es, daß die Mutter von 
ihrem Sohn träumte in den Nächten, und 
daß sie verweint in den Tag sah und doch 
neu belebt von einem Wissen, ihr Sohn 
lebe. Und der Vater mühte dann von neuem 
sich mit dem Gedanken, durch seine Schroff¬ 
heit den Sohn in die Unvernunft der kna¬ 
benhaften Flucht getrieben zu haben. 
Als der Krieg begann, belebte sich neu die 
Hoffnung der Alten, den Sohn von der Ge¬ 
walt dieses Geschehens wieder in die Heimat 
zurückgetrieben zu sehen, und in einer Nacht, 
da die wehrfähigen Männer des Dorfes 
singend im Wirtshaus den Abschied feierten, 
sagte der Vater im Schutz des Dunkels zum 
schlaflos liegenden Weib: „Du meinst und 
glaubst, daß er lebt. Aber ich wollte lieber, 
daß er falle, wenn er nur vorher noch ein¬ 
mal heimkäme." Im Wirtshaus sangen die 
Männer, deren Heimkehr so ungewiß war, 
und die Mutter hörte den Gesang in ihrer 
Kammer und weinte, aber ihre Tränen gal¬ 
ten dem einen, der außerhalb des gesetz¬ 
haften Kreises stand. 
Der aber, der geringe Schuld mit schwe¬ 
rerer vergalt, der Sohn in der Fremde, der 
Not und tiefere Demütigungen hatte erfah¬ 
ren müssen in bitteren Jahren, zog auch 
hinaus. Ach, er wäre gern zuvor noch ein¬ 
mal heimgekehrt, aber ihn hemmte Scham. 
Er hatte längst eingesehen, daß seine Flucht 
töricht gewesen war, ihm selber fast unbe¬ 
greiflich nach diesen Jahren, aber um so 
schwerer schien ihm das Heimkehren. Und 
zu schreiben wußte er nichts. Die Jahre des 
Krieges machten sein Schicksal vor ihm sel¬ 
ber gering. Er wurde verwundet, Monate 
lang lag er in einem Lazarett. Er sah, wie 
Kameraden Besuch erhielten, sah sie Briefe 
und Pakete empfangen und sah auch oft die 
Freude derer, die einen Heimaturlaub an¬ 
treten konnten, nur er, so sagte er sich, hatte 
das alles verscherzt, er war heimatlos. 
Er kehrte zurück aus dem Krieg, er ging 
in eine Stadt. Nach mancher Not fand er 
einen bescheidenen, festen Platz in der Welt, 
er wurde Pfleger in einem Spital. Man 
schätzte ihn seiner Treue wegen und seines 
Fleißes, aber man liebte ihn nicht, er war 
verschlossen, ernst, Freundschaften ging er 
aus dem Weg. Von seinen Kollegen hielten 
ihn etliche für einen Streber, weil er in sei¬ 
ner Freizeit medizinische Bücher las, und sie 
ahnten nicht, daß er als ein Entwurzelter 
inbrünstig eine neue Lebensheimat sich zu 
194
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.