Full text: 67.1939 (0067)

Erzwungene Achtung Eine 
Da beim Abzug des Schillschen Korps aus 
dem befestigten Platz Dömitz ein Befehls¬ 
überbringer von den Franzosen gefangen¬ 
genommen wurde, erfuhren dreißig blutjunge 
Freiwillige, die in der Hitze der Kampfhand¬ 
lungen noch nicht halten eingekleidet werden 
können, nichts von dem Abmarsch und wurden 
von der Uebermacht der Truppen des fran¬ 
zösischen Generals d' Albignac überwältigt 
und gefangengenommen. 
D' Albignac ließ die Gefangenen in zwei 
Reihen antreten und blickte verwundert in 
die Gesichter der jungen Männer. Das waren 
doch keine Soldaten, das waren ja noch halbe 
Kinder. Ist Schill bereits so schlimm daran, 
daß er solch junge Leute ausheben muß, um 
seine Verluste auszugleichen und sein Korps 
zu verstärken? Studenten, Handwerker und 
Vauernburschen mochten es sein. Alle waren 
pulvergeschwärzt, vom Kamps erschöpft, und 
viele trugen blutige Binden um Kopf und 
Glieder. Wie abgerissen die armen Kerle 
aussahen. Viele hatten weder Schuhe und 
Mützen noch Röcke; an Stelle von Koppeln 
trugen sie Schnüre und Seile, und in den 
jetzt schmutzigen Säckchen trugen sie wohl die 
Patronen. Mitleid könnte man mit den 
armen Teufeln haben. 
„Ihr seid zum Kriegsdienst gepreßt wor¬ 
den?" fragte er, um den Gefangenen eine 
Möglichkeit zum straflosen Davonkommen zu 
gewähren. 
„Nein!" erwiderte der Wortführer der Ge¬ 
fangenen sofort stolz. „Im Schillschen Korps 
dienen nur Freiwillige, und wir alle sind aus 
eigenem Antrieb zu ihm gestoßen!" 
Das Gesicht des Generals umwölkte sich- 
Sollte er die jungen Leute Narren heißen, 
daß sie die von ihm gebaute Brücke nicht 
gehen wollten? Hol's der Teufel, Schneid 
haben sie! Auch er liebt sein Vaterland, und 
wenn er diese Bengels als Soldaten zu be¬ 
trachten hat, dann muß er Napoleons strikten 
Befehl ausführen und sie erschießen lassen. 
Das ist ihm zuwider. Er ist Soldat und kein 
Henker; er kämpft nicht mit halben Knaben. 
Was soll er tun, damit er nicht gezwungen 
ist, sie auf Grund ihres offenen Bekenntnisses 
hinrichten zu lassen? 
Er blickte seinen Adjutanten an und sagte 
achselzuckend: 
Episode aus hetoischer Zeit eizählt von H. Lehr 
„Verabreicht jedem dieser ihren Eltern 
davongelaufenen Jungen ein halbes Hundert 
Hiebe! Das wird sie zur Besinnung bringen!" 
Zornrot sprang da der Wortführer der 
Gefangenen vor die Front. 
„Herr General!" rief er, „wir haben als 
brave Soldaten gefochten! Wenn es kein 
anderes Urteil gibt, dann laßt uns als brave 
Soldaten sterben! Schläge wären in unserem 
Fall unwürdiger für den, der sie geben läßt, 
als für die, welche sie wehrlos hinnehmen 
müssen!" 
Betroffen blickte d' Albignac in das ent¬ 
schlossene Gesicht des jungen Mannes. Der 
Kerl gefällt ihm; sei's drum, das war das 
Wort eines Mannes! Aber der Kerl wird 
wohl nur dieser eine sein, der die Führung 
an sich gerissen hat, da keine Offiziere mehr 
zugegen sind; den anderen wird das Gebein 
schlottern und werden die Zähne klappern. 
Langsam ging er die kurze Front entlang 
und blickte Mann um Mann in die Augen. 
Er staunte. Von Angst und Todesfurcht 
war da nichts zu erkennen. Aus allen Augen 
leuchteten ihm die gleiche männliche Ruhe, 
Härte und Entschlossenheit entgegen, lieber 
unter den Kugeln des Hinrichtungskomman¬ 
dos zu sterben, als sich schlagen zu lassen. 
Weiß Gott, diese Kerls waren keine Knaben 
mehr, oder wenn sie es dem Alter nach noch 
teilweise waren, so waren sie im Kampfe hart 
geworden. Das waren Kämpfer, deren Geist 
einst vielleicht weittragende Entscheidungen 
herbeiführen wird. Ob man will oder nicht, 
man muß Achtung vor ihnen und ihrer Vater¬ 
landsliebe haben. 
„Weshalb kommt ihr nicht zu uns, wenn 
ihr Soldaten werden wollt?!" fragte er. 
„Führt mein Kaiser nicht das glänzendste 
Heer, das die Welt je gesehen hat? Trägt 
nicht jeder seiner Soldaten den Marschallstaö 
im Tornister? Laßt euch anwerben, dann 
entgeht ihr jeder Strafe!" 
Der Wortführer der Gefangenen lächelte in 
ruhiger Zurückweisung. 
„Nein, Herr General! Wir sind keine 
Landsknechte, die ihr Leben gegen Sold ver¬ 
kaufen; wir sind Deutsche, die für die Freiheit 
ihrer Heimat kämpfen." 
Der General zuckte die Achseln. Er schien 
aber doch mit keiner anderen Antwort gerech- 
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