Erzwungene Achtung Eine
Da beim Abzug des Schillschen Korps aus
dem befestigten Platz Dömitz ein Befehls¬
überbringer von den Franzosen gefangen¬
genommen wurde, erfuhren dreißig blutjunge
Freiwillige, die in der Hitze der Kampfhand¬
lungen noch nicht halten eingekleidet werden
können, nichts von dem Abmarsch und wurden
von der Uebermacht der Truppen des fran¬
zösischen Generals d' Albignac überwältigt
und gefangengenommen.
D' Albignac ließ die Gefangenen in zwei
Reihen antreten und blickte verwundert in
die Gesichter der jungen Männer. Das waren
doch keine Soldaten, das waren ja noch halbe
Kinder. Ist Schill bereits so schlimm daran,
daß er solch junge Leute ausheben muß, um
seine Verluste auszugleichen und sein Korps
zu verstärken? Studenten, Handwerker und
Vauernburschen mochten es sein. Alle waren
pulvergeschwärzt, vom Kamps erschöpft, und
viele trugen blutige Binden um Kopf und
Glieder. Wie abgerissen die armen Kerle
aussahen. Viele hatten weder Schuhe und
Mützen noch Röcke; an Stelle von Koppeln
trugen sie Schnüre und Seile, und in den
jetzt schmutzigen Säckchen trugen sie wohl die
Patronen. Mitleid könnte man mit den
armen Teufeln haben.
„Ihr seid zum Kriegsdienst gepreßt wor¬
den?" fragte er, um den Gefangenen eine
Möglichkeit zum straflosen Davonkommen zu
gewähren.
„Nein!" erwiderte der Wortführer der Ge¬
fangenen sofort stolz. „Im Schillschen Korps
dienen nur Freiwillige, und wir alle sind aus
eigenem Antrieb zu ihm gestoßen!"
Das Gesicht des Generals umwölkte sich-
Sollte er die jungen Leute Narren heißen,
daß sie die von ihm gebaute Brücke nicht
gehen wollten? Hol's der Teufel, Schneid
haben sie! Auch er liebt sein Vaterland, und
wenn er diese Bengels als Soldaten zu be¬
trachten hat, dann muß er Napoleons strikten
Befehl ausführen und sie erschießen lassen.
Das ist ihm zuwider. Er ist Soldat und kein
Henker; er kämpft nicht mit halben Knaben.
Was soll er tun, damit er nicht gezwungen
ist, sie auf Grund ihres offenen Bekenntnisses
hinrichten zu lassen?
Er blickte seinen Adjutanten an und sagte
achselzuckend:
Episode aus hetoischer Zeit eizählt von H. Lehr
„Verabreicht jedem dieser ihren Eltern
davongelaufenen Jungen ein halbes Hundert
Hiebe! Das wird sie zur Besinnung bringen!"
Zornrot sprang da der Wortführer der
Gefangenen vor die Front.
„Herr General!" rief er, „wir haben als
brave Soldaten gefochten! Wenn es kein
anderes Urteil gibt, dann laßt uns als brave
Soldaten sterben! Schläge wären in unserem
Fall unwürdiger für den, der sie geben läßt,
als für die, welche sie wehrlos hinnehmen
müssen!"
Betroffen blickte d' Albignac in das ent¬
schlossene Gesicht des jungen Mannes. Der
Kerl gefällt ihm; sei's drum, das war das
Wort eines Mannes! Aber der Kerl wird
wohl nur dieser eine sein, der die Führung
an sich gerissen hat, da keine Offiziere mehr
zugegen sind; den anderen wird das Gebein
schlottern und werden die Zähne klappern.
Langsam ging er die kurze Front entlang
und blickte Mann um Mann in die Augen.
Er staunte. Von Angst und Todesfurcht
war da nichts zu erkennen. Aus allen Augen
leuchteten ihm die gleiche männliche Ruhe,
Härte und Entschlossenheit entgegen, lieber
unter den Kugeln des Hinrichtungskomman¬
dos zu sterben, als sich schlagen zu lassen.
Weiß Gott, diese Kerls waren keine Knaben
mehr, oder wenn sie es dem Alter nach noch
teilweise waren, so waren sie im Kampfe hart
geworden. Das waren Kämpfer, deren Geist
einst vielleicht weittragende Entscheidungen
herbeiführen wird. Ob man will oder nicht,
man muß Achtung vor ihnen und ihrer Vater¬
landsliebe haben.
„Weshalb kommt ihr nicht zu uns, wenn
ihr Soldaten werden wollt?!" fragte er.
„Führt mein Kaiser nicht das glänzendste
Heer, das die Welt je gesehen hat? Trägt
nicht jeder seiner Soldaten den Marschallstaö
im Tornister? Laßt euch anwerben, dann
entgeht ihr jeder Strafe!"
Der Wortführer der Gefangenen lächelte in
ruhiger Zurückweisung.
„Nein, Herr General! Wir sind keine
Landsknechte, die ihr Leben gegen Sold ver¬
kaufen; wir sind Deutsche, die für die Freiheit
ihrer Heimat kämpfen."
Der General zuckte die Achseln. Er schien
aber doch mit keiner anderen Antwort gerech-
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