wesen. Solange die Sicht hielt, war ich ge¬
rettet; denn durch das Glas konnte ich beob¬
achten, daß man mich entdeckt hatte und mir
zuwinkte. Nach zwei Stunden hatte ich die
Hütte erreicht, wo ich mich von den Strapazen
des ersten Tages rasch erholte. Man riet
mir hier von allen Seiten von einem wei¬
teren Aufstieg als Alleingänger ab, warnte
mich vor fast unüberwindlichen Spalten und
erzählte mir, daß in der oberen Hütte bei
4500 Meter schon viele Bergsteiger bergkrank
geworden und gestorben wären. Doch nichts
konnte mich von dem einmal gefaßten Plan
abbringen, selbst nicht das edle Anerbieten
eines zufällig dort eingetroffenen Herrn
Kaiser aus Homburg (Saar), welcher mich
bereitwilligst einlud, an seiner Seilschaft mit
zwei Bergführern teilzunehmen. Ich w o l l t e
den Berg erzwingen und mußte ihn des¬
halb bezwingen.
Mitternacht lag über der Hütte, der Voll¬
mond lachte durch ein kleines Fenster in mein
Gesicht und die Firnkronen leuchteten golden
im Mondenschein. Schnell machte ich mich
fertig und verließ lautlos die stille Hütte,
damit mir keiner spurte; denn nachdem ich
alle gutgemeinten Ermahnungen abgelehnt
hatte, wollte ich unter keinen Umständen im
Gängelbande anderer gehen.
Es machte mir besonderen Spaß, für die
ortskundigen Führer die Stiegen im Eise zu
schlagen.
Als ich mich einsam in der weißen, vom
Vollmonde überstrahlten Bergesstille befand
und das Flimmern der klaren Sterne in der
eisigen Nacht betrachtete, überfiel mich eine
sonderbare Stimmung. Wie ein Prinz in
einem Märchen aus Tausend und einer Nacht
kam ich mir vor, fern von aller Erdenschwere,
in einer anderen, schöneren Welt.
Doch rasch wurde ich aus meinen Träumen
in die rauhe, kalte Wirklichheit zurückgerufen;
denn harte Arbeit kann keine Träumer ge¬
brauchen. Die Temperatur betrug etwa 15 ° C
unter 0 und ein leichter Wind kam auf. Der
Schnee knirschte unter den Füßen und beim
jedesmaligen Vorsetzen des Eispickels.
Mit zunehmender Höhe stiegen auch die
Schwierigkeiten und Beschwerden, welche
durch den geringen Luftdruck verursacht wur¬
den. Das Herz pochte; doch rasten durfte ich
nicht, sonst könnte mich die Führerpartie
überholen und das wäre jetzt für mich das
Schlimmste. Die 60 Pfd. auf dem Rücken wur¬
den immer aufdringlicher, aber auch vielleicht
immer unentbehrlicher. Mit Schokolade und
Eiskörnern erfrischte ich meinen Körper.
Bald stellte sich rauher Wind ein und meine
Nase blutete, wohl infolge der Anstrengung
in dieser Höhe. Doch hier lernt man bald
andere Sitten wie bei uns im Tiefland. Der
Einfachheit halber und weil man hier oben
andere Sorgen hat, wurde einfach mit dem
Wollhandschuh an der Nase vorbeigewischt.
Die Finger waren steif gefroren bei der
Mordsarbeit in Schnee und Eis und der
Atem war glühend heiß. Zu allen Strapazen
schlug der Wind um zum schönsten Sturme,
und jetzt begann ein Ringen mit dem weißen
Herrscher, der oftmals weißer Tod genannt
wird. Doch leicht sollte er es nicht mit mir
haben, ich mußte über ihn siegen!
Mit aller Ruhe nutzte ich das Gelände so
aus, daß ich beim steilsten Anstieg den Wind
im Rücken hatte und der Rucksack infolge¬
dessen gehoben und mir auf den Rücken ge¬
preßt wurde. Die Arbeit war merklich leich¬
ter, ich gewann stetig Höhe und mußte mir
nur beim Ueberschreiten einer freien Fläche
den Wind von der linken Seite gefallen
lassen.
Das Gesicht war im Eis erstarrt, der Kopf¬
schützer war ein Strumpf aus Eiskristallen
geworden. Es war höchste Zeit, daß ich die
Vallothütte in 4500 Meter erreichte. Zwar
bot diese vergrößerte Hundehütte wenig
Schutz, aber für Erschöpfte ist sie ein Palast.
Etwas gegen den Sturm geschützt, konnte
ich mich rasch erholen und in guter Verfassung
der später eintreffenden Führerpartie ent¬
gegentreten.
Die zweite Etappe war glücklich überwun¬
den; jetzt sollten die letzten 307 Meter ge¬
nommen werden! Da ich wieder bis hierhin
zurückmußte, ließ ich alles Gepäck liegen und
ging dann mit der jetzt von der Erschöpfung
ausgeruhten Führerpartie im Sturm zum
Angriff auf den Gipfel über. Meine frü¬
heren Bedenken gegen gemeinsames Auf¬
steigen waren leicht überwunden, da ja hier
jeder auf sich s e l b st- gestellt war. —
Was jetzt kam, war ein Kampf mit dem
Element. Der Berg hatte sich schon ergeben,
aber der eisige Sturmwind war wahnsinnig
geworden. Die Kleider wurden durchblasen
und der Körper wurde blau vor Kälte; es
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