rohr der unterdrückten Saarbevölkerung sein
wird, ganz besonders in den Zeiten, in denen
die Saarpresse mundtot gemacht ist. Als in
Saarbrücken die ersten Mitglieder der vom
Völkerbundsrat ernannten Regierungskommis¬
sion eintreffen, nimmt die Bevölkerung von
ihrem Einzug kaum Notiz und die zum Empfang
vorher besonders eingeladenen Zeitungen blei¬
ben den Empfangsveranstaltungen absichtlich
fern. Kein Vertreter der Saarpresse nimmt
daran teil. Die erste große Regierungsprokla¬
mation wird von der Presse unv der Bevölke¬
rung mit größter Vorsicht aufgenommen. Die
Zeitungen betonen, daß die Bevölkerung an der
Saar deutsch ist und deutsch bleiben will und
das ihr aufgebürdete Schicksal als ein großes
Unrecht empfindet, jedoch in der Erwartung,
daß die Regierungskommission streng neutral
ihres Amtes walten werde und es als ihre erste
Aufgabe betrachte, für das Wohlergehen der ihr
anvertrauten Bevölkerung zu sorgen, zur Mit¬
arbeit bereit ist.
*
Reichswehr in Saarbrücken
Jubel an der Saar
März 1920: Die Abordnungen der inter¬
nationalen Kommission, die die Grenze des
Saargebietes feststellen soll, treffen in Saar¬
brücken ein. Die deutsche Abordnung wird von
Oberstleutnant von Tylander geführt. Als
er mit seiner Begleitung (Offiziere und Mann¬
schaften der Reichswehr) in Saarbrücken ein¬
trifft, geht der Ruf: „Reichswehr, deutsche
Reichswehr in Saarbrücken!" von Mund zu
Mund wie ein „Lauffeuer" durch die Stadt.
Bald haben sich Tausende und aber Tausende in
der Bahnhofstraße vor dem Hotel „Rheinischer
Hof", in dem die deutsche Abordnung Wohnung
genommen hat, versammelt. Seit dem 23. No¬
vember 1918 hat man an der Saar keine deut¬
schen Soldaten in Uniform mehr gesehen'Reichs¬
wehr in Uniform überhaupt noch nicht. In den
nächsten Tagen kommt jung und alt aus dem
ganzen Saargebiet nach Saarbrücken, um die
deutschen Reichswehrsoldaten zu sehen und an
ihrer Huldigung teilzunehmen. Immer wieder
bringt die, namentlich in den frühen Abend¬
stunden, nach Zehntausenden zählende Menge
stürmisch begeisterte Hochrufe auf Deutschland
und die Reichswehr aus. Entblößten Hauptes
wird das Deutschlandlied gesungen, andere
patriotische Lieder folgen. Sobald sich Reichs¬
wehrsoldaten auf der Straße sehen lassen, wer¬
den sie auf die Schultern gehoben und unter
Jubel und Gesang durch die Menge getragen.
Ein wahrer Freudentaumel hat die Masie er¬
faßt Oberstleutnant v. Xylander wird von
der Menge immer wieder herausgerufen und
jubelnd begrüßt.
Die Franzosen sind fast im wahrsten Sin
des Wortes sprachlos ob dieser Begeisterung,,
dieser spontanen, stürmischen, aber völlig fr«
lichen Demonstration. So fassungslos, daß ft
uniformierter Franzose zu sehen ist und sie ni-
wissen, was getan werden kann. Gewaltj,
vorgehen gegen eine fast hunderttausendköH
friedlich demonstrierende Menge, die nichts i
dcres will als ihrer großen, ja heiligen j
geisterung für ihr Vaterland und ihrer Fre»
über die Anwesenheit deutscher ReichswehrsoL
ten Ausdruck zu verleihen, scheint ihnen H
sichtlich nicht ratsam, zumal sie annehmen mH
daß es bei einem gewaltsamen Vorgehen s,
wahrscheinlich zu größerem Blutvergießen kr
men werde und sie — wenn auch völlig uni
rechtigt — noch damit rechnen, doch ei«
nennenswerten Teil der Bevölkerung für Fm
reichs Saarpläne gewinnen zu können. £
halten sich daher geflisientlich zurück. Die M
kann infolgedessen fast 8 Tage lang ungestört
Saarbrücken für ihr geliebtes Vaterland dem
ftrieren, so lange, bis alle dagewesen sind ii
an dem großen Erlebnis teilgenommen hab
Erst als die Ansammlungen geringer weck
treten die Franzosen auch mit Absperrungs- u
Säuberungsmaßnahmen in Erscheinung, l!
wie schließlich jede Kundgebung ein Ende find
so flaut auch diese allmählich ab. Aber tu
lange nachher erzählt man sich immer wies
freudestrahlend im ganzen Saarlande davon
Tie saarländischen Beamten
im Kampf um ihr Recht
August 1920: Wieder wird der Bel«:
rungszustand über das ganze Saargebiet r>
hängt. Die größeren Städte, besonders 9k
brücken und Neunkirchen, aber auch das gm
Sulzbach- und Fischbachtal glichen einem riesig
französischen Heerlager. Alle möglichen Trupp
— weiße, gelbe, schwarze — und die verschick
sten Waffenarten sind vertreten. Panzeraul
Tanks, Geschütze aller Art werden durch !
Straßen geführt und auf öffentlichen Plätzen u
vor Gebäuden, auch vor Zeitungsgebäuden, ai
gestellt. Man glaubt, es sei eine große Schle
in Vorbereitung.
Was ist die Ursache dieser Kriegsspielm
Nun, die saardeutschen Beamten sind in d
Streik getreten. Nach monatelangen Verhol
langen über den Inhalt einer von !
Regierungskommission ausgearbeiteten Beaml
Dienstordnung setzt die Regierungskommiß
plötzlich ein neues Veamtenstatut in Kraft, ok
die von den Beamten beanstandeten wesi
lichen Verschlechterungen gegenüber der bis
geltenden deutschen Dienstordnung aus ihm l
auszunehmen. Die Beamten antworteten mit!
Verkündigung der Streiks. Ein solcher Streik
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