Full text: 64.1936 (0064)

Bursche war er herkommen und harte auch im 
j Ort geheiratet. Mit einem freundlichen Kopf- 
! nicken wandte er sich zu dem immer ein wenig 
schwärmenden Nickel: „Da hat es sich gefreut," 
! wiederholte der Steiger langsam, „das will ich 
wohl glauben." 
Sie waren jetzt auf der Sohle angelangt. Ein 
! Arbeiter trat auf sie zu und mahnte sie zur 
' Vorsicht, da es Steinschlag gegeben hatte. Der 
Obersteiger habe die Sache bereits untersucht, 
i es scheine keine große Gefahr zu sein, aber bei 
jeder verdächtigen Bewegung des Gesteins sei 
die Arbeitsstätte sofort zu verlassen. 
„Wird nicht so schlimm sein," sagte der Nickel 
und ging an seine Arbeit. Er dachte dabei häufig 
an die Uhr, die er Bäbchen gemacht hatte. Ob 
sie wohl noch ging? Und ob die Kleine, wenn 
sie so mit ihrer Uhr spielte, auch ein bißchen an 
ihn dachte? 
Ei freilich tat sie das. Jetzt eben stand sie 
! mitten auf der Dorfstraße, hielt die Uhr in der 
Hand und ließ hin und wieder ganz besonders 
Begünstigte unter den Spielkameraden einen 
scheuen Blick auf das Zifferblatt werfen. Dann 
fragte wohl jemand, ob denn die Uhr auch ginge. 
, Und Bäbchen hielt zum Beweise dessen ihre Uhr 
! ganz dicht den Zweiflern ans Ohr. Dann gab es 
ein Staunen und Raunen. „Das Bäbchen hat 
eine richtige Uhr!" „Ich bekomme auch eine, 
wenn ich groß bin." „Ich habe eine in der Stadt 
* gesehen." 
Das aber wollte das Bäbchen nicht dulden. 
„Die ist aber nicht so schön wie meine. Meine 
hat mein Papa selbst gemacht. Das ist eine 
i ganz besondere Uhr." 
Und dann spielte man weiter. 
Auf einmal ging die Sirene der Grube. Schon 
sahen die Kinder Männer und Frauen nach dem 
Schacht laufen. Sie ahnten, was diese Auf- 
j regung zu bedeuten hatte, und als die große 
Eirene immer lauter heulte, da war manchen 
von ihnen das Weinen sehr nahe. Ehe Bäbchen 
noch ganz begriff, was eigentlich geschehen war. 
. war schon die Mutter bei ihr und schloß es in 
die Arme. 
„Komm nach Hause, Bäbchen," sagte sie mit 
I eigenartigem Stocken in der Stimme. Sie nahm 
{ das Kind auf den Arm und trug es ins Haus. 
Die Kleine sah, wie die Mutter die Hände in¬ 
einander legte und die Lippen bewegte. Ihre 
Neugier war erwacht. 
„Was machst du denn, Mutti?" fragte sie. 
„Ich bete, Kind. Dein Vater ist im Schacht, 
1 und es ist ein Unglück geschehen." 
Das Kind faßte noch immer nicht die ganze 
Schwere der Gefahr. Es sieht nur, wie die 
Mutter die Lippen bewegt und so still und 
traurig ist, sieht, wie eine große Träne über 
ihre Wangen rollt. Und in heißestem Mitgefühl 
geht es auf die Mutter zu und nimmt ein 
Zipfelchen der Schürze, um ihr die Träne ab¬ 
zuwischen. 
Dg faßt die Frau ihr Kind: 
„Ich halte die Ungewißheit nicht mehr aus. 
Komm!" 
Am Schacht stehen die Menschen. Eben ist 
eine Rettungskolonne eingefahren und versucht, 
die Kameraden zu bergen, die durch einen plötz¬ 
lich losbrechenden Steinschlag verschüttet sind. 
Die Herren von der Direktion sind da, und auch 
der Obersteiger steht unter ihnen. 
„Was ist?" fragt Nickels Frau. 
Der Gefragte sieht sie lange an. „Sie werden 
schon kommen," sagt er dann. „Wir alle wagen 
unser Leben für ihre Rettung." 
Es ist gut, denkt die junge Frau. Nun ist es 
gut. Die da, die werden nicht ruhen, ehe die 
Kameraden befreit sind. Sie sind ein und das¬ 
selbe. 
Jetzt hebt sie das Kind in die Höhe und 
flüstert: „Dein Vater ist im Schacht und kann 
nicht heraus." 
Eine neue Kolonne unter Führung des Ober¬ 
steigers fährt ein. Aber Bäbchen hat für alle 
diese Vorgänge kein Interesse mehr. Der Vater 
ist im Schacht und kann nicht heraus. Dieses 
Wort hat sich mit Zentnerlast auf das Herz des 
Kindes gelegt, und den Augenblick, in dem die 
Mutter es auf den Boden gestellt, hat Bäbchen 
benutzt, um fortzulaufen, irgendwohin. 
Unterdessen sitzt Nickel neben dem Steiger aus 
engem Raum auf der Sohle. Der Steinschlag 
hat nachgelassen, aber die schweren Brocken 
türmen sich über dem Stollenzugang, und wenn 
die da oben nicht schnell machen, dann kann es 
bald wieder losgehen. 
„Das kleine Bäbchen," sagt der Steiger, „spielt 
jetzt mit ihrer Uhr." 
„Glaubst du?" 
„Kinder empfinden nicht so wie Erwachsene. 
Vielleicht weiß sie gar nichts von uns. Ich habe 
meiner Frau gesagt, sie solle nie den Kopf ver¬ 
lieren, wenn sie einmal von einem Unglück bei 
uns hört. Alles ist ja schließlich Schicksal, nicht 
wahr? Aber ich glaube doch, daß Bäbchen jetzt 
mit allen Gedanken bei mir ist. Das Kind, mutzt 
du wissen, hat mich sehr lieb." 
Der Steiger lächelte. 
Die Kleine ist in den Wald gelaufen. In ihrer 
wirren Angst hat sie nur das eine Gefühl, dem 
Vater zu helfen. Und sie hat gehört, daß es 
einen guten Geist gibt, der im Walde zu finden 
ist und der den Kindern alle Bitten erfüllt. 
Aber der Geist ist unsichtbar, man muß ihn mit 
Geschenken locken. Bäbchen hat an Kostbarkeiten 
nur ihre Uhr. Die legt sie jetzt auf einen Baum¬ 
stumpf, bleibt einen Augenblick stehen und 
spricht: 
1AS
	        
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