„Wie hat er denn geheißen, Ihr Toter?"
fragt er.
„Josef Schmidbauer!"
Arthur greift in die Brusttasche und reicht
der Frau ein kleines Bildchen. Sie weint aus:
„Wie kommen Sie zu diesem Bilde? Es ist mein
Bild, das ich Sepp mit ins Feld gegeben habe."
Da legt Bogner seine Hände auf das weiße
Haar des Mädchens. „Lange habe ich dich ge¬
sucht," sagt er leise, „lange, denn ich schulde dir
viel: das ganze Leben deines Liebsten, das dir
gehörte und das er mir schenkte in treuester
Kameradschaft."
Hand in Hand treten die beiden vor die
Steine, die die Namen ihrer Toten tragen.
Da ist es ihnen plötzlich, als teilten sich die
Schleier der Nebel. Die Steine vor ihnen ver¬
sinken, der dumpfe Ton von Trommeln erklingt
aus der Ferne: strahlendes Sonnenlicht huscht
über Stahlhelme und feldgraue Uniformen. In
endlosen Reihen ziehen sie vorüber die kraft¬
vollen Gestalten überschüttet von einem Regen
duftender Blumen: aus tausenden von Kehlen
erklingt ein bekanntes Lied:
„Die Vöglein im Walde, die sangen so
wunder-wunderschön,
2n der Heimat, in der Heimat, da
gibt's ein Wiedersehn!"
„Hörst du ihren Gruß?" fragt die Frau. Sie
grüßen uns aus unserer wirklichen Heimat, aus
der Heimat der Seelen, in die sie uns voraus¬
gegangen sind und in der wir sie wiederfinden
werden!"
Und dann lodert es auf um die beiden: ge¬
waltige Flammen, die sich zu einem leuchtenden
Wunder verbinden. Opferfeuer sind es! Die
Opferfeuer der Toten, die ihr Höchstes gaben für
die Lebenden; und die Opferfeuer der Lebenden,
die Sehnen und Entsagung schleppen, im An¬
denken an die Toten.
Weg ins neue Leben
(^^räulein Dr. Margot Heiderich, zweite
iV Assistentin der Chirurgischen Klinik, wurde
( / um zwei Uhr früh durch ein Klingeln aus
dem leichten Schlaf geweckt. Mechanisch griff sie
nach dem Hörer des Telefons am Tischchen neben
dem Diwan. Gleich darauf war sie auf den
Beinen, denn von der Aufnahmekanzlei des
Krankenhauses hatte man gemeldet, daß soeben
ein schwerer Fall eingeliefert worden sei. Rasch
strich sich die Aerztin vor dem Spiegel durch das
Haar, fuhr in den weißen Mantel und verließ
leichtfüßig das Dienstzimmer. Als sie den Opera¬
tionssaal betrat, waren schon Krankenschwestern
damit beschäftigt, den Notverband von der Brust
eines bewußtlosen Mannes zu lösen. „Herzschuß",
sagte die Oberschwester zur Aerztin, „ein Selbst¬
mörder." Dr. Heiderich trat an den Operations¬
stuhl heran und untersuchte den Patienten. Die
Kugel war durch die linke Brustseite gegangen
und zwischen den Schultern wieder ausgetreten;
dabei mußte sie das Herz durchbohrt haben. Der
Puls war kaum mehr wahrnehmbar, der Patient
lag im Sterben. Die Aerztin trat zurück und
überlegte einen Augenblick lang. Bevor man den
Chefarzt verständigte und dieser aus seiner
Wohnung hier eintraf, würde der Patient tot
sein. Wenn sie einen Versuch wagen würde?
Gelang er, dann könnte der Mann gerettet sein,
und sie hatte sich einen Namen gemacht. Starb
er ihr aber unter den Händen, trug sie die Ver¬
antwortung. Eine Sekunde lang zögerte sie, dann
wandte sie sich mit energischem Ruck den Schwe¬
in
Von R. Z. Urbanetz
stern zu: „Herzoperation?" Betroffen sahen sich
die Frauen an, begannen aber sogleich mit ziel¬
bewußter Hast die Vorbereitungen zu treffen.
Nachdem sich die Aerztin bereitgemacht hatte,
blieb ihr noch eine Minute Zeit. Ihr beruflicher
Ehrgeiz, eine große Tat zu vollbringen, und das
bevorstehende Wagnis versetzten sie in fieber¬
hafte Erregung. Den Verletzten hatte sie mit
ernster Sachlichkeit bisher nur als „Fall" be¬
trachtet. Nun erst erwachte in ihr das rein
menschliche Interesse, da ihr Blick aus des
Mannes Antlitz fiel, das schon von den Schatten
des Todes gezeichnet war. Ein seltenes, klassisch
scharf geschnittenes Gesicht. Wer war er, woher
kam er. und welches Schicksal hatte ihn ihr zu¬
geführt, damit es durch sie entschieden werde?
Zum ersten Mal, seitdem sie ihren ernsten Beruf
ausübte, beschlich sie ein banges Gefühl Die
Meldung der Operationsschwester, daß man be¬
reit sei, rief sie in die Wirklichkeit zurück. Die
junge Aerztin wusch sich noch einmal die Hände,
band ein weißes Tuch vor den Mund und trat
an den Operationstisch. Schweigend begann sie
ihr schweres Werk. Man hörte nur das leise
Klirren der Instrumente und das Summen der
Bogenlampe an der Decke.
„Ich gratuliere, Frau Doktor", sagte am näch¬
sten Tag der Chef zu seiner Assistentin, „der
Mann ist gerettet. Sie haben Karriere vor sich."
So war es auch. Die Nachricht von der gelunge¬
nen Herzoperation der jungen Aerztin erregte
Aufsehen und machte bald die Runde durch die
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