Heimat
/'£■' in großer, hagerer Mann mit bekümmer-
iy ten Zügen und tiefernsten Augen, im
Aeußeren von schäbiger Eleganz, trat mit
einem Handköfferchen ins kleine Dorf.
„Lebt die alte Auguste Driemer noch?" fragte
er bangen Herzens mit beherrschter Stimme den
ersten besten Einheimischen, der ihm begegnete.
„Ja freilich!" erwiderte der Bauer, und wie
ein Alp sank es von der Brust des Fremden.
„Danke schön!" schwang seine Stimme freudig
erregt. „Sie wohnt doch noch in ihrem alten
Häuschen?"
Der Befragte nickte.
„Ein alter Baum verpflanzt sich nicht leicht."
„Da haben Sie allerdings recht," lächelte der
' Hagere, und es zeigte sich bei diesem Aufhellen
! seines Gesichtes, daß er jünger war, als er erst
; schien. „Nur die Zeiten waren so bewegte, lieber
Mann," fügte er aus ernster Erfahrung hinzu,
„daß es manchmal auch Tiefwurzelndes erschüt¬
terte!"
Eine Frage wollte sich jetzt von den Lippen
! des Bauern lösen, aber der andere zog schon den
Hut und wendete sich zum Gehen. Er schien es
eilig zu haben. Ein langer, sinnender Blick flog
ihm hinterdrein.
Nach ein paar Minuten stand der Fremde
vor der kleinen Tür eines niederen, gebückten
Häuschens. Er fühlte sein Herz bis zum Halse
schlagen und atmete tief. So ein paar Augen¬
blicke voll ernster Besinnlichkeit. Dann drückte
er auf die Klinke und beugte unwillkürlich den
hohen Wuchs. Bescheiden wie die Pforte, war
es auch drinnen. Nah rückten hier die Wände,
greifbar die Decke. Einmal hätte er darüber
gelächelt, denn die Welt war ja weit und groß,
nun er aber wußte, daß sie auch unbarmherzig
und trügerisch war, da empfand er diese Enge
wohltuend, warm umschließend und behütend.
Er klopfte mit zitterndem Knöchel an einer
Tür. Ein Brennen lief über sein Gesicht, und er
schmiegte sein Ohr an das Holz.
„Herein!" klang eine Stimme schwach und fein
und überrieselte sein Herz mit seligen Schauern.
Nun stand er auf der Schwelle, der große
Mann. klein und demütig, einem Bettler gleich,
Hut und Köfferchen sanken ihm aus der Hand,
und er konnte die Tränen nicht halten.
„Mutter, vergib!" lallte er und lag im näch¬
sten Augenblick vor der Greisin auf den Knien.
Von Fritz Kaiser-Ilmenau
Der Strickstrumpf war ihren nimmermüden
Händen entglitten. Mit bebender Zärtlichkeit
lagen sie jetzt an des Sohnes Wangen.
„Sprich nicht von Schuld, mein Junge,"
schluchzte die dünne Stimme, „ich hab' mir's
doch immer gesagt, dein Christian vergißt dich
nicht! — Komm, steh auf und setz dich neben
mich. Ich bin ja die glücklichste Mutter der
Welt."
Beschämt und erschüttert vernahm der Sohn
dieses Evangelium der Güte und Glaubenskraft
der schon ans Göttliche grenzenden Liebe, und
reumütig riß er den Schleier von seiner Ver¬
gangenheit.
„Mehr als zehn Jahre ging es mir gut. Der
Undankbare dachte der.darbenden Mutter nicht.
Darum wohl kam der Fluch des Schicksals über
mich. Ich ward leicht, vertat mein Geld mit
leichten Frauen, die harte Not der Zeit kam
dazu, so wurde ich der Bettler, der ich heute
bin."
Fast röchelnd, stockend endeten die Worte.
„Nicht doch, Christian, sprich das nicht. Ich
habe das Häuschen gehalten, den Acker und die
Wiese, und eine Kuh ist auch noch im Stall. Ich
nähte, flickte und strickte für die Leute. So
ging's ganz gut. Für wen tat ich's anders, als
für dich, Christian! Wir brauchen beide nicht zu
hungern. Gott sei Dank!"
Die alten, zitternden Hände rafften den Hin¬
gesunkenen auf.
„Freu dich doch, mein Junge!" ermunterte,
streichelte und küßte ihn die Weißhaarige und
suchte zärtlich seinen Blick.
Mit heißen Augen und brennenden Wangen
stand der Mann vor dieser kleinen, mageren
Frauengestalt wie vor einer Heldin und Schick-
salsbezwingerin.
„Mutter, was wäre ich ohne dich!" brach es
ihm aus tief innerer Bewegung von den Lippen.
„Ein hoffnungsloser Schiffbrüchiger im wilden
Ozean. Bei dir ist das rettende Eiland! So hat
es der Himmel doch noch gut mit mir gemeint.
Gottes Segen auf dich, Mutter!"
Ein Schluchzen lag im Raum, und lange fiel
kein Wort.
Wann zuletzt hatte die schlichte Stube im ge¬
bückten Häuschen soviel Glück gesehen! »