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Zum 200, Todestage Defoes
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von Johannes Calaminus.
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as XVII. Jahrhundert ist in unserer Literatur
bekanntlich die Geburtszeit des nunmehr die
Stelle der früheren großen Epen einnehmenden
P r o s a r o m a n s. Nicht, als ob man vorher keine
Prosaerzählungen gehabt hätte. Aber was diesen
neuen Roman, seiner Art nach, sich grundsätzlich von
den bisherigen unterscheiden ließ, war zweierlei,
wodurch er unserem modernen Empfinden sich
näherte: einmal, daß man an die Stelle der bis¬
herigen Helden, der Könige und Ritter, der Zauberer,
Elfen und Feen einfache Leute aus dem Volke setzte,
auch im Gegensatz zu der schwülstigen und mit ge¬
lehrtem Beiwerk überladenen Form der bisherigen
„Poeten" sich einfach und klar zu schreiben bemühte.
Denn mögen sie, namentlich mit ihren langen Titeln,
uns heute auch immerhin umständlich vorkommen,
so war es doch die damalige Umgangssprache des
Volkes! — Das andere aber ließ dre neue Dichtung
sich namentlich von den bisherigen Volksbüchern
unterscheiden:. daß nämlich an die Stelle der bis¬
herigen Wunder und Unwahrscheinlichkeiten wie
derber Schwänke die Schilderung wirklichen Lebens
trat. Der furchtbare 30jährige Ärieg, der die ganze
Kulturwelt in Mitleidenschaft gezogen, gab den
Hintergrund ab; wirkliche traten an Stelle erdichteter
Örtlichkeiten und Begebenheiten. Grimmelshausens
„Simplizisfimus" ist das Meisterwerk, das auch heute
noch nicht seine Wirkung verloren hat. — Aber das
Elend jener Zeit war auch ein Grund, daß man sich
ans seiner Heimat hinwegsehnte; die vielfache Berüh¬
rung mit Kriegsvolk aus fremder Herren Länder tat
das ihre dazu: so ward schon eine der Fortsetzungen
des „Simplizisfimus" der erste Reiseroman in
dem Sinne, wie wir diesen Begriff heute auffassen.
Aber während man sich in Mitteleuropa in kriege¬
rischen Kämpfen zerfleischte, hatten die Bürger an¬
derer, glücklicherer Länder Schiffahrt, Handel und
Kolonisation fremder Erdteile getrieben. Manch ein
Seemann hatte draußen in der Ferne wohl Schiff¬
bruch erlitten, und sein Schicksal war zur Poesie
geworden: denken wir nur an die Sage von Myn¬
heer Vanderdecken, den: „fliegenden Holländer", in
dem sich das Treiben der Jndienfahrer verkörperte!
Nun geschah es im Jahre 1704, daß ein schottischer
Matrose, Alexander Selkirk, auf der menschenleeren
Insel Juan Fernandez*) ausgesetzt wurde und dar¬
auf bis zum Jahre 1709, wo ihn ein zufällig vorbei¬
kommendes Schiff aufnahm, Hausen mußte. Durch
diese Erzählung angeregt, erschien im Jahre 1719 in
London ein Roman « Life and stränge surprising
adventures of Robinson Crusoe », ein Buch, das
in der ganzen Welt einen beispiellosen Erfolg haben
Eine 95 km® große vulkanische Insel im Stillen Ozean, 700 km
vom Valvarai'0, zu Chile gehörig.
sollte. — Verfasser desselben war der Mann, dessen
Todestag am 26. April ds. Js. zum 200. Male sich
jährt und uns so Veranlassung gibt, uns näher mit
ihm zu beschäftigen: Dan i e l D e s o e.
Defoe, der 1660 oder 61 in London geboren ist,
war der Sohn eines Metzgermeisters und gleich
seinem Vater ein eifriger „Dissenter" *). Ursprüng¬
lich für die geistige Laufbahn bestimnlt, wurde er
später Kaufmann, mußte aber um 1692, durch poli¬
tische Verhältnisse gezwungen, Konkurs anmelden.
Seme so gemachten Erfahrungen veranlaßten ihn, in
einer Schrlft « Essay on projects » für ein natio¬
nales Bank- und V e r s i ch e r u n g s -
w e s e n, für Sparkassen und dgl. einzutreten.
Schaute schon aus den Ausführungen dieser Schrift
ein modern anmutender Geist hervor, so erst recht
aus seinen folgenden politischen Schriften, so aus
denen für Wilhelm v. Oranien, den damals in Eng¬
land als Gegenprätendent der Stuarts landenden
späteren König Wilhelni III. von England (1688),
und der gegen die Hochkirchler. Wegen der letzteren
beißenden Satire wurde Defoe zu Pranger und Ge¬
fängnis verurteilt, jedoch gestaltete sich der öffentliche
Schimpf des Prangerstehens durch die Parteinahme
des Volkes für ihn zu einer Triumphszene. Im Ge¬
fängnis begann Defoe eine „Review" zu schreiben,
die erste der englischen Wochenschriften, deren Erfolg
als „moralische" Wochenschrift bald das Entstehen
zahlreicher anderer veranlaßte. So wurde er der
Vater des englisch en Zeitschriften¬
wesens. Auch politisch war Defoe noch vielfach
tätig: namentlich bei den Verhandlungen über die
Union der Königreiche England und Schottland be¬
diente sich die Regierung seiner als Unterhändler, und
er löste seine Aufgabe mit Glück und Geschick..
Defoe hat auch sonst noch vieles geschrieben, nicht
nur politischer Natur, sondern auch weitere Aben¬
teurerromane; ferner in dem Journal of the Plage
eine berühmte Schilderung der Pest von 1666 ge¬
geben, und endlich auch in «Moll Flanders» das
Gebiet des Sittenromans mit großem Erfolg be¬
treten: doch diese seiner Schriften sind heute nur
noch wenigen bekannt, der „Robinson" aber blieb
erhalten. War doch auch in ihm der moralische Ge¬
danke besonders stark, da er den Schwerpunkt in die
Entwicklung eines Charakters legt, der alles eigener
Kraft verdankt. Und ' dieser moralische Grundzug
wurde noch mehr betont in den Fortsetzungen, die
Defoe dem Romane gab. Kein Wunder, daß das Werk
nicht nur in alle Kultursprachen übersetzt wurde und
seinen Weg durch die ganze zivilisierte Welt machte
(sogar bei den Arabern wurde es unter dem Namen
"Perle des Ozeans" ein Lieblingsbuch), sondern daß
*) D. h. ein nicht ,ur offiziellen englischen Hoch- oder Staats,
kirche gebö eitörr Christ.