Full text: 59.1931 (0059)

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sRobinfonaden. 
Zum 200, Todestage Defoes 
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von Johannes Calaminus. 
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üot? aus; 
as XVII. Jahrhundert ist in unserer Literatur 
bekanntlich die Geburtszeit des nunmehr die 
Stelle der früheren großen Epen einnehmenden 
P r o s a r o m a n s. Nicht, als ob man vorher keine 
Prosaerzählungen gehabt hätte. Aber was diesen 
neuen Roman, seiner Art nach, sich grundsätzlich von 
den bisherigen unterscheiden ließ, war zweierlei, 
wodurch er unserem modernen Empfinden sich 
näherte: einmal, daß man an die Stelle der bis¬ 
herigen Helden, der Könige und Ritter, der Zauberer, 
Elfen und Feen einfache Leute aus dem Volke setzte, 
auch im Gegensatz zu der schwülstigen und mit ge¬ 
lehrtem Beiwerk überladenen Form der bisherigen 
„Poeten" sich einfach und klar zu schreiben bemühte. 
Denn mögen sie, namentlich mit ihren langen Titeln, 
uns heute auch immerhin umständlich vorkommen, 
so war es doch die damalige Umgangssprache des 
Volkes! — Das andere aber ließ dre neue Dichtung 
sich namentlich von den bisherigen Volksbüchern 
unterscheiden:. daß nämlich an die Stelle der bis¬ 
herigen Wunder und Unwahrscheinlichkeiten wie 
derber Schwänke die Schilderung wirklichen Lebens 
trat. Der furchtbare 30jährige Ärieg, der die ganze 
Kulturwelt in Mitleidenschaft gezogen, gab den 
Hintergrund ab; wirkliche traten an Stelle erdichteter 
Örtlichkeiten und Begebenheiten. Grimmelshausens 
„Simplizisfimus" ist das Meisterwerk, das auch heute 
noch nicht seine Wirkung verloren hat. — Aber das 
Elend jener Zeit war auch ein Grund, daß man sich 
ans seiner Heimat hinwegsehnte; die vielfache Berüh¬ 
rung mit Kriegsvolk aus fremder Herren Länder tat 
das ihre dazu: so ward schon eine der Fortsetzungen 
des „Simplizisfimus" der erste Reiseroman in 
dem Sinne, wie wir diesen Begriff heute auffassen. 
Aber während man sich in Mitteleuropa in kriege¬ 
rischen Kämpfen zerfleischte, hatten die Bürger an¬ 
derer, glücklicherer Länder Schiffahrt, Handel und 
Kolonisation fremder Erdteile getrieben. Manch ein 
Seemann hatte draußen in der Ferne wohl Schiff¬ 
bruch erlitten, und sein Schicksal war zur Poesie 
geworden: denken wir nur an die Sage von Myn¬ 
heer Vanderdecken, den: „fliegenden Holländer", in 
dem sich das Treiben der Jndienfahrer verkörperte! 
Nun geschah es im Jahre 1704, daß ein schottischer 
Matrose, Alexander Selkirk, auf der menschenleeren 
Insel Juan Fernandez*) ausgesetzt wurde und dar¬ 
auf bis zum Jahre 1709, wo ihn ein zufällig vorbei¬ 
kommendes Schiff aufnahm, Hausen mußte. Durch 
diese Erzählung angeregt, erschien im Jahre 1719 in 
London ein Roman « Life and stränge surprising 
adventures of Robinson Crusoe », ein Buch, das 
in der ganzen Welt einen beispiellosen Erfolg haben 
Eine 95 km® große vulkanische Insel im Stillen Ozean, 700 km 
vom Valvarai'0, zu Chile gehörig. 
sollte. — Verfasser desselben war der Mann, dessen 
Todestag am 26. April ds. Js. zum 200. Male sich 
jährt und uns so Veranlassung gibt, uns näher mit 
ihm zu beschäftigen: Dan i e l D e s o e. 
Defoe, der 1660 oder 61 in London geboren ist, 
war der Sohn eines Metzgermeisters und gleich 
seinem Vater ein eifriger „Dissenter" *). Ursprüng¬ 
lich für die geistige Laufbahn bestimnlt, wurde er 
später Kaufmann, mußte aber um 1692, durch poli¬ 
tische Verhältnisse gezwungen, Konkurs anmelden. 
Seme so gemachten Erfahrungen veranlaßten ihn, in 
einer Schrlft « Essay on projects » für ein natio¬ 
nales Bank- und V e r s i ch e r u n g s - 
w e s e n, für Sparkassen und dgl. einzutreten. 
Schaute schon aus den Ausführungen dieser Schrift 
ein modern anmutender Geist hervor, so erst recht 
aus seinen folgenden politischen Schriften, so aus 
denen für Wilhelm v. Oranien, den damals in Eng¬ 
land als Gegenprätendent der Stuarts landenden 
späteren König Wilhelni III. von England (1688), 
und der gegen die Hochkirchler. Wegen der letzteren 
beißenden Satire wurde Defoe zu Pranger und Ge¬ 
fängnis verurteilt, jedoch gestaltete sich der öffentliche 
Schimpf des Prangerstehens durch die Parteinahme 
des Volkes für ihn zu einer Triumphszene. Im Ge¬ 
fängnis begann Defoe eine „Review" zu schreiben, 
die erste der englischen Wochenschriften, deren Erfolg 
als „moralische" Wochenschrift bald das Entstehen 
zahlreicher anderer veranlaßte. So wurde er der 
Vater des englisch en Zeitschriften¬ 
wesens. Auch politisch war Defoe noch vielfach 
tätig: namentlich bei den Verhandlungen über die 
Union der Königreiche England und Schottland be¬ 
diente sich die Regierung seiner als Unterhändler, und 
er löste seine Aufgabe mit Glück und Geschick.. 
Defoe hat auch sonst noch vieles geschrieben, nicht 
nur politischer Natur, sondern auch weitere Aben¬ 
teurerromane; ferner in dem Journal of the Plage 
eine berühmte Schilderung der Pest von 1666 ge¬ 
geben, und endlich auch in «Moll Flanders» das 
Gebiet des Sittenromans mit großem Erfolg be¬ 
treten: doch diese seiner Schriften sind heute nur 
noch wenigen bekannt, der „Robinson" aber blieb 
erhalten. War doch auch in ihm der moralische Ge¬ 
danke besonders stark, da er den Schwerpunkt in die 
Entwicklung eines Charakters legt, der alles eigener 
Kraft verdankt. Und ' dieser moralische Grundzug 
wurde noch mehr betont in den Fortsetzungen, die 
Defoe dem Romane gab. Kein Wunder, daß das Werk 
nicht nur in alle Kultursprachen übersetzt wurde und 
seinen Weg durch die ganze zivilisierte Welt machte 
(sogar bei den Arabern wurde es unter dem Namen 
"Perle des Ozeans" ein Lieblingsbuch), sondern daß 
*) D. h. ein nicht ,ur offiziellen englischen Hoch- oder Staats, 
kirche gebö eitörr Christ.
	        
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