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hang auf den Unterschied zwischen der Stra߬
burger und der Kölner Donilfassade hinzuweisen;
hier die große Rosette, dort statt dessen, gerade so
wie z. B. in Marburg und Regensburg Spitz-
bogenfenster). Überaus schön ist die Harfen-
bespannung der Wand oberhalb der Portale.
Zwei Türme streben
rechts und links der
Fassade empor, beide
gegen den ursprüng¬
lichen Plan unvollendet,
der nördliche, St. Ro¬
main 75, der südliche
Tour de Beurre, 77 m
hoch. Über der Vierung
erhebt sich eine 148 m
hohe eiserne Pyramide,
im 19. Jahrhundert er¬
richtet. Im Innern ist
die Kathedrale 136 m
lang, im Querschiff
52 m breit, und 28 m
hoch gewölbt.
Außer der Kathedrale
sind natürlich noch zahl¬
reiche andere Kirchen
sehenswert, von denen
besonders die Kirche von
Saint-Ouen zu nennen
ist, 1318—99 gebaut,
mit 82 m hohem Turm.
Unter den weltlichen
Bauten ist das größte
Kleinod der Justizpalast,
im 15. u. *16. Jahrhun¬
dert als Parlaments-
nalast erbaut. Wir brin¬
gen ein die prachtvolle
Spätgotik dieses Baues recht zeigendes Bild aus
seinem Jnnenhof.
Im übrigen aber ist Rouen, trotz seiner Alter¬
tümer, mit seinen 125 000 Einwohnern eine mo¬
derne Stadt. Es liegt an der unteren Seine, noch
rund 130 km von der Mündung entfernt, doch
zeigt sein Hafen noch Ebbe und Flut. Statt alles
anderen zitieren wir hier lieber eine Schilderung,
die Friedrich Heymann von ihr in der Frank¬
furter Zeitung (Bäderblatt vom 2. Sept. 1928)
gab:
„Rouen ist ein Rausch. Breit wie der Rhein
drängt sich die Seine heraus aus dem Gewirr
der Hügel im Südosten, umfängt in mächtigem
Schwung eine Insel, strömt weiter, von Brücken
überspannt. Unterhalb der letzten beginnt der
Hafen, der zweitgrößte Frankreichs. Da fast nur
der Fluß selbst als Hafen dient, liegt an beiden
Ufern eine schier endlose Reihe großer Schiffe,
deren Maste kilometerweit den Strom säumen wie
die Bäume einer riesen¬
haften Allee. Ringsum
tobt der Straßenverkehr,
nicht geringer als in Pa¬
ris. (Die Stadt hat nicht
halb soviel Einwohner
wie Frankfurt.) Der
Bahnhof ist, notabene,
der beste, modernste und
sauberste von ganz
Frankreich. Das Leben
auf den Straßen, auf
den Kais, auf der Brücke,
auf dem Fluß ist von
einer unbeschreiblichen,
schönen Intensität. Auf
beideln Seiten des
Flusses, vornehmlich auf
dem rechten Ufer (das
von hier gesehen das
linke ist) ragen die
Türme der vielen großen
Kirchen von Rouen. Alle
diese Türme sind nicht
nur vollendet schön, son¬
dern sie stoßen mit selt¬
samer, wilder Größe in
den Himmel hinein, der
sie nicht sphärisch über¬
spannt, sondern sich
wahrhafüg von ihnen
tragen läßt. Der gro¬
teske Einfall, auf das Dach der Kathedrale einen
schmalen, die Steintürme um 100 Meter über¬
ragenden Turm aus Gußeisen hinauszusetzen, aus
der geradezu wilhelminischen Sucht heraus, diese
wunderbare Kirche zur höchsten der Welt zu
machen — dieser überaus törichte Einfall konnte
nur um Ende des 19. Jahrhunderts geboren
werden. Die Kathedrale ist dennoch herrlich ge¬
blieben, und die Steintürme überragen in der
architektonischen Wirklichkeit um ein vielfaches
das Gußeisengerät. Man kann über diese Kirche
(die herrliche Glasfenster birgt), über viele ihrer
Schwestern und über den gotischen Justizpalast
nur in enthusiastischen Worten sprechen."
Kathedrale zu Rouen.