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Sache weiß, wollen wir ihn gleich in sein Bett
tragen und seinen Tod geheimhalten, bis ich meine
Angelegenheiten in Ordnung gebracht habe. Es sind
Papiere und ist auch Geld da, die ich beide erst in
Sicherheit bringen muß: es wäre wahrhaftig nicht
billig, wenn ich meine besten Jahre ohne Nutzen bei
ihm verschwendet haben sollte. Komm, Toinette;
laß uns vor allen Dingen seinen Schlüssel nehmen...
Argan (aufspringend). Sachte!
Belinde. Hu! (flüchtet hinaus.)
Argan. Ja, Madame! — Das also ist Eure Liebe?
Toinette. Ach du meine Güte! — Der selige Herr
ist also nicht tot?
Argan (Belinden nachrufend). Ich freue mich, end¬
lich zu sehen, wie es mit Eurer Freundschaft steht,
und die schöne Lobrede mit angehört zu haben, die
Ihr mir hieltet. Das war eine Lehre, die mich für
die Zukunft klüger machen und mich von vielem ab¬
halten soll, was ich tun wollte.
Beralde (heraustretend). Nun, Bruder? Hast du's
jetzt gesehen?
Toinette. Meiner Treu, das hätte ich nicht für
möglich gehalten. Aber ich höre Ihre Tochter: legt
Euch wieder hin, wie vorher, und laßt uns einmal
sehen, was s i e zu Eurem Tode sagen wird. Es ist
nicht übel, darüber ins reine zu kommen, und weil
Ihr einmal im Zuge seid, könnt Ihr Euch so am
besten davon überzeugen, wie Eure Familie gegen
Euch gesinnt ist.
Beralde (versteckt sich wieder).
Toinette (stellt sich, als ob sie Angélique nicht sehe).
O du mein Himmel! Ach! — Schreckliches Schicksal!
— Ach, welch ein Unglückstag!
Angélique. Was hast du, Toinette? Woriiber weinst
du?
Toinette. Ach, ich habe eine betrübte Nachricht für
Euch! -
Angélique. Nun?
Toinette. Denkt nur! Euer Vater ist tot.
Angélique. Mein Vater ist tot, Toinette?
Toinette. Ja. Da könnt Ihr ihn sehen! Er ist eben
vor einigen Minuten an einer Ohnmacht gestorben,
die ihn überfiel.
Angélique. O Gott, welches Unglück! Welcher grau¬
same Schlag! Ach! — Muß ich meinen Vater ver¬
lieren, das einzige, was ich auf der Welt hatte, und
noch dazu, um mich völlig zur Verzweiflung zu brin¬
gen, in einem Augenblick, wo er mir zürnte! Was
soll aus mir werden, ich Unglückselige, und wo soll
ich Trost finden nach einem solchen Verlust?
Cleanthe tritt auf. Argan. Angélique. Toinette.
Cleanthe. Was ist Euch, meine teure Angélique?
Worüber weint Ihr?
Angélique. Ach! Ich beweine, was ich im Leben
Liebstes und Unersetzlichstes verlieren konnte; ich be¬
weine den Tod meines Vaters.
Cleanthe. O Himmel, welch ein Schlag! Welches
unerwartete Schicksal! — Ach! Nachdem Euer Oheim
auf meine flehentlichen Bitten meine Werbung bei
ihm übernommen, wollte ich jetzt eben mich ihm vor¬
stellen und es versuchen, durch meine ehrerbietigen
Bitten ihn zu bewegen, daß er mir Eure Hand ge¬
währe.
Angelique. Ach, Cleanthe, lassen wir das ruhen; ich
gebe jetzt alle Heiratsgedanken auf. Nachdem id)
meinen Vater verloren, will ich von der Welt nichts
mehr wissen und entsage ihr für immer. Ja, mein
Vater, wenn ich vorhin deinem Willen entgegen war,
will ich jetzt wenigstens einen deiner Wünsche er¬
füllen, und so den Verdruß wieder gutmachen, den
ich mir vorwerfe, dir verursacht zu haben. (Sie wirft
sich ihm zu Füßen.) Laß mich mein Vater, dir h er
mein Wort geben und in dieser Umarmung meine
Dankbarkeit aussprechen!
Argan (umarmt seine Tochter). Ah, meine Tochter!
Angelique. O Himmel!
Argan. Komm! Fürchte dich nicht, ich bin nicht tot.
Ja, du bist mein echtes Blut, meine wahre Tochter,
und ich freue mich, daß ich dein gutes Gemüt erkannt
habe.
Angelique. Ach, welche Freude! Mein teurer Vater,
weil Ihr mir denn durch das größte Glück vom Him¬
mel wiedergeschenkt seid, erlaubt mir, daß ich Euch
fußfällig um etwas bitte. Wenn Ihr der Neigung
meines Herzens nicht günstig seid — wenn Jhr^ mir
Cleanthen als Gatten weigert, so beschwöre ich Euch,
daß Ihr mich wenigstens nicht zwingt, einen andern
zu heiraten. Das ist die einzige Gnade, um die ich
Euch anflehe.
Cleanthe (wirft sich Argan zu Füßen). Ach, mein
Herr, laßt Euch von unsern Bitten rühren und wider¬
setzt Euch nicht einer so schönen gegenseitigen Liebe.
Beralde. Bruder, kannst du da noch widerstehen?
- Toinette. Herr Argan, könnt Ihr bei so viel Liebe
unempfindlich bleiben?
Argan. Nun, so mag er Arzt werden, dann will ich
die Heirat zugeben. (Zu Cleanthe.) Ja, werdet Arzt,
und Ihr sollt meine Tochter haben.
Cleanthe. Von Herzen gern, Herr Argan! Wenn es
nur daran liegt, so will ich, um Euer Eidam zu sein,
Doktor, ja wenn Ihr wollt, auch noch Apotheker
werden. Das ist nicht der Rede wert, ich täte noch
ganz andere Dinge, um die schöne Angelique zu er¬
halten.
Beralde. Aber Bruder, da fällt mir etwas ein.
Werde doch selbst Arzt! das ist ja noch bequemer, und
du findest dann alles, was du brauchst, in dir selbst.
Toinette. Das ist auch wahr. Das wäre das rechte
Mittel, Euch bald zu kurieren: es ist ja keine Krank¬
heit so frech, daß sie sich an einem Arzt vergreifen
sollte.
Argan. Ich glaube, Bruder, du willst mich zum
besten haben. Bin ich denn nicht zu alt, um zu stu¬
dieren?
Beralde. Ei was, studieren! Du bist gelehrt genug,
und es gibt viele unter ihnen, die nicht so viel wissen
als du.
Toinette. Wahrhaftig, Herr Argan, und wenn Ihr
nichts hättet als Euern Bart, so wäre das schon viel;
der Bart macht den halben Arzt.
ßüElällHIlH