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mals wurde sie von den Mandjia, die damals noch
dem europäischen Vordringen feindlich gegenüber
standen, angegriffen; Angriffe, die geheimnisvoll
blieben, denn die Täter waren im Urwald verschwun¬
den. Auch wilde Tiere gab es. So holte noch 1907
ein Panther nacheinander sechs Schildwachen aus dem
Hofe der Mission, bis es gelang, ihn zu fangen. „Das
ist nichts Ungewöhnliches in unserem Leben", so sagt
der greise Priester zu den Führern der Expedition,
„und wenn heute noch jene Männer hier wären, die
damals, 1892, hier in Bangi den ersten Posten er¬
richteten, mitten in einem Lande des Fiebers und
des Kannibalismus', so könnten sie Ihnen ganz an¬
dere Abenteuer erzählen!"
Jenseits des Flustes beginnt der belgische
Kongo. Von drüben her sahen die Eingeborenen
das Nachtsest, das man zu Ehren der Gäste in Bangi
gab, und es gelüstete sie, ebenfalls durch eine regel¬
rechte „Illumination" das Ihre dazu beizutragen. Da
zündeten sie das trockene Gras an, und ein ganzer
Hügel stand in Flammen!
Die Expedition machte dann einen Bogen nach
Norden in das Gebiet der großen Jagd, die Heimat
der Büffel, Giraffen und Löwen, Elefanten und
Panther, Flußpferde und Nashörner — und schlie߬
lich nahm sie der graße, von zahlreichen Wasserläufen
durchschnittene afrikanische Urwald auf.
Hören wir wieder einmal ein Stück aus dem Be¬
richt:
„Als wir gerade den Bili-Fluß verlosten wollen,
zeigt der Führer unserer Ruderer auf drohende
Cumuluswolken oben über den Bäumen (denn den
Horizont sieht man hier niemals). Er ahmt so laut
wie möglich das Dröhnen des Donners und das
Fallen des Regens nach; dann nimmt er eine höl¬
zerne Flöte, die an seiner Halskette hängt, und fängt
aus Leibeskräften drauf zu pfeifen an, während er
drohende Gesten gegen die Wolken macht.
„Er hat den „Felele", erklärt uns Tobo *), und
wenn jemand auf einem „Felele" pfeift, so wird kein
Regen fallen und das Unwetter Vorbeigehen!" Pfeifen
gegen den Regen?! — Na, warum nicht, nach allem?
Hat die Wissenschaft doch auch die Hagelkanone ent¬
deckt.
Tatsache ist, daß an dem Abend das Unwetter nicht
losbricht; es ist fast schade, denn es würde die Tem¬
peratur etwas erfrischt und die elektrische Spannung
niedergedrückt haben, die auf uns bis zum Ein¬
schläfern lastet.
Der Fall eines harten Körpers auf das Deck feines
Wagens läßt plötzlich einen von uns aus seiner
Lethargie hochfahren. Es ist ein enormer Käfer,
größer wie eine Faust, dessen weiße Flügeldecken, mit
regelmäßigen Violett-schwarz schimmernden Streifen
geziert sind. Man fängt ihn nicht ohne Schwierig¬
keit, den das Tier ist wütend und seine Beine, hart
und gezackt wie eine Säge, können empfindlich ver¬
*) ein Ban'da — Boy.
wunden: Es ist ein G o l i a t h k ä f e r, der Riese
unter den Insekten. Für gewöhnlich wohnt er in den
Kronen der Bäume, wo es sehr schwer ist, ihn zu
fangen; hier haben die Genien des Urwalds uns ihn
herabgeworfen.
Das Dickicht wird immer dichter und die Bresche
immer schmäler. Bisweilen kann der Wagen gerade
noch durch; wir stecken dann in einem richtigen
Tunnel. Niemals sehen wir Tiere. Doch, wenn der
Motor still ist, erfüllt sich das Schweigen mit geheim¬
nisvollen Lauten: Blätterfall, Rascheln von Insekten,
Affenschreie, Kreischen der Vögel und darüber diese
Vielheit des Zirpens, das das Treiben von Myriaden
versteckter Insekten verrät; wie natürlich ist's da
nicht, daß die Eingeborenen unter jedem Blatt einen
„Geist" spüren.
Bis Bondo ist zwar kein Fluß mehr zu überschrei¬
ten, aber öfters noch zeigen sich tiefe Erdspalten,
Schluchten, die überschritten werden müssen. Auch ist
die Sicherheit des Bodens oft nur trügerisch; Aste und
Blätter bilden eine Decke, die das Gewicht der
Raupenkette Plötzlich einbrechen läßt. So stellt sich
der Wagen Rabauts mit einem Male auf den Kopf.
Jedoch ist keine Person dabei verunglückt: Rabaut
hat beizeiten abspringen können und Tobo, der auf
dem oberen Platz saß, hielt sich an den Zweigen eines
Baumes über seinem Kopf fest. — Der Wagen selbst
hat die Probe gut bestanden.
Aber es gab eine lange Arbeit, und währenddessen
sammelte sich um uns ein wahrer Hofstaat von ab¬
normen Erscheinungen. Elende und verkrüppelte
Schwarze sind auf einmal da, ohne daß man sie an¬
kommen sah: Hinkende, Blinde, Aussätzige und blöde
Kropfkranke; eine wahre Hölle der Entarteten des
Menschengeschlechts, unter ihnen der seltsamste von
allen, der „weiße Rege r". Er hat tatsächlich
eine vollständig weiße Haut mit rötlichen Flecken,
fahlblonde Haare und rote, entzündete Augen: ein
Albino. Der Albinismus ist eine Degenerations¬
erscheinung; doch hier, im Urwald, ist der weiße
Neger ein Gegenstand der Verehrung. Die Familie,
in der er zur Welt kommt, ist von der Vorsehung
gesegnet; denn sie sieht ihre Hütte voll von den Opfer¬
gaben all derer, die sich seine Gunst erwerben wollen."
*
* -i-
Bald darauf sollte die Expedition noch einmal eine
Probe von den Sitten der Ureinwohner bekommen,
als sie bei dem Administrateur in Bengamissa zu
Gast war. „Wollen Sie einen Zauberer sehen?",
fragte er sie. Und ehe die Geftagten noch Zeit zur
Antwort gefunden, läßt der „G u d u g u d u", die
Baumtrommel, das berühmte Verständigungsmittel
der mittelafrikanischen Negerstämme, schon seinen
Wirbel durch den Wald ertönen. Und bereits kurz
darauf: „ da nähern- sich schon durch die Palmen
drei seltsame Gestalten: zuerst einer, der die
„Likombi" spielt, ein Instrument, das aus einem
flachen hohlen Kistchen besteht, in dem fächerförmig