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Bloss: Blick auf die Stadt und die Loire mit der Brücke.
¡Pi
Wanderung öurcb dis Touraine.
H
e jardin de la France", der Garten Frank¬
reichs, diesen stolzen Ehrennamen führt die
herrliche Gegend, in die der Kalendermann heute
seine treuen Leser geleiten möchte. Es ist die
Touraine, eine alte, von den Karolingern ge¬
gründete Grafschaft, die allzeit in der Geschichte
Frankreichs eine bedeutsame Rolle gespielt hat.
Hier war es, wo 732 Karl Märtell, des
großen Kaisers Karl Großvater, die Araber be¬
siegte und zurückwarf, und damit das Abendland
vor dem Ansturm des Islam rettete. Hier war es
auch, wo der hl. M a r t i n u s als Bischof seine
segensreiche Tätigkeit ausübte, er, der National¬
heilige der Franken, der, wie kaum ein anderer,
am Rhein verehrt wird, er, dessen Namen gleich
„St. Nikolaus" die Kinderherzen höher schlagen
läßt. Und wenn am 11. November, wie am Nie¬
derrhein oder beispielsweise in der alten Mosel¬
stadt Coblenz, ein bunter Fackelzug fröhlicher
Kinder durch die Straßen zieht, an der Spitze auf
seinem Schimmel St. Martin, wenn das Lied er¬
schallt, „St. Martin ritt durch Schnee und Wind",
oder wenn bei uns an der Saar beispielsweise in
Serrig an diesem Feiertage das Lied erklingt:
„Martinas, Gottes Freund, wir deine Kinder
feind" — dann ruft dies alles dem nachdenklichen
Beobachter die Bande ins Gedächtnis, die die
fränkischen Lande an Rhein und Mosel mit jener
Landschaft verbinden *). Zu Caesars Zeiten
hausten hier an der Loire die Turonen, und als
Caesarodunum tritt Tours, die spätere Haupt¬
stadt des Landes, in d-e Geschichte. Die Graf¬
schaft Touraine kam 1045 an das Haus Anjou,
später, in den Zeiten der Erbfolgekriege zwischen
England und Frankreich, regierte hier das eng¬
lische Königsgeschlecht Plantagenet, bis die Fran¬
zosen sie endgültig (1204—14) zurückeroberten.
1356 zum Herzogtum erhoben, diente sie wieder¬
holt als Apanage für jüngere Königssöhne und
wurde 1584 endgültig mit der Krone vereinigt.
Zur Zeit des Dichters Rabelais, der sich rühmt
„geboren und aufgewachsen zu sein im Garten
Frankreichs, nämlich der Touraine" — glich das
Land wirklich einem Parke mit seinen prächtigen
Gehölzen, zwischen denen sich wie breite blühende
Alleen die Täler der Loire und ihrer Zuflüsse
*) ,An der Saar ist der hl. Martin der Patron vieler Dorskirchen.. .
die Familiennamen „Martin, Marten, MeUes' die im Saarlande
reichlich vertreten sind, weisen auf eine frühere bedeutende Einwirkung
des Martinpatronates hin . . . . Das alte Marlinssest lebt als
Martinkirmes, die in vielen Ortschaften gefeiert wird, weiter fort"
— Fox. Saarland. Volkskunde.