Full text: 56.1928 (0056)

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Der wirklich edle, vornehm empfindende Sohn 
wartet nicht, bis Unglück, Enttäuschung und Siechtum 
ihn zur Mutter zurücktreibt. Er vergißt nie, daß ihn 
einmal dieser Schoß 
getragen and mit 
Gefahr des Todes 
zur Welt gebracht 
hat. Er denkt bis¬ 
weilen zurück an 
jene schmerzlich süße 
Stunde, da ihn die 
Mutter der Welt 
schenkte. 
Und als das Kind ge¬ 
boren war, 
Sie mutzten der Mut¬ 
ter es zeigen,- 
Da ward ihr Auge von 
Tränen so klar, 
-Es strahlte so wonnig 
und eigen. 
Gern litt ich und werde, 
mein sützes Licht, 
Viel Schmerzen um dich 
noch erleben.- 
Ach, lebt von Schmerzen 
die Liebe nicht, 
Und nicht von Liebe 
das Leben ? 
. (A. v. Chamisso.) 
Er denkt an die 
Opfer und Sorgen 
der Liebe, welche 
für die Mutter so 
selbstverständlich, so 
tief Bedürfnis wa¬ 
ren wie das Atmen; 
er denkt, wie sie sein 
Leben gehegt und 
gepflegt hat, als 
wäre es ihr eigenes 
Leben. 
Der edle Sohn 
sucht auch die ängst¬ 
liche Sorge der 
Mutter zu verstehen — ist es doch nichts als der Aus¬ 
fluß einer unbegrenzten Liebe. Vielleicht nennt der 
Sohn diese Liebe eine törichte Liebe; aber muß nicht 
die Liebe töricht sein, und hört sie nicht auf, Liebe zu 
sein, wenn sie vernünftig wird? Und selbst wenn 
die harte Pflicht und der Ernst des Lebens den Sohn 
zur Trennung von der Mutter ruft, trägt er ihr 
reines Bild als Heiligtum und Talisman in seinem 
terzen. Es ist wirklich eine Mahnung in ernsten 
tunden, ein Trost in schweren Stunden und ein 
Schutz in gefährlichen Stunden. 
Sohnesschuld. 
Wissen Sie, ich kann es nicht recht leiden, wenn 
inan Kindern und besonders erwachsenen Söhnen 
klarmachen will, sie schuldeten der Mutter Dank für 
ihre Liebe. Die Liebe ist kein Tausch- und Handels¬ 
gegenstand, den man durch Dank quittmachen kann, 
und wenn man sich ans Rechnen und Überlegen gibt, 
wieviel Dank man für die Mutterliebe schuldet, so 
A. Dürer: Selbstportratt. 
tut man der Liebe sowohl wie auch der Dankbarkeit 
Gewalt an und zerreißt das innigste Band, das Gott 
selbst geknüpft hat. 
Nern, Mutter und 
Sohn gehören zu¬ 
sammen, und die 
Liebe und Treue, die 
der Sohn der Mut¬ 
ter erweist, ist eben¬ 
so selbstverständlich 
wie jene Liebe, die 
einmal die Mutter 
dem Kinde erwiesen 
hat. Der Sohn, der 
die Mutter verletzte 
und verließ, wäre 
ein durch und durch 
niedriger, gemeiner 
Mensch. In ihm 
wäre etwas unaus¬ 
sprechlich Edles nicht 
entwickelt oder ab¬ 
gestorben. 
Ich will Ihnen 
eine persönliche Le¬ 
benserfahrung er¬ 
zählen. Als iunger, 
erwachsener Mensch 
hatte ich einmal 
meine Mutter ver¬ 
letzt, gerade als ich 
im Begriffe stand, 
eine Reise anzutre¬ 
ten. Ich nahm den 
Stachel dieser Ver¬ 
letzung mit aus die 
Reise. Ich schämte 
mich in tiefster 
Seele meines Man¬ 
gels an Selbstbe¬ 
herrschung und an 
Edelsinn. Ich habe 
draußen in der 
Fremde für meine 
Mutter ein Geschenk 
gekauft, das eigent¬ 
lich über meine 
Kräfte ging. Ich habe mich damit herumgeschleppt 
auf der Eisenbahn und auf Fußwegen. Und erst, als 
ich es meiner Mutter bei der Heimkehr in die Hand 
gelegt hatte, und als ich an ihrem Blick sah, daß sie 
mich verstand, da konnte ich auch selbst wiederum 
froh sein. 
^ Geschichtlich ist die Genugtuung, die einst der 
Schwedenköuig Karl XII. seiner Mutter geleistet hat. 
Bei einem Gelage hatte er in der Trunkenheit seine 
Mutter schwer beleidigt. Am anderen Tage nahm 
er einen Becher voll Wein, begab sich zu ihr und 
sprach: „Madame, verzeihen Sie mir die Beleidigung 
von gestern. Auf Ihr Wohl trink ich diesen Becher 
Wein. Es wird oer letzte sein, den ich trinke." Und 
dieses Wort hat er wahrgehalten. Von Stund an 
hat er sich aller berauschenden Getränke enthalten. 
So sühnte königlicher Edelmut die Verletzung der 
heiligen Ordnung der Natur. 
Aus: „Feierabende", Plaudereien mit jungen 
Staatsbürgern von Dr. Anton Hetnen, Volks- 
veretnsverlag, M. Gladbach,
	        
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