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Weine waren wieder da und damit auch die gute
Laune, die langen Ruhestunden und der niedliche
Gavotteschritt, wenn es über die Brücke von
Avignon ging. Aber seit seinem Abenteuer auf
dem Turme behandelte man es in der Stadt etwas
kühler. Man raunte sich manche Bemerkungen zu,
wenn man es kommen sah; die alten Leute schüt¬
telten den Kopf und die Kinder lachten, wobei sie
aus den Glockenturm zeigten. Selbst der gute
Papst hatte nicht mehr das alte Vertrauen in seine
Freundin, und wenn er sich Sonntags auf dem
Rückwege vom Weinberg zu einem kleinen Schläf¬
chen auf ihrem Rücken oerleiten ließ, so hatte er
immer ein gewisses Bangen bei dem Gedanken:
„wenn ich nachher da oben auf der Plattform
aufwachen sollte!" Das Maultier merkte das ganz
gut und es bereitete ihm auch Kummer, aber es
sagte nichts. Wenn man aber in seiner Gegen¬
wart den Namen Tistet Vedene aussprach, ge¬
rieten seine langen Ohren ins Zittern und mit
leichtem Lachen schärfte es seine Hufeisen auf dem
Pflaster-
Sieben Jahre flössen so dahin. Nach Ablauf
dieser sieben Jahre verließ Tistet Vedene den Hof
von Neapel und kehrte nach Avignon zurück.
Seine Zeit dort war noch nicht um; aber er hatte
erfahren, daß der Erste Senfmacher des Papstes
gerade plötzlich in Avignon gestorben war, und
da diese Würde ihm paßte, so hatte er sich nach
Möglichkeit beeilt, um als Mitbewerber auftreten
zu können.
Als nun unser Ränkeschmied Vedene in den
Schloßsaal trat, erkannte ihn der Heilige Vater
zuerst nicht, so sehr war er gewachsen und voller
geworden. Allerdings war der gute Papst seiner¬
seits stark gealtert und konnte ohne Brille nicht
mehr deutlich sehen.
Tistet wurde dadurch keineswegs eingeschüchtert.
— Wie, erhabener Heiliger Vater, Ihr kennt
mich nicht mehr?... Ich bin's, Tistet Vedene!
— Vedene?...
— Ei gewiß, Ihr kennt mich doch, der Eurem
Maultier den gewürzten Wein brachte.
— Ach ja!... ja... ich entsinne mich... Ein guter
kleiner Kerl, der Tistet Vedene... Und was will er
jetzt von uns?
— O, nicht viel, erhabener Heiliger Vater... Ich
wollte bitten... Da fällt mir gerade ein, wie steht's
mit Eurem Maultier, habt Ihr es immer noch?
Und es geht ihm gut?... Ah, um so besser! .. Ich
wollte Euch um die Stelle des Ersten Senfmachers
bitten, der gerade gestorben ist.
— Erster Senfmacher! Du?... Aber Du bist
doch zu jung. Wie alt bist Du denn?
— Zwanzig Jahre und zwei Monate, erlauchter
Pontifex, gerade fünf Jahre älter als Euer Maul¬
tier... Oh, bei der göttlichen Gnade, das brave
Tier!... Wenn Ihr wüßtet, wie lieb ich es hatte,
das Maultier!... wie ich mich in Italien nach ihm
sehnte!... Ihr werdet mich doch wieder zu ihm
lassen?...
— Ja, mein Kind, Du sollst es sehen, sagte der
gütige Papst ganz gerührt... Und da Du es so
lieb hast, das brave Tier, ist mein Wille, daß Du
in seiner Nähe weilest. Von heute ab nehme ich
Dich in meinen persönlichen Dienst als Erster
Senfmacher... Meine Kardinäle werden Einspruch
erheben, aber das macht nichts, das bin ich ge¬
wohnt... Komm morgen nach Schluß der Vesper
zu Uns; Wir werden Dir dann die Insignien
Deiner Würde in Gegenwart Unseres Kapitels
überreichen und dann — werde ich Dich zu
meinem Maultier führen und Du wirst mit uns
beiden nach dem Weinberg kommen... Gefällt Dir
das? Gehe jetzt...
Ob Tistet Vedene zufrieden war, als er den
großen Saal verließ, und ob er mit Ungeduld die
Zeremonie des nächsten Tages erwartete, brauche
ich Euch wohl nicht zu versichern. Und doch gab
es im Schlosse noch ein glücklicheres und ungedul¬
digeres Geschöpf als ihn: das war das Maultier.
Seit Vedenes Rückkehr bis zur Vesper des folgen¬
den Tages hörte das schreckliche Tier nicht auf,
sich mit Hafer vollzupfropfen und mit seinen
Hinterhufen gegen die Wand auszuschlagen. Da¬
mit bereitete auch es sich auf die Zeremonie vor.
So betrat also Tistet Vedene am folgenden Tage
nach Schluß der Vesper den Hof des päpstlichen
Palastes. Die ganze hohe Geistlichkeit war zu¬
gegen, die Kardinäle in ihren roten Gewändern,
der Anwalt des Teufels in schwarzem Sammet,
die Klosteräbte mit der Mitra, der Küster von