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berg; ein Weinberg, den er selbst gepflanzt hatte,
3 Meilen von Avignon, in den Myrten von
Chateauneuf.
Alle Sonntage nach der Vesper besuchte der
würdige Mann seinen Weinberg, und wenn er
da oben in voller Sonne saß, neben sich sein
Maultier, während seine Kardinäle ringsherum
am Fuße der Weinstöcke lagerten, dann ließ er
einen Krug von seinem eigenen Wachstum
bringen, von jenem vorzüglichen rubinfarbenen
Wein, der seitdem der Chateauneuf der Päpste
genannt wird; und er kostete das Getränk in
kleinen Zügen, wobei er nicht versäumte, seinem
Weinberg einen gerührten Blick zuzuwerfen.
Wenn dann der Krug geleert war und der Abend
nahte, kehrte er mit seinem ganzen Gefolge nach
der Stadt zurück. Und wenn er dann über die
Brücke von Avignon ritt, mitten durch die Musi¬
kanten und die Tänzer, verfiel sein Maultier,
durch die Musik ermuntert, in einen leichten,
hüpfenden Paßgang, während er selbst mit
seinem Barett den Takt zum Tanze schlug, was
seinen Kardinälen nicht gefiel. Aber das Volk
war davon entzückt, und es rief: „Ah, unser lieber
Fürst! Ah, unser braver Papst!"
*
* *
Neben seinem Weinberg von Chateauneuf war
sein Maultier dem Papste das Liebste auf der
Welt. Der gute Mann war völlig vernarrt in das
Tier. Jeden Abend vor dem Schlafengehen ver¬
gewisserte er sich, daß sein Stall verschlossen und
seine Krippe versorgt war, und niemals wäre er
vom Tische aufgestanden, ohne unter seiner Auf¬
sicht einen großen Humpen Wein nach französi¬
scher Art mit viel Zucker und Gewürz zurecht¬
machen zu lassen, den er ihm trotz der Bemer¬
kungen seiner Kardinäle persönlich hintrug...
Aber das Tier war auch dessen wert. Es war ein
schönes, schwarz- und rotgesprenkeltes Maultier
mit sicherem Gang, glänzendem Fell und mit
breitem und vollem Kreuz, das seinen kleinen,
dürren, überreich mit Schleifen, silbernen Scheu¬
chen, Troddeln und Quasten geschmückten Kopf mit
bewußtem Stolze trug; dabei war es engelhaft
sanft; es hatte treuherzige Augen und zwei lange,
stets hin- und herwackelnde Ohren, was ihm das
herzige Aussehen eines Kindes gab. Ganz
Avignon hielt es in Ehren, und wenn es durch
die Straßen kam, schmeichelte man ihm auf jede
Art. Denn man wußte überall, daß das das beste
Mittel war, um bei Hofe gut angeschrieben zu
sein, und daß das päpstliche Maultier mit seiner
unschuldvollen Miene schon mehr als einem zum
Glück verholfen hatte, wofür Tistet Vedene und
sein wunderbares Schicksal Beweis genug waren.
Dieser Tistet Vedene war eigentlich ein frecher
Bengel, der von seinem Vater, dem Goldschmied
Guy Vedene, von Hause fortgejagt worden war,
weil er selbst ein Müßiggänger war und dazu
noch die Lehrjungen von der Arbeit abhielt. Volle
sechs Monate sah man ihn in allen Gassen
Avignons umherlaufen, aber hauptsächlich trieb
er sich in der Nähe des päpstlichen Palastes
herum; denn der schlaue Bursche hatte etwas mit
dem Maultier des Papstes vor, und daß es sich
um einen boshaften Streich handelte, wird man
bald erfahren...
Als S. Heiligkeit eines Tags ganz allein an
den Wällen auf seinem Tier spazieren reitet,
spricht ihn unser Tistet an und sagt mit bewun¬
derndem Mienenspiel und die Hände über dem
Kopfe zusammenschlagend:
— Großer Gott, Hoher Heiliger Vater, was für
ein feines Maultier habt Ihr da! Gestattet mir,
daß ich es ein wenig bewundere... Oh, was ist
das für ein schönes Maultier, lieber Papst! Auch
der deutsche Kaiser hat so eines nicht aufzuwesten.
Und er liebkoste das Tier und sprach sanft zu
ihm wie zu einem Fräulein:
— Komm doch her, mein Schatz, mein herr¬
liches Kleinod, meine liebliche Perle, komm her
zu mir!...
Und innig bewegt sagte der Papst zu sich selbst:
— Was für ein gutmütiger kleiner Junge das
ist. Wie nett er zu meinem Maultier spricht!
Und könnt ihr euch denken, was am nächsten
Tage geschah? Tistet Vedene vertauschte seine alte
Jacke mit einem schönen Spitzenrock, einem
Mantel aus violetter Seide, hatte Schnallenschuhe
an und trat in die päpstliche Singschule für Chor¬
knaben ein, worin bislang nur Söhne von Ade¬
ligen und Kardinalsneffen aufgenommen worden
waren... woraus man ersehen kann, was List ver¬
mag... Aber Tistet ließ es nicht dabei bewenden.
Einmal im päpstlichen Dienste setzte der Schelm
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