Full text: 53.1925 (0053)

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on allen netten Zitaten und Sprichwörtern, 
mit denen unsere provencalischen Land¬ 
leute ihre Rede schmücken, ist mir keines 
bekannt, das packender und eigenartiger wäre 
als das folgende. Im Umkreis von 15 Meilen 
von meiner Mühle sagt man, wenn von einem 
nachträgerischen und rachsüchtigen Menschen die 
Rede ist: „Vor diesem Mann nehmt euch in acht! 
... Er wartet mit seinem Fußtritt sieben Jahre, 
gerade wie das Maultier des Papstes". 
Ich habe lange geforscht, woher diese Rede¬ 
wendung kommen könne und was mit diesem 
päpstlichen Maultier und dem sieben Jahre auf¬ 
gesparten Fußtritt gemeint sei. Niemand konnte 
mich aber hier belehren, nicht einmal Francet 
Mamai, mein Flötenbläser, der doch die proven¬ 
calischen Sagen kennt, wie nur einer. Francet 
meint, wie ich, daß darüber wohl irgend eine alte 
Chronik der Gegend von Avignon existiere; aber 
tatsächlich kennt er nur davon das Sprichwort... 
— Sie können das nur in der Grillen-Biblio- 
thek finden, sagte der alte Querpfeifenbläser 
lachend. Das war ein guter Gedanke, und da ich 
ja die Grillen-Bibliothek gerade vor meiner Türe 
habe, so hatte ich es recht bequem, mich darin ein¬ 
zuschließen. 
Es ist das eine wunderbare, vorzüglich ausge¬ 
stattete Bibliothek, die allen Dichtern Tag und 
Nacht offen steht und von kleinen Bibliothekaren 
bedient wird, die einem die ganze Zeit über 
Musik machen. Ich habe dort einige köstliche Tage 
verbracht, und, nachdem ich eine Woche lang, auf 
dem Rücken liegend, Nachforschungen angestellt 
hatte, entdeckte ich schließlich, was ich suchte, näm¬ 
lich die Geschichte von einem Maultier und dem 
berüchtigten sieben Jahre lang aufgesparten Fu߬ 
tritt. Die Geschichte ist nett, wenn auch ein bißchen 
naiv. Ich will mein bestes tun, sie Euch so zu 
erzählen, wie ich sie '‘gestern morgen in einem 
wetterfarbenen Manuskript gelesen habe, das gut 
nach trockenem Lavendel roch und Marienfäden 
als Lesezeichen hatte. 
* * 
* 
Wer Avignon zur päpstlichen Zeit nicht ge¬ 
sehen hat, der hat viel versäumt. Es gab keine 
andere Stadt, die ihr gleichkam an Fröhlichkeit, 
Leben und Treiben und ununterbrochenen Fest¬ 
lichkeiten. Vom Morgen bis zum Abend konnte 
man Pilgerzüge, mit Blumen bestreute Straßen 
und die Schaugerüste in ihnen betrachten. Die 
Ankunft der Kardinäle auf der Rhone, die im 
Winde flatternden Banner, die schön mit Wim¬ 
peln geschmückten Galeeren, die päpstlichen Sol¬ 
daten, die auf den Plätzen lateinisch sangen, und 
das Geklapper der Bettelmönche vervollstän¬ 
digten das farbenreiche Bild; dann das dem 
Bienensummen ähnelnde Geräusch aus den 
Häusern, die eng um den großen päpstlichen 
Palast herum standen: von oben bis unten er¬ 
tönte das regelmäßige Tik-Tak des Spitzenweber¬ 
handwerkes, das Hin und Her der Schiffchen, die 
das Gold in die Meßgewänder flochten, die 
kleinen Hämmer der Ziseleure, die an Meßkänn¬ 
chen arbeiteten, die Resonanzböden, die man bei 
den Instrumentenmachern anpaßte, die Gesänge der 
Arbeiterinnen — und über dem Ganzen schwebte 
der Klang der Glocken, immer vermischt mit dem 
Ton der Tamburins, die man unten von der 
Brücke her schlagen hörte. Denn wenn das Volk 
bei uns zufrieden ist, muß es tanzen. Und da zu 
jener Zeit die Straßen der Stadt zu eng waren 
für die Farandole, so stellten sich die Querpfeifer 
und die Tamburinschläger an der Brücke von 
Avignon im frischen Rhonewind auf, und dort 
tanzte man Tag und Nacht.... man tanzte 
immerzu. 
Oh, glückliche Zeit! glückliche Stadt! Hier 
schlugen die Hellebarden keine Wunden und man 
verwendete die Staatsgesängnisse nur zum Kühl¬ 
halten des Weines. Es gab keine Not, keinen 
Krieg. ...Ja, die Päpste des Komtats verstanden 
es, ihr Volk zu regieren, und deshalb hat ihr 
Volk sie auch so sehr betrauert... 
Besonders einer war darunter, ein gütiger 
Greis, namens Bonifacius... Oh, wieviel Tränen 
hat man um ihn in Avignon vergossen, als er 
starb! Das war ein liebenswürdiger und leut¬ 
seliger Fürst! Von seinem Maultier herab lächelte 
er so wohlwollend, und den ihm Begegnenden, 
mochte es ein kleiner Krappfärber oder der all¬ 
gewaltige Stadtvogt sein, gab er freundlich seinen 
Segen. Ein wahrer Papst von Pvetot, mit einem 
sinnigen Lächeln und einem Majoranbüschel am 
Barett. Und dann noch ganz ohne Ieannettchen... 
Das einzige Ieannettchen, von dem man bei 
diesem guten Vater wußte, das war sein Wein-
	        
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