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Im 14. Jahrhundert teilt sich der Kreis in 3 Flügel
nach Art des Kleeblattes (Beispiele: Reims, Le
Mans); das ist die frühgotische — strahlende —
Periode (période rayonnante). Seit Beginn des
15. Jahrhunderts entsteht der sogenannte „Flam¬
boyant", d. h. der flammende, blitzende Stil, bei dem
die Fenster mit einer Unmenge geschmeidiger und zu¬
sammenhängender Stabformen geschmückt waren, die
Hakenverzierungen hatten (Beispiele: Evreux, Rouen).
Es gibt natürlich auch andere architektonische Kenn¬
zeichen, durch die man die verschiedenen Bauperioden
von einander unterscheiden kann. Z. B. wurden die
dicken Säulen, die das Langhaus von Notre Dame
zu Paris tragen, vom 14. Jahrhundert ab zu Säulen¬
bündeln (Beispiel: Inneres der Kathedrale zu
Bourges); die Säulenkapitäle, die anfänglich weit
ausladend waren, verlieren nach und nach ihre Beto¬
nung und verschwinden schließlich in der spätgotischen
Periode gleichzeitig mit den Fußstücken der Säulen.
Die bedeutenden gotischen Kathedralen Frankreichs
sind zu zahlreich, um sie alle hier im Bilde vorzu¬
führen. Jede von ihnen besitzt irgend einen konstruk¬
tiven Teil, der sie
berechtigt, auf den
Vorrang Anspruch
zu machen. Von den
schönsten Kirchen
dieser Art wollen
wir nur die folgen¬
den anführen: Albi,
Amiens, Angers,
Autun, Bayeux,
Beauvais, Beziers,
Bordeaux, Bourges,
Brou, Carcassonne,
Chartres, Clermont,
Coutances, Dijon,
Evreux, Fécamp,
Laon, Limoges, Le
Mans, Lisieux,
Lyon, Meaux, Metz,
Montpellier, Man¬
tes, Narbonne, Ne-
vers, Noyon, Or¬
léans, Paris,
Quimper, Reims,
Rodez, Rouen, St.
Bertrand de Co-
minges, St. Pol de
Leon, Sées, Senlis,
Sens, Soissons,
Straßburg, Tours,
Troyes.
Vorstehende Auf¬
zählung ist übrigens
unvollständig; eS
wäre nicht gerecht,
die Kathedralen von
Aix, Auxerre, Avi¬
gnon, Bayonne,
Belley, Cahors,
Chalons, Dol, La¬
val, Mende, More-
poix, Moulins, Poi¬
tiers, St. Brieux,
Toul und zahlreiche
manchmal recht bedeutende gotische Kirchen gewisser
Städte wie Paris, Rouen, etc., die solche neben ihrer
Kathedrale besitzen, auszulassen. Leider können wir
hier nur eine ganz beschränkte Anzahl von Bildern
unseren Lesern vor Augen führen.
Es kommt nicht oft vor, daß die Vollendung dieser
Kirchen fast bis in unsere jüngste Zeit hineinreicht,
wie dies bei dem Dom zu Köln der Fall ist. In
Frankreich kenne ich nur einen einzigen derartigen
Fall, und zwar bei der Kathedrale zu Orléans, die
erst gegen 1780 nach einem gotischen Plane vollendet
wurde. Die am Ende des 15. Jahrhunderts noch nicht
fertiggestellten Kirchen zeigen in den später errichteten
Teilen, je nach der zeitgemäßen Kunstrichtung, Kon-
struktionsteile nach dem Renaissance-, dem Jefuiten-
(ausgearteter Barockstil) oder dem Rokokostil (Cha¬
lons z. B.).
Sämtliche oben aufgeführten Kathedralen stammen
zweifellos aus der gotischen Epoche, aber eine große
Zahl unter ihnen weist ètilwidriukeiten auf, die von
der stufenweisen Herstellung der Bauteile in der Zeit
zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert herrühren;
oder ein Teil der
Kirche wurde durch
eine Feuersbrunst
zerstört und die
Wiederherstellung
in einer vorgerück¬
teren gotischen Pe¬
riode vorgenommen.
Einzelne Kathedra¬
len, wie die von
Straßburg und St.
Bertrand z. B., die
zur Zeit des roma¬
nischen Stiles ange¬
fangen wurden,
zeigen ein Gemisch
beider Stile.
Anderseits gibt es
einige Kathedralen,
die nach einem ein¬
heitlichen Plane
und unter derselben
Bauleitung entwor¬
fen, begonnen und
auch vollendet wor¬
Kathedrale zu Reims.
Ansicht der Fassade vor ihrer Zerstörung im Weltkriege.
den sind. Lie schön¬
sten unter diesen
sind die Kathedralen
zu Beauvais, Char¬
tres, Paris,
Amiens, Reims und
Albi. Die Kathe¬
drale zu Beauvais
würde unstreitig der
Glanzpunkt der
kirchlichen Architek¬
tur sein, wenn sie
nicht im Jahre 1573
eingestürzt wäre.
So existiert heute
nur noch das Chor,
das in seinen Di¬
mensionen von
72,5 m Länge und
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