Full text: 53.1925 (0053)

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Dreifcönigsweibnacfot 
Skizze von Rud. Glaser. 
er Feuerwächter saß am Silvestertage in 
seinem Kirchturm und schaute aus den vier 
Fenstern, die nach den Himmelsrichtungen 
gingen, von Zeit zu Zeit über das kleine Städtchen, 
welches in leuchtender, funkelnder Schneedecke tief 
unter ihm lag. Aus den Essen stieg der blaue 
Dunst zu ihm empor, die Gestalten der betrieb¬ 
samen Bürgersleute hoben sich klein, aber scharf 
von den verschneiten Straßen ab, und es war, als 
habe der Strahl der Wintersonne nach den vielen 
Nebeltagen mehr Menschen als gewöhnlich auf die 
Straße gelockt, die nun geschäftig die Feier des 
Neujahrstages bestellen wollten. 
Der Wächter reckte und streckte sich behaglich in 
dem warmen Stübchen. Er warf wieder ganz ge¬ 
wohnheitsmäßig einen Blick auf die seiner Wach¬ 
samkeit anvertraute Stadt, nahm sein Horn zur 
Hand, öffnete ein Fenster und blies das Stunden¬ 
viertel den Einwohnern in die Ohren, wie es von 
früheren Zeiten her noch Brauch war. Dann ging 
er zu seinen Vögeln, die in größeren und kleineren 
Hecken an den Wänden hingen, Kanarienbrut, 
vermischt mit Zeisigen, mit denen er schon 
manchen schönen Taler verdient hatte. Mit leuch¬ 
tenden Augen blickten sie auf das Futter, welches 
er ihnen zuschob, und dann begannen sie sich zu 
zanken über ihren Anteil, oder sangen in kräftigen 
Koloraturen der kehlfertigen Harzer Roller. Das 
war ein solches Jubilieren in der Wintersonne, 
daß der Wächter nicht hörte, wie die Tür des 
Stübchens geöffnet wurde, und seine Frau ein¬ 
trat. Sie setzte sich erschöpft in den alten, brüchigen 
Rohrsessel. 
„Gar zu viel Stufen sind's, bis hier heroben", 
keuchte sie, „so sauer wie heut sind sie mir noch nie 
worden." 
Der Wächter kehrte sich erstaunt um: „Was 
bringst du mir denn feines, Kathrinele?" frug er, 
indem fein Blick liebevoll auf der mageren Ge¬ 
stalt der Frau ruhte. 
„S'ist nit allzuviel. Es ist halt der Letzte und 
mit dem bissel Lohn, den sie dir geben, kann man 
nit allzuviel Sprüng' machen." 
„Wart's ab", sagte er begütigend und zwinkerte 
mit den Augen. „Heut nacht kommt die große 
Zulage zuweg." 
„Och, die!" antwortete Kathrin, „das ist gar 
sauer erworbenes Geld!"
	        
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