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Aahr vergißt auch nicht seinen Wurfstab aus Renn¬
tiergeweih, ein kleines, hübsch mit Tierbildern ver¬
sehenes Stück mit einem hakenförmigen Ende, das
beim Werfen als Stütze des Spießes dient. All diesem
Gegenständen fügt Aahr noch die roh gearbeitete
Harpune hinzu, deren Schaft länger und kräftiger ist,
als der der Wurfspieße: diese Harpune hat seitliche
Widerhaken, die sie im Fleisch des Tieres festhalten.
Dazu kommen nun noch die Ledcrleinen, die man, mit
einem Stein beschwert, dem Tiere in die Beine wirft,
uni es im Laufe zu hemmen. Zur Vollendung seiner
Ausrüstung versieht sich Aahr noch mit seiner langen,
am Feuer gehärteten Lanze und befestigt an seinem
Gürtel, der den Überwurf aus Renntierhaut zu¬
sammenhält, seinen Kommandostab.
Aber Aahr hat noch etwas besseres als alle diese
Gegenstände, das ist seine Körperstärke. Er ist ein
Mann von prächtiger Muskulatur, die er mit der
größten Ausdauer zu verwerten weiß — ein schöner
Typ der in dieser Gegend lebenden Menschenrasse,
mit hoher Stirn, Schlitzaugen, vorspringenden
Backenknochen und langen Gesichtszügen.
Nun stellen sich die Männer ein, die Aahr gerufen
hat und die sich beeilt haben, seinem Rufe Folge zu
leisten; alle sind jetzt da, der Abmarsch kann also be¬
ginnen.
Der Stamm der Combarellen wohnt nicht sehr
weit, nian ist daher bald dort. Der Chef dieses
Stammes, der sich am Eingang des Tales und in der
näheren Umgebung niedergelassen hat, bewohnt eine
größere Höhle als Aahr: der breite, überhängende
Felsen bildet eine gewölbte Halle. Zwei Erhebungen,
ein wenig über dem Boden hervorragend, sind sicht¬
bar: die eine ist die für besondere Gäste vorbehaltene
Stelle, während die andere eine kleine Grotte dar¬
stellt, die die Wohnhöhle verlängert.
Augenblicklich befindet sich die ganze Familie ini
Hintergrund der unteren Höhle. Männer und Frauen
sind mit Steinschneiden beschäftigt. Im Gegensatz zu
Aahr, der Bildhauer ist, sind sein Freund und einige
seiner Stammesgenossen im Gravieren geübt. Für
diese Arbeit gebrauchen sie mancherlei Grabstichel,
deren Anfertigung auch eine Kunst ist. Als Aahr ein¬
tritt und dem Chef des Stammes den Vorschlag macht,
mit zur Jagd zu ziehen, schlägt dieser ein. Aber auch
er hat, grade so wie Aahr, als er seine Höhle verließ,
noch gewisse Pflichten zu erfüllen. Seine Vorgänger
und er selbst haben den unteren Teil der Höhle links
von der bewohnten Grotte mit Zeichnungen ge¬
schmückt. Bei den Troglodyten bestand nämlich der
Glaube, daß alle Abbildungen der Tiere Einfluß auf
diese hätten, wodurch das Jagdergebnis und auch die
Wiederauffrischung des Bestandes begünstigt werden
könnten. Man brachte also auf die einzelnen Gegen¬
stände oder auf die Felsenwände Zeichnungen an, die
entweder auf das Fleisch, die Haut, das Elfenbein,
das Horn oder die Knochen der Tiere Bezug hatten.
Überdies konnte eine solche Darstellung böse Tiere
fernhalten oder gar töten.
Diesen Bildern mußte also der Häuptling vor der
Jagd seine Ehrfurcht bezeugen. Die besondere
Achtung, die Aahr genoß, erlaubte ihm, seinem
Freunde zu folgen, ein Vorrecht, das sonst nur dem
Zauberer und einigen wenigen Eingeweihten zugute
kam.
Nach Beendigung der Zeremonien verlassen sie die
Grotte und treffen mit ihren Begleitern wieder zu¬
sammen. Um einige Leute vermehrt, setzt sich der
Trupp in Bewegung, um über einen Hügel hinweg
das sich jenseits öffnende Tal zu gewinnen. Aahr, der
Pferdebildhauer, Aahr, der Künstler, ist jetzt nur
mehr Jäger.
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Das
heutige Dorf
Les Eyzie»
anderVözsre
in Frankreich
besitzt ein
exs
SAv
Museum mit
zahlreichen
Höhlen¬
funden aus
dem Tal der
Vöz^re.
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