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doch immer erhalte ich dieselbe Antwort: „Bin
beschäftigt." Mißvergnügt schritt er im Contor
auf und ab.
Plötzlich fuhr er heftig zusammen, stürzte zum
Telephon und ritz den Hörer an's Ohr.
„Sind Sie noch da, mein Herr?" klang Fräu¬
lein Wardau's Stimme.
„Gewitz. Ich konnte nicht eher fortgehen, bis
ich mit Ihnen gesprochen."
„Tut mir leid, aber ich mutz gleich nach Hause.
Meine Mutter ist wieder krank, ich werde des¬
halb von einer Collegin freundlichst abgelöst."
„SBitte noch eine Minute. Sagen Sie mir:
woher kennen Sie meinen Namen? Beantworten
Sie schnell diese Frage, mein Fräulein!"
„Morgen. Guten Abend. Schluß!"
Erdmann schüttelte den Kopf.
Freitag, 14. August 1900.
Heute entwickelte sich, nachdem die beiden jungen
Leute sich in Verbindung gesetzt, folgendes Ge¬
spräch.
„Wollen Sie mir heute sagen, mein Fräulein,
woher Cie meinen Namen kennen?"
„So? Habe ich ihn denn ausgesprochen?" kam
es verwundert zurück.
„Allerdings nur die erste Silbe, aber die war
richtig. Erlauben Sie, daß ich mich vorstelle:
Arthur Erdmann. Buchhalter bei I. P. Bornstätt
u. Sohn. Da haben Sie meine volle Titulatur."
„Meine . . . Freundin Ilse Sellhof hat mir
noch neuerdings von Ihnen erzählt." kam es
zögernd bis zu ihm.
„Sie kennen sie?" rief der junge Mann aufs
Höchste überrascht. „Ist sie denn hier? So sagen
Sie mir: ist sie noch immer das schöne holde
Mädchen?"
„Hm ... die arme Ilse ist wohl sehr ver¬
ändert."
„Wie so? Was wollen Sie damit sagen?"
„Sie hat die Pocken gehabt und ist recht ent¬
stellt. Auch lahmt sie nach einem rheumatischen
Uebel und ihr schönes Haar ist kurz verschoren."
„Aber ihr Herz ist dasselbe geblieben! Ihr
kngelsgemüt kann sich nicht ändern! Sagen Sie
mir nur noch etwas: ist sie unverheiratet?"
„Ja. Aber was wollen Sie denn eigentlich
von ihr?"
„Zu ihr eilen! Ihr sagen, daß ihr mein ganzes
Leben gehört," lautete die ungeduldige Antwort.
„Lebt sie hier?"
„Das darf ich nicht sagen. Suchen Sie, suchen
Cie, mein Herr!"
„Wie grausam Sie sind! Begreifen Sie denn
nicht, dah ich vor Sehnsucht vergehe?"
„Ich . . . ich . . . denke. Ilse muh von solcher
Treue gerührt sein und . . ."
„Fahren Sie fort: wird sie Ia sagen? Glauben
Sie es? Ach, legen Sie ein gutes Wort für mich
ein. Werden Sie für mich sprechen?"
„Das sollen Sie morgen erfahren: für heute ist
es genug des Plauderns . . . Schluß!"
„Wie Sie mich foltern! Doch ich will versuchen,
mich in Geduld zu fassen. Gute Nacht, mein Fräu¬
lein."
In hochgradiger Erregung stürmte Erdmann
in's Freie, den folgenden Abend schon jetzt mit
fieberhafter Ungeduld herbeiwünschend.
Samstag, 15. August 1900.
Auf dem Geschäftszimmer des Fernsprech-Amtes
war es recht still: man hatte bereits Feierabend
gemacht.
Eine einzige junge Dame satz noch einsam an
einem Tische. Sie hielt eine Handarbeit in den
Händen, doch ruhten die rosigen Finger lässig
im Schootz. und e-n träumerisches, glückliches
Lächeln teilte die feinen Lippen ihres kleinen roten
Mundes. Die zierliche, mittelgroße Gestalt war
in ein schlichtes dunkelblaues Kleid gehüllt — ein
fast zu bescheidener Rahmen für die strahlende
Schönheit des liebreizenden, edel geformten Ge
sichtes, das von dunkeln, schelmischen Augen erhellt
war. Reiches schwarzes Haar wellte sich um die
weiße Stirne und war am Hinterkopf zu einem
griechischen Knoten aufgesteckt.
Jetzt erhob sie sich und schritt unruhig zum
Fenster. ' '
„Er mutz verhindert sein!" murmelte sie erregt.
„Und gerade heute wollte ich ein wenig den
Schleier lüften, denn seit ich weiß, daß er . . ."
Es fiel eine Klappe — in der folgenden Sekunde
schon stand die junge Dame vor dem Sprech¬
apparat.
„So spät?" sagte Anna Werdau. Ich fürchtete
schon. Sie wären verhindert. Ich habe einen Auf¬
trag für Cie. Was glauben Sie wohl, was es ist?"
„Haben Sie Nachricht von Ilse? Sagen Sie es
mir schnell, bitte, bitte!"
„Wie seine Stimme zittert!" dachte Anna be¬
wegt. Dann sprach sie: „Meine Freundin
Ilse . . ."
Als sie zögerte, kam es hastig zurück: „So
haben Sie sie gesehen! Wo wohnt sie? O bitte,
sprechen Sie!"
„Das darf ich nicht verraten."
„Ia, warum denn nicht? Sagen Sie ihr. dan
ich nie aufgehört habe, sie zu lieben."
„Sie lätzt Sie herzlich grüßen und hat mir
viel von Ihnen erzählt. Ich weiß zum Beispiel