Full text: 43.1915 (0043)

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hierbei war's gekommen, daß er sich den Arm gequetscht 
hatte, so unglücklich, daß dieser nie wieder ganz geheilt 
wurde und steif blieb für immer. Einen Meißel konnte 
er nie wieder fuhren. Aber er hatte zuerst den Schmerz 
verbissen und — den Arm in der Binde — nicht eher 
geruht, bis sie hoch oben stand, die stolze Niktoria auf 
her Porta triumphalis, dem Brandenburger Tor. 
Er hatte sich zu trösten gewußt. Mit dem Rest 
seiner kleinen Ersparnisse hatte er mit seiner Frau — 
Kinder hatten sie nicht — einen kleinen Kunsthandel 
in einem Parterreladen der Mauerstraße eröffnet, 
der ihn vermöge seiner Bekanntschaft in Künsteerkreisen 
schlecht und recht nährte. Sein Leben hatte eine starke 
Wandlung erfahren, nur — ivas gleich geblieben 
war, das war die unentwegte Liebe zu seiner Viktoria, 
die er aus der Taufe gehoben. Kaum ein Tag ver¬ 
ging, daß er nicht den Weg zum Brandenburger Tor 
zurücklegte, um einen Blick nach ihr zu werfen und 
dann wieder vergnügt nach Hause zu gehen. Seine 
Freunde und Bekannten neckten ihn, und bald hatte 
er seinen Spitznamen weg: „Viktorias Liebster!" 
Er machte sich nichts draus. Sie hatten kein 
Verständnis für solche Dinge, gar keinen Idealismus 
mehr, hatte er gesagt; kein Mensch kümmerte sich um 
die stolze Viktoria da oben, die den Ruhm des Vater¬ 
landes repräsentieren sollte. Und im Grunde hatte er 
Recht. Es war die Zeit des Niederganges von Preußen, 
die Zeit, dader Kosmopolitismus seine Triumphe feierte, 
da selbst berühntte Männer es für lächerlich und kin¬ 
disch hielten, national zu denken und zu fühlen. So 
gleichgültig, wie man sich gegen die Viktoria zeigte, 
so gleichgültig war man im großen und ganzen gegen 
die Geschicke des Vaterlandes. Preußen war schnell 
seinem Abgrunde entgegengeeilt. Ter Tag von Jena 
war da, und dreizehn Tage später, am 27. Oktober 
1806, zog der stolze Korse durch das Brandenburger Tor. 
Er hatte unter den Zuschauern gestanden, die 
Fäuste geballt und mit den Zähnen geknirscht; eine 
heiße Blutwelle war ihm nach dem Herzen gegangen 
und dann zum Kopf emporgestiegen, die ihm fast das 
Hirn verwirrte. Ja, hätte er in diesem Augenblicke 
eine Kugel im Lauf oder einen Dolch in seinem Wams 
gehabt, er, der harmlose Peter Breuer, hätte können 
zum Mörder werden an dem Weltherrscher, und wenn 
es auch sein Letztes gewesen wäre. Aber wie ein 
böser, gespenstischer Traum war die dämonische Gestalt 
des „kleinen Korporal" mit dem wachsbleichen Gesicht 
und den finstern, unheimlichen Augen vorüber. Hinter 
ihm die glänzende Suite seiner Marschälle, sämtlich 
wie aus Eisen gemeißelt. Peter Breuer blickte ihnen 
nach, dann warf er einen ängstlichen Blick auf die 
Viktoria hoch oben auf dem Brandenburger Tor. Ja, 
sie war noch da; aber merkwürdig, wie ein banges, 
banges Gefühls ging es durch seine Künstlerseele. 
Künstler sind Schauer. Es war, als wäre seine Vik¬ 
toria da oben nicht mehr sicher, als müßte jener Mann 
mit detn bösen Blick einst kommen und fte herunter¬ 
holen, jener Mann, der, — das wußte er — den Ruhm 
keines anderen neben sich duldete, imd dem eine 
Viktoria hoch über seinem Haupte in dem nieder¬ 
geworfenen Preußen unerträglich sein mußte. 
Er war ein richtiger Prophet gewesen! Napoleon 
hatte die stolze Quadriga gereizt.' Was ihn reizte, 
das mußte er haben, und — der unglücklichste Tag 
im Leben Peter Breuers war gekommen. — Es war 
im Frühjahr 1807 gewesen — die Franzosenherrschast 
lastete mit bleierner Schwere auf der Hauptstadt — 
da hatte Peter Breuer einen seiner gewöhnlichen 
Morgenspaziergänge nach dem Brandenburger Tor 
gemacht. Ja, was war denn das? Scharen von 
Menschen hatten den Pariser Platz besetzt. Auf das 
Tor zu bewegten sich mehrere Wagen. Französische 
Soldaten saßen darauf; einer von ihnen hieb wie 
unsinnig auf die Pferde ein und wünschte auf frän¬ 
kisch tausend Donnerwetter auf die überanstrengten 
Tiere und auf das „Lumpenpack" herab, das neugierig 
die Wagen umgab. Freilich, Gesindel war genug 
dabei. Berlin war verarmt, und Bettler und zer¬ 
lumpte Kinder trieben sich in jenen Tagen zu Hunderten 
auf den Straßen und Plätzen umher, lungerten im 
Lustgarten herum, dessen Eisenstangen man heraus¬ 
gebrochen hatte, um den täglichen Exerzitien der 
französischen Garde besser zuschauen zu können. 
Und heute gab es hier am Brandenburger Tor 
viel zu schauen. Riesenleitern wurden herangeholt; 
große Winden wurden hinauf geschafft auf das Tor; 
es galt dem Raub der Viktoria. 
Peter Breuer drängte sich vor; er war kreide¬ 
bleich; alles Blut strömte ihm zum Herzen. Mehr¬ 
mals drückte er mechanisch die Hand darauf, um das 
furchtbare Pochen zu bändigen. Wie im Traun: sah 
er den Fortgang der Arbeiten, wie man die einzelnen 
Teile des Viergespanns herunterholte, sie in Kisten 
packte; und endlich kam sie selbst, die göttliche Viktoria, 
seine Viktoria, an der sein Herz hing, wie an einem 
lebenden Wesen. Ist denn " niemand da, der dieser 
rohen Gewalt entgegentreten kann? Niemand? Und 
alle stehen stumm da; ja einige Tagediebe und 
Straßenjungen nrachen noch ihre faulen Witze. Ahnte 
denn niemand den schweren Verlust dieses Palladiums 
der Freiheit, des Sieges, niemand als der arme Peter 
Breuer? — Endlich hätte er eine Gruppe von Männern 
gefunden, denen man es ansieht, wie schwer sie unter 
dieser neuen Demütigung des Vaterlandes leiden. 
Er sieht, wie sie die' Fauste ballen und die Zähne 
knirschen. Da überwindet auch ihn sein Zorn. Er 
tritt heran an die Gruppe. Wie ein Wutschrei ent¬ 
führtes seinem Munde: „Wollen wir denn nicht diesem 
Gesindel das Handwerk legen?" ruft er laut. Er 
sieht nicht die beschwichtigenden Blicke und Mienen 
der Bürger; er hört nicht ihr warnendes „St!" 
„Reden Sie sich nicht um Kopf und Kragen!" 
„Bürger, Brüder!" schrie er ganz von Sinnen, 
„wollen wir es wortlos, tatenlos dulden, daß man 
unser größtes Heiligtum stiehlt? Wollen wir uns 
nicht zusammenraffen-" 
Er konnte nicht weitersprechen. Von hinten packte 
ihn der Arm eines französischen Gendarmen mit festem 
Griffe. Er wand sich vergebens unter der eisernen 
Faust. Hochrot im Gesicht vor ohnmächtiger Wut, 
schoß er giftige Blicke auf seinen Peiniger. „Verfluchte 
französische Schufte! Spitzbuben! Mordbrenner!" Ein 
Tritt in den Rücken war die Antwort des Gendarmen. 
„Ist denn kein Mensch da, der mir hilft gegen 
diese Bluthunde?" hatte JPeter Breuer verzweifelt 
gerufen. Wohl johlten die Straßenjungen hinter ihnen 
her. Verwegene Burschen von zweifelhaftem Aus¬ 
sehen ließen gellende Pfiffe ertönen; allein der Anblick 
des französischen Militärs hielt sie in respektvoller 
Ferne. Zudem hatten die meisten garnicht dem vollen 
Umfang nach geahnt, was das Herz des guten Peter 
Breuer hier bluten machte. 
„Es ist der verrückte Kunstgießer!" sagte einer. 
„Viktorias Liebster!" sagte ein anderer.
	        
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