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deutsche Mitleid» und dieses schöne deutsche Gottes-
geschenk bekam denn nun auch bald die Oberband
über den grimmigen Gas;. Keiner wollte die Gand
erbeben gegen den, den Gott geschlagen. Das
Mitleid lies; vergessen, was er verschuldet batte.
Kaum aber batte er sich im deutschen kett wieder
gewärmt und erholt, da sollte die Schinderei wieder
losgeben. Jlber das Gespenst, das im Lande um¬
ging, batte bereits Fleisch und Bein bekommen,
und bald batte es einen Damen, und dieser Dame
wurde laut auf der Straße gerufen: Aufstand gegen
den Menschenschlächter!"
(Dar es aber nach dem Zusammenbruch von
Jena, nach dem unglücklichen Seldzug von 1$09,
nach all den Enttäuschungen der letzten jähre
nicht auch fast vermessen, an eine Befreiung zu
glauben, an einen Sieg über den Mann, der schon
wieder neue Armeen in Frankreich aufstellte?
„Rüttelt nur an euren Ketten! Der Mann ist euch
zu mächtig," klang resigniert die Stimme Goethes
aus (Deimar. Konnte der verarmte und ausgeraubte
preußische Staat, der nur 42000 Soldaten halten
durfte, von denen die Gälfte jetzt bei der fran¬
zösischen Dordarmee unter Macdonald unweit der
russischen Grenze stand; konnte ein Staat, der von
französischen Garnisonen durchsetzt war, überhaupt
an eine Erhebung denken! 150 Millionen Oraler
hatte der Eroberer dem unglücklichen Lande ab¬
gepreßt. Das ist der Summe nach und auf den
Kopf der Bevölkerung berechnet, soviel wie die
Kriegsentschädigung, die wir 1871 dem französischen
Uolke auferlegt haben. Aber Frankreich war ein
reiches Land und der Geldwert von 1807 war der
dreifache. Dazu kamen die Erpressungen und Brand¬
schatzungen durch Dapoleon und seine Generäle.
So konnte eine Erhebung gegen den Bedrücker nur
dann einen Erfolg haben, wenn sie von der ganzen
Dation getragen wurde und sich jeder Mann sagte:
jetzt gilt es das Letzte. Und so ward es.
Für Rußland, dessen Geer in unsteten Kämpfen
auch zusammengeschmolzen war, hatte der Feldzug
sehr an Interesse verloren, sobald er die (Destgrenze
erreichte. Preußen war es, auf dem jetzt alle Goss-
nungen ruhten. Ein jubilieren ging durch das
ganze üolk, als die mannhafte Cat des eisernen
York die Debel der Ungewißheit zerstreute, als er
in der (Dinternacbt von Cauroggen den Dertrag
mit den Russen unterzeichnete, der vorläufig die
preußische Armee für neutral erklärte. Und dieser
jubelsturm riß auch die Bedenklichen und Uerzagten
mit sich fort. Und nun trug die Saat, die Stein
und Gardenberg und der unermüdliche Ernst Moritz
Arndt ausgestreut hatten, ihre Frucht. Der Gaß
gegen den fremden Bedrücker vereinte sich mit einer
beispiellosen Opferwilligkeit, die alles in den Dienst
des Uaterlandes stellte. Doch mußte König Friedrich
UJilhelm III., in Berlin, im Machtbereiche des Fein¬
des, Yorks Cat Öffentlich verurteilen, freier wurde
er erst in seinem Gandein, als er heimlich aus
Potsdam abgereist war und in Breslau mit seinem
Geer am 25. januar eingezogen war. Aber auch
jetzt noch hielt er zurück und es ist sein Uerdienst,
das; er den kühnen UJagemut Blüchers, Scharn¬
horsts und Gneisenaus immer wieder zügelte, bis
man wirklich losschlagen durfte. Dur so war es
möglich, den französischen Gesandten, den Grafen
Saint Marsau, der sich am Goflager des Königs
befand, über den Charakter der Rüstungen im
Zweifel zu erhalten, im Zweifel darüber, ob
Preußen mit oder gegen die Russen gehen wollte.
Erst am 26. März wurde das Bündnis mit Rußland
veröffentlicht. Dann folgten die weithin hallenden
Aufrufe: An mein Dolk! und An mein Kriegsheer!
sowie die Stiftung des Eisernen Kreuzes.
In jenem Bündnisverträge hatte sich Rußland
zur Stellung von 150000 Mann verpflichtet, hatte
aber zu Beginn des Feldzuges kaum ein Drittel,
jener Zahl auf deutschem Boden. Preußen dagegen
ging weit über das hinaus, was es zugesagt.
Statt der versprochenen $0000 Mann stellte es nach
und nach 300 000 Streiter ins Feld. Und das tat
ein vom Feinde zerstampfter und ausgeraubter Staat
mit insgesamt nur 5 Millionen Einwohnern, jähr¬
lich Preußen, das auf je 17 Einwohner einen Sol¬
daten ins Feld stellte, und das diese Armee aus
Summen ausrüstete, die aus den letzten Dotgroschen
des Dolkes, aus den Sparbüchsen der Rinder und
aus eingeschmolzenem Silbergerät und Crauringen
zusammenflössen, dieses Preußen hat die Gauptlast
des Krieges getragen und ihm, das die besten
seiner Söhne auf der UJablstatt verbluten sah, ihm
gebührt auch der Gauptruhm.
Außer den Causenden von Freiwilligen, die
Cag für Cag in Breslau zusammenströmten, trat
Scharnhorsts „unsichtbare" Armee jetzt in die Er¬
scheinung. Durch das sogenannte „Krümper"-
Svstem hatte der geniale Reorganisator der preu¬
ßischen Armee, die auf Dapoleons Gebot auf
42 000 Mann beschränkt worden war, ein starkes
Geer wenigstens notdürftig ausgebildet, indem er
nach dreimonatiger Dienstzeit immer einen Ceil der
Mannschaften entließ und neue Rekruten unter die
Fahnen berief. Aus diesen halbausgebildeten
„Rrümpern" konnte man zu Beginn des Krieges
über 50 Bataillone ins Feld stellen, allerdings
nicht ausreichend bewaffnen.
So trat man Dapoleon entgegen. Dieser hatte
sich inzwischen annähernd eine halbe Million