Full text: 41.1913 (0041)

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deutsche Mitleid» und dieses schöne deutsche Gottes- 
geschenk bekam denn nun auch bald die Oberband 
über den grimmigen Gas;. Keiner wollte die Gand 
erbeben gegen den, den Gott geschlagen. Das 
Mitleid lies; vergessen, was er verschuldet batte. 
Kaum aber batte er sich im deutschen kett wieder 
gewärmt und erholt, da sollte die Schinderei wieder 
losgeben. Jlber das Gespenst, das im Lande um¬ 
ging, batte bereits Fleisch und Bein bekommen, 
und bald batte es einen Damen, und dieser Dame 
wurde laut auf der Straße gerufen: Aufstand gegen 
den Menschenschlächter!" 
(Dar es aber nach dem Zusammenbruch von 
Jena, nach dem unglücklichen Seldzug von 1$09, 
nach all den Enttäuschungen der letzten jähre 
nicht auch fast vermessen, an eine Befreiung zu 
glauben, an einen Sieg über den Mann, der schon 
wieder neue Armeen in Frankreich aufstellte? 
„Rüttelt nur an euren Ketten! Der Mann ist euch 
zu mächtig," klang resigniert die Stimme Goethes 
aus (Deimar. Konnte der verarmte und ausgeraubte 
preußische Staat, der nur 42000 Soldaten halten 
durfte, von denen die Gälfte jetzt bei der fran¬ 
zösischen Dordarmee unter Macdonald unweit der 
russischen Grenze stand; konnte ein Staat, der von 
französischen Garnisonen durchsetzt war, überhaupt 
an eine Erhebung denken! 150 Millionen Oraler 
hatte der Eroberer dem unglücklichen Lande ab¬ 
gepreßt. Das ist der Summe nach und auf den 
Kopf der Bevölkerung berechnet, soviel wie die 
Kriegsentschädigung, die wir 1871 dem französischen 
Uolke auferlegt haben. Aber Frankreich war ein 
reiches Land und der Geldwert von 1807 war der 
dreifache. Dazu kamen die Erpressungen und Brand¬ 
schatzungen durch Dapoleon und seine Generäle. 
So konnte eine Erhebung gegen den Bedrücker nur 
dann einen Erfolg haben, wenn sie von der ganzen 
Dation getragen wurde und sich jeder Mann sagte: 
jetzt gilt es das Letzte. Und so ward es. 
Für Rußland, dessen Geer in unsteten Kämpfen 
auch zusammengeschmolzen war, hatte der Feldzug 
sehr an Interesse verloren, sobald er die (Destgrenze 
erreichte. Preußen war es, auf dem jetzt alle Goss- 
nungen ruhten. Ein jubilieren ging durch das 
ganze üolk, als die mannhafte Cat des eisernen 
York die Debel der Ungewißheit zerstreute, als er 
in der (Dinternacbt von Cauroggen den Dertrag 
mit den Russen unterzeichnete, der vorläufig die 
preußische Armee für neutral erklärte. Und dieser 
jubelsturm riß auch die Bedenklichen und Uerzagten 
mit sich fort. Und nun trug die Saat, die Stein 
und Gardenberg und der unermüdliche Ernst Moritz 
Arndt ausgestreut hatten, ihre Frucht. Der Gaß 
gegen den fremden Bedrücker vereinte sich mit einer 
beispiellosen Opferwilligkeit, die alles in den Dienst 
des Uaterlandes stellte. Doch mußte König Friedrich 
UJilhelm III., in Berlin, im Machtbereiche des Fein¬ 
des, Yorks Cat Öffentlich verurteilen, freier wurde 
er erst in seinem Gandein, als er heimlich aus 
Potsdam abgereist war und in Breslau mit seinem 
Geer am 25. januar eingezogen war. Aber auch 
jetzt noch hielt er zurück und es ist sein Uerdienst, 
das; er den kühnen UJagemut Blüchers, Scharn¬ 
horsts und Gneisenaus immer wieder zügelte, bis 
man wirklich losschlagen durfte. Dur so war es 
möglich, den französischen Gesandten, den Grafen 
Saint Marsau, der sich am Goflager des Königs 
befand, über den Charakter der Rüstungen im 
Zweifel zu erhalten, im Zweifel darüber, ob 
Preußen mit oder gegen die Russen gehen wollte. 
Erst am 26. März wurde das Bündnis mit Rußland 
veröffentlicht. Dann folgten die weithin hallenden 
Aufrufe: An mein Dolk! und An mein Kriegsheer! 
sowie die Stiftung des Eisernen Kreuzes. 
In jenem Bündnisverträge hatte sich Rußland 
zur Stellung von 150000 Mann verpflichtet, hatte 
aber zu Beginn des Feldzuges kaum ein Drittel, 
jener Zahl auf deutschem Boden. Preußen dagegen 
ging weit über das hinaus, was es zugesagt. 
Statt der versprochenen $0000 Mann stellte es nach 
und nach 300 000 Streiter ins Feld. Und das tat 
ein vom Feinde zerstampfter und ausgeraubter Staat 
mit insgesamt nur 5 Millionen Einwohnern, jähr¬ 
lich Preußen, das auf je 17 Einwohner einen Sol¬ 
daten ins Feld stellte, und das diese Armee aus 
Summen ausrüstete, die aus den letzten Dotgroschen 
des Dolkes, aus den Sparbüchsen der Rinder und 
aus eingeschmolzenem Silbergerät und Crauringen 
zusammenflössen, dieses Preußen hat die Gauptlast 
des Krieges getragen und ihm, das die besten 
seiner Söhne auf der UJablstatt verbluten sah, ihm 
gebührt auch der Gauptruhm. 
Außer den Causenden von Freiwilligen, die 
Cag für Cag in Breslau zusammenströmten, trat 
Scharnhorsts „unsichtbare" Armee jetzt in die Er¬ 
scheinung. Durch das sogenannte „Krümper"- 
Svstem hatte der geniale Reorganisator der preu¬ 
ßischen Armee, die auf Dapoleons Gebot auf 
42 000 Mann beschränkt worden war, ein starkes 
Geer wenigstens notdürftig ausgebildet, indem er 
nach dreimonatiger Dienstzeit immer einen Ceil der 
Mannschaften entließ und neue Rekruten unter die 
Fahnen berief. Aus diesen halbausgebildeten 
„Rrümpern" konnte man zu Beginn des Krieges 
über 50 Bataillone ins Feld stellen, allerdings 
nicht ausreichend bewaffnen. 
So trat man Dapoleon entgegen. Dieser hatte 
sich inzwischen annähernd eine halbe Million
	        
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