Full text: 41.1913 (0041)

1913 
1813 
von Dr. Ferdinand Grautoff. 
Zu ernsten Gedenkfeiern wird man sich überall 
in deutschen fanden zusammenfinden, um sich in 
die Zeit der Erhebung vor hundert Jahren zu ver¬ 
senken, das Jahr der Befreiung in der Erinnerung 
und mit Dank gegen die, die sie uns errungen, 
sich zu vergegenwärtigen, gleich eine Zeit! Ist 
irgend einer der heute Lebenden überhaupt im¬ 
stande, diese gewaltige Zeit mit ihrem Jammer 
der Fremdherrschaft, mit ihrem hoffen und ihren 
Enttäuschungen, mit ihrem Aufdämmern des Be¬ 
griffes Uaterland und ihrer jubelnden Aufopferung 
für das, wovon Uater Arndt fang, das; es das 
ganze Deutschland sein solle, zu verstehen? Dur 
wer sich in das ganze Elend der iranzofenzeit 
hineinzudenken vermöchte, da das preußische Uolk 
bis auf den letzten Laser ausgepreßt war, da der 
haushält auch der bisher Reichsten mit dem Pfennig 
zu rechnen hatte, und das, was heute auf dem 
Cifche des Lohnarbeiters tägliche Host ist, ein un¬ 
erschwinglicher Luxus war, nur wer noch mit jenem 
hoffnungslosen, zertretenen und ausgeraubten ße- 
fcblechte zu fühlen vermag, das den Uerrat und 
die Besinnungslumperei mit französischem Bolde 
gelohnt sah, und im Elend an keine Zukunft 
mehr zu glauben wagte, nur der vermöchte zu 
ermessen, was durch die Seele der Führer und 
Vorkämpfer der Befreiung ging, als der Brand- 
schein von Moskau über die russischen Schneefelder 
herüberleuchtete und das Unfaßbare zur Latsache, 
zur unerhörten greifbaren (Uahrheit wurde, als die 
Reste der großen Armee zerlumpt und verhungert, 
krank und marode an der deutschen Brenze ein¬ 
trafen. Als der Ruf: Kosak! genügte, um hun¬ 
derte dieser Jammergestalten von ihrem kümmer¬ 
lichen Lager, wo sie stumpfsinnig im Rot der 
Landstraße sich hingeworfen, aufzujagen und weiter 
zu treiben. „Crommler ohne Crommelftock, Brena- 
di er im ÜJeiberrock, so hat sie Bott geschlagen mit 
Mann und Roß und Magen." 
So zog das große Jahr 1813 herauf. Die es 
erlebt haben, deckt längst alle der grüne Rasen. 
Aber für manch einen der Älteren unter uns klingt 
aus der Kindheit Lagen noch ein Erinnern, da 
unsere Broßeltern aus der Franzosenzeit erzählten. 
Don der großen Armee und von Moskau, von 
Kaiser Dapoleon und von der Uölkerfchlacbt auf 
Leipzigs Huren. Aber immer lag ein bitterer Lon 
in diesen Beschichten, und ein Geschlecht, daß das 
gesehen und durchlebt, konnte sich nie wieder ganz 
zu harmloser Lebensfreude durchringen. Und 
wenn wir uns in diesem Jahr zu den Bedenk¬ 
feiern versammeln, so mag ihr Brundgedanke der 
sein, dafür zu sorgen, daß der Beist, der das 
preußische, das deutsche Uolk die lessein der 
Knechtschaft brechen half, in uns lebendig bleiben 
möge für alle Zeiten, dann braucht uns kein 
ieind und keine Befahr zu schrecken. 
Man hat oft gefragt, warum man den Krüm¬ 
mern der großen Armee bei ihrer Ankunft auf 
deutschem Boden nicht den Baraus gemacht hat. 
Der Regierungspräsident von Schön sagte später 
zum Freiherrn von Stein: „Das Uolk war dazu 
wohl lustig und nach den Mißhandlungen und 
Schändungen, die es von ihm erlitten hatte, 
wohl auch berechtigt, hätte nur einer von den 
Oberen die trompete geblasen: Schlagt tot, schlagt 
tot! — von den Lausenden dieser ßenerale und 
Offiziere wäre keiner über die (Deichsel gekommen.“ 
Stein sah einen Augenblick ernst vor sich hin und 
sagte dann trocken: „hm, ich glaube, ich hätte 
blasen lassen!" Es ist auch mehr als einmal vor¬ 
gekommen, daß, wo ein fjäuflein solcher Besprengter 
in einem Bauernhof übernachtete, am anderen 
Morgen keiner mehr weiterzog .... Das war 
eine Rache, die sich nicht mehr bändigen ließ, 
denn wie hatte die französische Soldateska im 
Minier 1806/07 in Ostpreußen gehaust, als sie 
die Landbevölkerung bis auf den letzten Strohhalm 
ausplünderte! Aber das blieben Ausnahmen und 
betraf in der hauptsache nur die Franzosen selber. 
Mir dürfen aber nicht vergessen, daß die große 
Armee nur zum geringsten Keil aus Franzosen 
bestand. Es waren meist deutsche Landsleute, die 
aus dem Elend des russischen Minters zurückkehrten, 
aus einem Feldzüge, dessen grauenhafte Einzel¬ 
heiten, wie sie Mitkämpfer wie Velin und Bour- 
gogne erzählen, uns, die wir heute den Segen 
der Benfer Flagge als etwas selbstverständliches 
hinnehmen, wie die Ausgeburt eines wüsten Craumes 
erscheinen wollen. Im Allgemeinen war es so, 
wie es Fritz Reuter in seiner „Franzosentid" er¬ 
zählt: „Der Franzose, der sich bisher als herr in 
deutschen Landen aufgespielt hatte, kam nun zurück 
als Schnorrer und Pracher und wandte sich an das
	        
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