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Verluste auf den Schlachtfeldern zu groß gewesen
wären; er meint, daß sein Zündnadelgewehr die Durch¬
führung der Kämpfe mit geringeren Opfern hätte
ermöglichen sollen. Und er erzählt darauf, daß er in
seinem Leben nur ein einziges Schlachtfeld gesehen
hätte: das von Jena — „lange, lange ist es her, aber
auf diesem Schlachtfelde kam mir die erste Idee, daß
die preußische Schußwaffe verbessert werden müßte,
wenn Preußen überhaupt auf seine Militärmacht
rechnen wollte."
„Ich war ein reisender Handwerksbursche —
Schlosser — und mit dem Ränzel auf dem Rücken
durchwanderte ich Deutschland und suchte in der un¬
glücklichen Zeit nach Frankreich zu kommen, dem ein¬
zigen Lande, wo man damals in meinem Handwerk
etwas lernen konnte. So kam ich am 15. Oktober
1806 durch Jena und sah die langen Reihen Toter
auf den Feldern und die abgeschnittenen Zöpfe da¬
neben ! Ich kann Ihnen nicht sagen, welch einen
grausigen Eindruck meine Seele empfing. Ich nahm
ein Gewehr auf und prüfte es; hören Sie — ich weiß
nicht, ob der Witz: „um die Ecke schießen" schon da¬
mals existierte, aber er konnte sich nur auf die preußischen
Gewehre beziehen. Nein, ich habe wirklich nie wieder
so etwas gesehen, es war das schlechteste, was man
sich denken konnte, ebenso wie dos französische Feuer¬
steingewehr nach dem Modell von 1779 die vollendetste
Waffe war, die es damals gab."
Als Handwerksbursche zog er nach Paris; ein
Schlosser wie sein Vater, der im thüringischen Sömmer¬
da, wo Nikolaus Dreyse am 22. November 1787 ge¬
boren wurde, eine kleine Werkftätte betrieb. In der
französischen Hauptstadt, über der damals die Sonne
Napoleons leuchtete, fand er zuerst in einer Wagen¬
bauanstalt, dann in der Waffenfabrik des Schweizer
Obersten Pauli Arbeit. Pauli lieferte einen Teil
der französischen Armeegewehre und besaß das Ver¬
trauen des Kaisers, der ihm auch einmal, erzählte
Dreyse, den Auftrag gab, ein Gewehr zu konstruieren,
das „sich von hinten lade". Nun waren Hinterlader-
gewehre keineswegs etwas Neues; die Waffensammlungen
unserer Museen und Zeughäuser weisen unendlich viele
solcher Gewehre aus ältester Zeit auf, ebenso wie unsere
modernsten Maschinengewehre und Mehrlader zahl¬
reiche Vorläufer aus früheren Jahrhunderten haben.
Aber sie sind sämtlich zu kompliziert, um kriegsbrauch¬
bar zu sein — und zu kompliziert war denn auch das
Gewehr, das Pauli schließlich Napoleon vorlegte.
Es wurde verworfen, die Idee schlug jedoch in Dreyses
Seele tiefe Wurzeln. Er hat nie wieder von ihr
gelassen.
Aber die Leidensschicksale des Erfinders mußte er
bis auf den Grund auskosten. In Paris versagte die
Arbeit; in Havre zog er sich dann beim Abdrehen
von Metallspiegeln für einen Leuchtturm eine gefähr¬
liche Augenkrankheit zu; der Hunger pochte an seine
Tür. So ging er endlich, 1814, nach der Heimat
zurück, trat in die Werkstätte seines Vaters ein und
wußte dem Betrieb in bescheidenen Grenzen einen
Aufschwung zu geben. Er schlug dabei neue Wege
ein: Hilfsmaschinen der Schlosserei, die er im Auslande
kennen gelernt hatte, wurden gebaut, und schließlich
richtete er gemeinsam mit einem unternehmenden Kauf¬
mann eine kleine Fabrik ein, in der er, als erster in
Deutschland, Knöpfe, Nägel und Fensterbeschläge durch
Pressung, auf dem sogenannten kalten Wege, herstellte.
Ein Jahrzehnt verging, ehe Dreyse wieder Gelegen¬
heit und Muße fand, sich der Gewehrfrage zu widmen.
Auf einem Umwege zunächst; wie so ofl Umwege zum
Ziel führen. Inzwischen war nämlich, 1818, in
England das Zündhütchen erfunden worden, dessen
Herstellung aber streng geheim gehalten wurde. Dreyse
glückte es nach mannigfachen Versuchen, bei denen er
in dem Apotheker Baudius zu Sömmerda einen guten
Berater fand, hinter die Mysterien der chemischen und
technischen Prozesse zu kommen; er erhielt 1824 ein
Patent auf die Erzeugung von Zündhütchen, und sein
Fabrikat führte sich überraschend schnell nicht nur in
der Privatindustrie, sondern auch in fast allen deutscheil
Heeren ein. Damit war der Grundstock zum Wohl¬
stand gelegt.
Dann kam ihm die Idee, für die bisherigen Vorder¬
lader eine Einheitspatrone zu erfinden, in der Geschoß,
Pulverladung und Zündpille vereinigt werden und
die durch eine dünne Stahlnadel zur Entzündung ge¬
bracht werden sollte. Gegen 1828 war ihm die
Konstruktion eines solchen Gewehres gelungen. Wohl¬
verstanden: also noch eines Gewehres, das von der
Mündung, von vorn geladen wurde. Er legte es in
Berlin und Wien vor, — und man lächelte oder zuckte
die Achseln. Man lächelte erst recht, als Dreyse ein
halbes Jahrzehnt später seinen ersten Hinterlader kon¬
struiert hatte; man bewies ihm haarscharf, daß dies
Gewehr eine technische Ungeheuerlichkeit wäre.
Nur der Prinz von Preußen, unser späterer großer
Kaiser, hatte die Dreyseschen Erfindungen fast von
Anbeginn an mit lebhaftestem Interesse verfolgt, hatte
Dreyse persönlich zu sich befchieden und wenigstens
die Einsetzung einer Kommission zu deren Prüfung
verlangt. Dann waren es der damalige Hauptmann
von Priem und General von Witzlechen, die die Vor¬
teile der neuen Waffe — die größere ^chießgeschwindig-
keit und die bessere Möglichkeit der Ausnutzung des
Geländes durch sie, da der Schütze es in jede r
Stellung laden konnte, nicht nur wie bisher im
Stehen — klar erkannten. Und endlich kam der Tag,
an dem das Gewehr auf einem Schießstand der
Berliner Hasenheide seine erste große Probe ablegen
sollte. Dreyse gab dem Korrespondenten des Daheim
davon eine Schilderung von geradezu dramatischer
Lebendigkeit.
„Ich hatte einhundert Patronen mitgebracht, die
mit demselben Gewehr verschossen werden sollten. Die
Kommissäre lächelten, als sie diese Menge von Munition
sahen, denn sie hatten ja voraus gesagt, daß nicht
mehr als zehn Schüsse fallen würden, ehe die Patrone
von selber explodierte. Ich sehe den Prinzen August,
(den Präses der Kommission), noch vor mir wie heute;
er saß auf einem ausnahmsweise hohen Pferd und
hatte einen jener hohen Hüte mit Federbusch, wie sie
unsere Generäle früher trugen. Hüte, die unterm Kinn
mit einem Bande befestigt werden mußten. Er war
ein sehr wohlwollender Herr, und nach der Art und Weise,
wie er mich ansah, schien es mir, als wenn er Mit¬
leid mit mir hätte. Und nun begann der dazu erwählte
Schütze fein Schießen. Es dauerte eine ganze Zeit.
ehe die Herren von der Kommission ihre ruhigen Gesichter
verloren; als aber Schuß aus Schuß fiel, als die
Munition sich mehr und mehr verminderte. —^und
als das Gewehr ihnen durchaus nicht den Gefallen
tun wollte, zu explodieren, da wurden die Gesichter
länger und länger. Prinz August wurde sehr rot im
Gesicht — er ritt im kurzen Trabe hin und her und
warf ganz erstaunte Blicke auf den Haufen von
Patronen, der immer kleiner wurde. Und'so ging das
zehn Minuten hintereinander fort, bis endlich der