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Witz, und eine eigentümliche Gestaltung ihres ober-
harzischen Dialekts, sind der Andreasberger besonderes
Eigentum."
Und wer kann es wissen? Vielleicht ruhen dem
Städtchen die schwarzen und die heiteren Lose noch
heute im tiefdunkeln Schoß der Erde, daß noch ein¬
mal eine Zeit anbricht, wo der schürfende Berg¬
knappe wieder „hässlich wird", Mutung einlegt und
dann auch „sündig wird", um mit modernem Betrieb
und reichlicher Ausschüttung den Segen des Bergbaus
aus der Tiefe zu holen.
Wer wollte dem fleißigen, zähen und genügsamen
Bergmannsgeschlecht, das dort oben im Harz haust,
fernab vom Lärm und von der Haft des Großstadt¬
tages, nicht von Herzen Glückauf wünschen! —
Heldentat und Heldentod eines Prinzen.
In den letzten Tagen des Aprils 1785 war's.
Einem langen, harten Winter war der Frühling ge¬
folgt, aber des letzteren Einzug bedeutete Kampf mit
seinem Vorgänger. Die Sonne rang mit den dunkeln
Schneewolken, und die Eisschollen auf dem Oderstrome
stritten mit dem Wasser um die Herrschaft. Donnernd
erprobten die dicken Eissiücke ihre Stärke an den
Brückenpfeilern, und wo sie zahlreich genug waren,
drängten sie die Wasserwogen aus ihrem Bett, daß sie
wildflutend über das Flußgelände schossen und es
überschwemmten.
Das ging bereits tagelang so, und die Stadt
Frankfurt konnte ein gar trauriges Lied davon singen.
Noch größer wurde die Wassersnot, als die Eismassen
vollends geschmolzen waren und gierig an den Dämmen
leckten, um dahinter ihr Vernichtungswerk zu beginnen.
Das in der Stadt liegende Infanterie-Regiment
war Tag und Nacht auf den Beinen, den Damm zu
bewachen und dem wütenden Element zu wehren.
Aber es war, als müsse die Flut ein Opfer haben.
Am Morgen des 27. April ertönten die Sturmglocken,
Trommelwirbel und Hornsignale alarmierten die Gar¬
nison, eine große Bestürzung ergriff die Bürgerschaft,
denn die Dammvorstadt stand unter Wasser. Durch
einen klaffenden Riß des Dammes stürzten die gelben
Fluten der Oder in den tief gelegenen Stadtteil und
zwangen die Bewohner, ihre Wohnstätten zu verlassen.
In eiliger Flucht, nur um das uackte Leben besorgt,
rannten die Leute lautjammernd davon und suchten
die höher gelegenen Straßen der Stadt zu erreichen.
Wehe dem, der die rettende Frist verpaßte. Minute
um Minute wuchs die Flut, und wer da zögernd
glaubte, sie werde ihn noch mitkommen lassen, der
war verloren.
Die Soldaten arbeiteten mit übermenschlicher Kraft.
Angefeuert von ihrem obersten Vorgesetzten, dem
Generalmajor Prinzen Maximilian Leopold von Braun¬
schweig, einem Neffen des großen Friedrich, vollbrachten
sie Wunderdinge. Endlich schienen alle Menschen in
sicherer Hut zu sein, und es erfolgte der Befehl, alle
weiteren Bemühungen einzustellen. Der Prinz, tief
bewegt von dem Unglück, das so viele brave Leute ge-
troffen, stand beobachtend am Rande der mordenden
Flut, die in wilden Strudeln Hausgeräte, Balken und
mit den Wellen ringendes Vieh auf ihren schmutzig-
schäumenden Wellen trug.
Da ertönte von einem Hause, dessen Giebel noch
übers Wasser sah, ein herzzerreißender Schrei. Eine
Mutter stand, ihr Kind krampfhaft in den Armen
haltend, auf dem wankenden Dachfirst und schrie nach
Rettung. Zwei Menschenleben schienen verloren, denn
wer sollte in diesem Wirrwarr von Holz und anderen
Sachen bis dahin gelangen, ohne selbst sein Leben zu
verlieren. Die Offiziere sahen ratlos darein, hier war
wirklich schwer zu befehlen, wollte man die ausge¬
schickten Mannschaften nicht dem sicheren Tode weihen.
Alles sah auf den Prinzen. Er dackte wie die andern.
Aber plötzlich warf er, der als edler Menschen¬
freund bekannt war, seinen Mantel vor: den Schtiltern,
löste seinen Degen und rief: „Einen Kahn her!"
Man zögerte; aber dem erneuten Befehl leistete
man Folge und mit einem Satze saß der Prinz im
Fahrzeug, ihm nach einige Unteroffiziere, und hinaus
ging's in die rauschende Flut. Wo ein Prinz sein
Leben wagte, wollten die andern nicht zurückstehen.
Rasch folgte ein zweiter Kahn, dem ersten in der Not
zu helfen.
Mühsam drängten sich die Fahrzeuge durch die
Wasser, stoßweise zwängten sie sich vorwärts dem Ziele
entgegen. Atemlos sah die Menge dem grausigen
Schauspiel zu. Jetzt erreichten die Kähne eine freie
Wasserstraße, und — gottlob — nun hoben sie die vor
Angst fast tote Frau mit ihrem Kinde vom Dachfirst
in den zweiten Kahn, während der des Prinzen folgte.
Langsam ging's zurück zum rettenden Ufer. Da,
ein Ruck, und des Prinzen Fahrzeug legte sich auf die
Seite. Ein Baum, den die trügerischen Wellen ver¬
deckt hielten, hatte das Boot zum Kentern gebracht,
und alle Insassen versanken in den Fluten. Während
die Begleiter des Prinzen wieder emportauchten und
sich an die herumschwimmenden Balken klammerten,
kam der Prinz selbst nicht mehr zum Vorschein.
Ein erschütterndes Wehklagen begann, man sandte
Rettungskähne aus, aber vergebens, der Prinz war nicht
zu finden. Erst nach zwei Tagen, nachdem sich die Hoch¬
flut verlausen, gelang es, seinen Leichnam, welcher im
Sande halb hegraben lag, zu heben und zu bergen.
Unbeschreiblich war der Jammer um den hoch¬
herzigen Menschen. War er doch stets ein hilfsbereiter
Helfer und Freund der Armen und Notleidenden ge¬
wesen. Nun mußte er ein Opfer seiner Menschenliebe
werden. Die ganze Stadt stand in aufrichtiger Trauer
an der Bahre des Prinzen. Am meisten jedoch be¬
trauerten ihn sein Regiment, das ihn nicht nur als
einen milden, gütigen Vorgesetzten verehrte, sondern
ihm auch noch aus einem andern Grunde zu großem
Danke verpflichtet war. Er hatte nämlich den Mann¬
schaften eine Schule errichtet und diese reich ausge¬
stattet, damit deren Kinder etwas Tüchtiges lernten.
Seine Fürsorge ging sogar so weit, daß er auch die
Lehrmittel und Bücher aus eigenem Vermögen bestritt
und die Bedürftigen mit Kleidern und Schuhwerk ver¬
sorgen ließ.
Nun war der Edle nicht mehr. Die Schule aber
besteht heute noch unter dem Namen „Garnison-
(Leopold)-Schule". Und am Todestage des verewigten
Prinzen kommen die Geschenke aus seiner hochherzigen
Stiftung zur Verteilung.
Die Stelle, wo der Prinz seinen Heldentod gefunden,
bezeichnet ein einfaches Denkmal, wie sie ihm Liebe
und Dankbarkeit der damaligen Zeit gestiftet. Ein
großes Bild, die Bergung der Leiche darstellend, be¬
findet sich in der St. Marien-Kirche.
M. Niedurny.