Aktive Konjunkturpolitik und Gewerkschaften
Nachdem die dringlichsten Wiederaufbau
probleme der europäischen Wirtschaft ge
löst sind, wird immer wieder die Befürchtung
laut, daß es nun an den volkswirtschaftlichen
Aufgaben und damit an den Impulsen fehlen
'•önnfe, die erforderlich sind, um die Wirf-
tjiaft in Gang zu halten, die noch arbeifs-
c ; en, aber auch die sich Jahr für Jahr zu-
nVicR anbietenden Arbeitskräfte zu beschäf-
** n
ft mag dahingestellt bleiben, ob daiPrcb-
V. der volkswirtschaftlichen Aufgaben nicht
S r "haupt ein Pseudoproblem ist. Im euro-
chen Wirfschaftsraum steht es außerhalb
jeder Ciskussion. Nicht nur, daß ein Woh-
nungsdefizif zu beseitigen ist, das in die
Millionen geht, in verschiedenen Wirfschafts-
be'eichen sind Ersatz- und Rationalisierungs-
maßnahmen ungewöhnlichen Umfangs zu lö
sen. Erinnert sei nur an die allmählich nicht
mehr oufzjschjebende Erneuerung des Eisen
bahnoberbaus, an die düngende Rationalisie
rung der Grundstoff- und Exporfindustrien.
S nd die Aufgaben vorhanden, s- stellt sich
* ch das Problem: welche Kräfte gewillf und
*-•'1 der Lage sind, sie in Angriff zu nehmen.
Dieses Problem erscheint heute dringlicher
denn je, da man in der Beurteilung der wei-
* ‘■ren Wirtschaffsentwick'unq unsicher gewor-
► en ist und jede wirtschaftliche Aktivität mit
?inem erhöhten Risiko belastet zu sein scheint.
Die Wirtschaftswissenschaft ist zumeist un
bewußt zu der Erkenntnis vorgedrungen, daß
es mit dem ökonomischen Prinzip, d. h. mit
Die nach dem Zusammenbruch neu gebil
deten Wirtschaftsverbände und Fachorgani
sationen haben, — wie das Wirtschafts
wissenschaftliche Institut der
Gewerkschaften im Dezember-
Heft seiner „Mitteilungen" schreibt;
vermutlich in Denkanlehnung an die von den
Militärregierungen aufgelösten Wirfschafts-
^\ruppen und Ringen, wirtschaftliche Funk-
"-sionen übernommen, deren Umfang und In
tensität berechtigen, von einer Politisierung
der Wirtschaft zu sprechen. Ihre den Ge
sandtschaften vergeichbaren Interessenvertre
tungen am Sitze der Regierung gestatten es;
wirtschaftliche Vorteile auf dem Gebiete des
Wirtschaffsrechts, der Steuer- und Zollpolitik
wahrzunehmen, wobei das Verbands- oder
Brancheninteresse geschickt mit dem Allge
meininteresse identifiziert wird. Umgekehrt
findet es die staatliche Verwaltung bequem;
sich des Rates dieser Vertretungen zu be
dienen. Wirtschaftliche Erfolge von Betrieben
sind oft weniger das Ergebnis eigener An
strengungen als das Resultat von Verbands
arbeit. Der staatliche Ressortleiter wird nicht
mehr als Beamter, sondern als Sachwalter
der Verbandsinteressen gewertet. Auch das
Parlament wird als Raum für wirtschaftliche
Interessenvertretung betrachtet und demzu
folge mit steigender Fachbesetzung entpoliti
siert.
Ebenso bedeutsam wie die wirtschaftspoli
tischen sind die privatwirtschaftlichen Funk
tionen der Verbände, soweif sie die wirt
schaftlichen Interessen ihrer Mitglieder als
dem vorsichtigen und vorsorglichen Haushal
ten, allein nicht getan ist. Gleich wichtig ist
das virtuelle Prinzip; sind die expansiven,
die tortschriftlichen Kräfte; die über die ge
gebenen Möglichkeiten hinaus vorstoßen; da
mit aber neue und größere Entwicklungen ein
leiten. Träger des virtuellen Prinzips —
schreibt das Wirtschaftswissenschaftliche Insti
tut der Gewerkschaften im Dezember-Heft der
„Mitteilungen" — kann der Unternehmer sein;
Träger kann aber auch der Staat sein; er
übernahm es, als in der großen Krise der 30er
Jahre die Unternehmerinitiative versagte.
Aber weder die Unternehmerschaft noch
der Staat können den Anspruch erheben, die
einzigen und ausschließlichen Exponenten des
wirtschaftlichen Fortschritts zu sein So sle-
hen heute die Gewerkschaften vor der Frage,
ob und wieweit es nicht ihre Aufgabe ist,
die Verantwortung für die gesamtwirtschaft
liche Entwicklung zumindest mit zu überneh
men. Es kann durchaus sein, daß es einer
expansiven Lohnpo'ifik bedarf, nicht nur, um
den Lebensstandard der Werktätigen zu he
ben, sondern um die Konjunktur abzuschir
men und die Vollbeschäftigung zu sichern.
Die amerikanischen Gewerkschaften haben
mit Rücksicht auf einen möglichen Konjunk-
tureinbruch diese Verantwortung übernommen.
Sie fordern, daß die abklingende Rüstungs
konjunktur in eine Konsumkonjunkfur über-
geleifet wird. Den europäischen Gewerk
schaften könnte sich in der übersehbaren Zu
kunft eine ähnliche Aufgabe stellen.
gemeinsame und einheitliche Aufgabe wahr
nehmen. Entgegen den Grundsätzen einer
Verkehrswirtschaft wird ein Preiswetfbewerb
nur bejaht, wenn er sich zwischen Gruppen
und Branchen, nicht aber von Betrieb zu
Betrieb auswirkt. Handels- und Gewinnspannen
werden kollektiv festgesetzt. Der „freie
Markt" ist in die Sitzungszimmer der Ver
bände verlegt, an die Stelle des Einzelwett
bewerbs ist ein Gruppenwettbewerb ohne rui
nöse Tendenz getreten.
Diese Feststellungen könnten durch den
Hinweis auf die Diskussion über die Kartell
frage ergänzt werden. Der Internat. Gewerk
schaffsbund hat wiederholt auf der Wider
spruch zwischen dem Iheorefisierenden Dog
matismus des Neoliberalismus und der wirt
schaftlichen Praxis verwiesen, ebenso Ist
seine Stellungnahme zur Karteüfrage bekannt)
Diesen strukturellen Prozessen der Organik
sation der Wirtschaft und ihrer Wirfschafts-t
politik - gegenüber ergibt sich die gewerkt
schaftlich notwendige Lohnpolitik von selbst)
Die gegenwärtige Lage der europäischen
Wirtschaft macht eine dynamische Lohnpolitik
zu einer zwingenden wirtschaftlichen Not-f
Wendigkeit. Der Wiederaufbau und die Mo-^
dernisierung der Betriebe nähern sich einen
normalisierenden Investitionstätigkeit. In einem
sogenannten marktwirtschaftlichen System ist
jede expandierende Wirtschaft von der Ge-i
fahr bedroht, daß die Nachfrage hinter dem
Warenangebot zurückbleibt. Daher bedarf es
einer Konjunkfurpolitik; die sicherstem, daß
das volkswirtschaftliche Gleichgewicht gewahrt
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bleibt. Diese Konjunkfurpolitik ist durch ein*
aktive Strukfurpolitik zu ergänzen; um all*
verfügbaren Arbeitskräfte und ihren Zuwach*
zum Einsatz zu bringen; Sowohl für ein*
aktive Konjunktur — wie auch Strukfurpolitik
ist die Lohnpolitik eines dar wichtigsten (n-4
strumente.
Die Lohnpolitik darf nicht allein dynamisch?
sie muß auch expansiv sein. Sie darf sich
nicht damit begnügen, 1 den Reallohn an di«
volkswirtschaftliche Entwicklung nachträglich
heranzubringen. Sie muß versuchen, die wirt-t
schaftliche Expansion von sich aus zu for-4
eieren, um durch bewußte Kraftsfeigerung
eine Ausweitung der Produktion herauszu-t
fordern. Die USA sind hierfür ein lehrreiche!
Vorbild. Eine expansive Lohnpolitik ist zu*t
gleich das wirksamste Mittel, die Betrieb*
laufend zu höherer Rationalität arßuhalfen; di*
Produktivität zu steigern und damit die LohrH
expansion zu fundamentieren.
Tempo und Höhe der lohnpolitischen For-t
derungen haben sich in Anlehnung an di*
vorher skizzierte Gruppenkonkurrenz nach der<
jeweiligen Verhältnissen dieser Gruppen, BrarH
chen oder Großunternehmen und ihrer sfruk-1
fure.llen Fortschrittsrate zu orientieren.
(Presseauszug aus >,Mitteilungen" des WirM
schaffswissenschaftlichen Instifuts der Gewerk-j
schaffen, Heft 12, 1953).
*
Expansive Lohnpolitik