Full text: 1954 (0009)

Organ des I. V. öffentliche Betriebe und Verwaltungen der Einheitsgewerkschaft 
5. Jahrgang 
Saarbrücken, März 1954 
Nummer 3 
Appell an Regierung und Landtag 
Der Verbandsaussehuß nahm in seiner 
Sitzung am 11. 3. 1954 zur allgemeinen 
Lage auf gewerkschaftlichem Gebiete 
Stellung. Die Diskussion über die we- 
-v sentliehsten Gesetze, die uns als Inter 
essenvertretung der Beamten, Angestell 
ten und Arbeiter des öffentlichen Dien 
stes angehen und auf die wir zum Teil 
seit mehreren Jahren vergeblich warten, 
kann auf den Tenor gebracht werden: So 
kann es nicht weitergehen! 
Da Landtag und Regierung auf unsere 
verschiedensten Eingaben und auch auf 
diejenigen der anderen Berufsorganisa 
tionen (soweit uns bekannt) nicht rea 
gieren, beschloß der Verbandsausschuß, 
auf diesem Wege an das Gewissen, den 
guten Willen und die Einsicht der Re 
gierungsmitglieder und Landtagsabge 
ordneten zu appellieren. Wir wollen die 
Erinnerung der Angesprochenen auffri 
schen und unsere Forderungen noch ein 
mal zusammenfassen: 
1. Anerkennung und Mitwirkung der Ge 
werkschaften: 
Die Verfassung des Saarlandes garan- 
- tiert nicht nur den gewerkschaftlichen 
Zusammenschluß, sondern sagt im Artikel 
58 z. B. folgendes: „Die Vereinigungen 
der Arbeitgeber und Arbeitnehmer wir 
ken auf der Grundlage der Gleichberech 
tigung in Wirtschaftsgemeinschaften zu 
sammen. Sie haben die gemeinsamen An 
gelegenheiten ihres Bereiches zu behan 
deln, sind mit der Wahrnehmung der 
Interessen ihres Wirtschaftszweiges in der 
Gesamtwirtschaft betraut und von der 
Regierung zu apen wirtschaftlichen und 
sozialen Maßnahmen von grundsätzlicher 
Bedeutung zu hören.“ 
Wir müssen jedoch aus den Erfahrun 
gen der Praxis heraus die Frage stellen: 
was nützt uns die Anerkennung der Be 
rufsorganisationen des Öffentlichen Dien 
stes, wenn sie nur auf dem Papier steht? 
Es geht nicht an, daß Regierung und 
Landtag, die den privaten Arbeitgebern 
ein Beispiel für die Handhabung demo 
kratischer Rechte und Pflichten geben 
sollten und Schrittmac] er auf dem Wege 
zur wirtschaftlichen Demokratie sein 
müßten, in den Berufsorganisationen des 
öffentlichen Dienstes ein lästiges Uebel 
sehen. Zu dieser Feststellung sehen wir 
uns gezwungen, da wir heute froh sein 
müssen, wenn wir nach Monaten auf un 
sere Eingaben eine unverbindliche Ant 
wort bekommen, von Aussprachen und 
Verhandlungen ganz zu schweigen. Und 
wenn es wirklich einmal zu Verhandlun 
gen kommt, dann muß man immer da 
mit rechnen, daß das Verhandlungser 
gebnis ignoriert und Nicht-Verhandeltes 
Gesetz wird. 
Diese harten Worte müssen einmal ge 
sprochen werden, denn es ist uns ernst 
mit der Demokratie. Wir sind als Be 
amte, Angestellte und Arbeiter des öf 
fentlichen Dienstes bereit, die demokra 
tische Staatsordnung zu verteidigen, ha 
ben auch Verständnis für die Sorgen 
und Nöte der Regierung und des Par 
laments, erwarten aber auch, daß wir 
nicht als Staatsbürger 2. Klasse behan 
delt werden. 
2. Tarifvertragsfreiheit. 
Artikel 4? der Verfassung garantiert 
allen Arbeitnehmern ein einheitliches 
Arbeitsrecht, „welches das Schlichtungs 
verfahren sowie die unabdingbaren Kol- 
lektivvereinbarungcn zwischen Gewerk 
schaften und Arbeitgeber-Organisationen 
regelt.“ In Ausführung dieses Auftrages, 
den die Verfassung dem Landtag gab, 
wurde am 30. 6. 1949 das Tarifvertrags 
gesetz verabschiedet. Es gilt jedoch nur 
für die Arbeitnehmer der privaten Wirt 
schaft. Warum nicht auch für den öf 
fentlichen Dienst? Wir haben von An 
fang an den Standpunkt vertreten und 
vertreten ihn auch heute noch, nämlich, 
daß die Landtagsmehrheit nicht das Recht 
und auch keinen stichhaltigen Grund 
hatte, die Angestellten und Arbeiter des 
öffentlichen Dienstes auszuschließen. 
Wenn das Gesetz nicht als verfassungs 
widrig angesehen werden soll, dann ist 
es höchste Zeit, daß der § 2 ausgeführt 
wird. Diese Sonderregelung darf uns je 
doch nur ein besonderes Tarifvertrags 
gesetz, keine Tarifordnung bringen. 
Mit Recht kann das Saarland auf seine 
sozialen Errungenschaften stolz sein. Wa 
rum will man aber auf diesem Gebiete 
rückschrittlich werden? In der Bundes 
republik liegen die Verhältnisse absolut 
nicht anders, und trotzdem gilt dort da^ 
Tarifvertragsgesetz auch für den öffent 
lichen Dienst. Außerdem wollen wir dar 
auf hinweisen, daß es unseres Erachten- 
Vorbedingung für die Aufnahme als Voll 
mitglied in die Internationale Arbeitsor 
ganisation ist, daß die internationalen 
Konventionen anerkannt werden. Dazu 
gehört auch die Anerkennung der Tarif 
vertragsfreiheit, und zwar für alle Ar 
beitnehmer. Auch im öffentlichen Dienst 
müssen die Ueberreste des Totalitarismus 
überwunden werden! Die Arbeiter und 
Angestellten des öffentlichen Dienstes wol 
len ebenso wie ihre Kollegen der freien 
Wirtschaft als gleichberechtigte Verhand 
lungspartner ihre Löhne, Gehälter, Be 
schäftigungsbedingungen usw. mit ihren: 
Sozialpartner (Regierung. Gemeinden v 
sonstige Körperschaften) aushandr] . 
Wann ist es endlich soweit? 
3. Betriebsverfassungsgesetz: 
Seit über 5 Jahren wird von der ge 
samten Arbeitnehmerschaft die Forderung 
nach einem fortschrittlichen Betriebsräte 
gesetz erhoben. Nach den Erklärungen 
des Herrn Ministerpräsidenten und Ver 
lautbarungen des Sozialpolitischen Aus 
schusses darf in Kürze mit der Verab 
schiedung dieses Gesetzes, das dann „Be 
triebsverfassungsgesetz“ heißen wird, ge 
rechnet werden. Von der Verschleppung 
und von der Verwässerung des Gesetzes 
soll hier nicht die Rede sein, sondern 
nur von der einen Tatsache, daß wieder 
der öffentliche Dienst ausgeschlossen wer 
den soll. Wir haben an dieser Stelle 
schon so oft zum Ausdruck gebracht, 
daß die in der Verfassung garantierte 
Gleichheit aller Staatsbürger auch eine 
gleiche Behandlung durch die Gesetzge 
bung erfahren muß. Ebenso haben wir 
ausgeführt, daß wir selbstverständlich 
einsehen. daß bei der Regelung der Frage 
der Mitbestimmung in wirtschaftlicher
	        
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