ORGAN DER EINAEITSGEUJERRStHAfl DER ARBEITER. ANGESTELLTEN UND BEAEIITEN
8. Jahrgang Saarbrücken / März 1954 Nummer 3
Mitsprache — Mitbestimmung
Stellungnahme der Einheitsgewerkschaft zu einer Rede des Ministerpräsidenten
Auf der Tilgung des V. d. A. nahm der saarländische Ministerpräsident, Herr Johan
nes Hoffinann, auch Stellung zur Frage der Mitsprache und der Mitbestimmung im Be
trieb. Seine Ausführungen gaben der Einheitsgewerkschaft Anlaß zu dem Schreiben, das
wir nachstehend veröffentlichen.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!
Mit großem Interesse haben wir die Pres
seberichte über Ihre Ansprache auf dem 1.
Saarländischen Angestelltentag des Verban
des der kaufmännischen und technischen An
gestellten (Unabhängige Christliche Gewerk
schaft der saarl. Angestellten) zur Kenntnis
genommen.
Daß wir Ihre grundsätzlichen Ausfüh
rungen zum Betriebsverfassungsgesetz mit ganz
besonderer Aufmerksamkeit verfolgen, liegt
in der Natur der Sache begründet und dürfte
umso verständlicher sein, als gerade die Ein
heitsgewerkschaft seit Jahren bemüht ist, die
längst überholte und in vieler Hinsicht un
zulängliche BetricbsrUteverordnung von 1947
durch ein Gesetz zu ersetzen, das den Ar
beitnehmern das Mitsprache- und Mitbestim
mungsrecht im Betrieb garantiert.
Sie führten, sehr geehrter Herr Mini
sterpräsident, It. Saarbrücker Zeitung vom
Montag, den 8. März 1954 wörtlich aus:
„Sie werden Ihr Betriebsverfassungsgesetz, das
jflk Sie so oft und so leidenschaftlich gefordert
haben, erhalten. Sie werden Ihr Mitsprache-
und Milbcstinummgsrccht erhalten. Ob die
Betriebsgemeinschaft damit \\ irkliehkeit wird,
das wird an Ihnen selbst liegen. Unser An
liegen war und bleibt: Der Arbeiter und der
Angestellte sollen in - ihrem Betrieb Mit
sprache- und Mitbestiimnungsrecht erhalten.
Betriebsgeineinsrhaft kann nicht von außen
befohlen, dirigiert und durch Betriebsfremde
verwirklicht werden, sondern nur durch die
im Betrieb miteinander führend und ausfüh
rend verbundenen Arbeitgeber und Arbeit
nehmer selbst. W ir wollen kein neues Funk-
tionärtum im Betrieb. \V ir wollen einzig und
allein dem Arbeitenden sein Recht in seinem
Betrieb geben und garantieren. \\ ir sind
schon keine Freunde des staatlichen Dirigis
mus. \\ ir sind aber ebenso entschiedene Geg
ner eines neuen außerbetrieblichen Dirigis
mus in die Betriebe hinein.”
Um eine Frage vorweg zu nehmen, die
u. E. dringend einer Klarstellung bedarf: Sie
wenden sich, sehr geehrter Herr Minister
präsident, mit aller Entschiedenheit gegen
das Aufkommen „eines neuen Funklionärtums
im Betriebe” und erklären, daß Sie ein ent
schiedener Gegner „eines neuen außerbetrieb
lichen Dirigismus in die Betriebe hinein”
sind. Es entzieht sich unserer Kenntnis, ob
durch diese Ausführungen irgendjemand apo
strophiert werden sollte, oder ob Sie viel
mehr in unmißverständlichen Worten klar
stellen wollten, in welchem Rahmen sich das
Mitsprache- und Mitbestiimnungsrecht der Ar
beitnehmer im Betrieb vollziehen soll. Di6
Einheitsgewerkschaft darf für sich wohl ohne
Bedenken feststellen, daß sie bei ihren For
derungen nach einem fortschrittlichen Be
triebsverfassungsgesetz nie daran gedacht hat,
damit ein „neues Funktionärtum im Be
trieb” zu schaffen und erwartet auch keines
falls von dem kommenden Betriebsverfas
sungsgesetz, daß es einen außerbetrieblichen
Dirigismus in die Betriebe hineinlanciert. Auf
der anderen Seite glauben wir aber auch
nicht, annehmen zu dürfen, daß Sie Ihre
Ausführungen so ausgelegt haben wollen, als
müsse sich die Zusammenarbeit zwischen Be
triebsrat und Betriebsleitung ohne jede F üh
lungnahme mit außerbetrieblichen Einrich
tungen vollziehen. Wir werfen diese Frage
auf, sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
weil gerade die Erfahrungen der Vergangen
heit gelehrt haben, daß die Betriebsleitun
gen nur zu leicht geneigt sind, eine jeg
liche Zusammenarbeit der Betriebsräte mit
den Gewerkschaften zu unterbinden, und schon
in einer durch die Funktion des Betriebsrates
gebotenen Zusammenarbeit mit den Gewerk
schaften von vornchercin einen abzulehnen
den, außerbetrieblichen Dirigismus sehen wol
len. Hier sind wir — und hoffen mit Ihnen
einig gehen zu können — doch anderer Mei
nung; denn ebenso sehr, wie die Betriebs
leitung in engster Fühlungnahme mit ihrer
Berufsorganisation steht, ja durch die Ver
flochtenheit der Betriebe mit der Gesamt
wirtschaft zweifellos stehen muß,, wird man
dein Betriebsrat das Recht zugestehen müs
sen. daß er seine Funktion im Betriebe in
engster Fühlungnahme mit seiner Gewerk
schaft versieht.
Die Bestimmtheit Ihrer Zusage, daß die
Arbeitnehmerschaft ihr Betriebsverfassungsge
setz, das sie „so oft und leidenschaftlich”
gefordert habe, erhallen werde, läßt uns
annehmen, daß die Arbeitnehmer in aller
Kürze mit der Verabschiedung des Gesetzes
rechnen können. Anders können wir jeden
falls diese Erklärung, die abgegeben wurde,
nachdem sich die Beratungen und Verhand
lungen uni das Gesetz schon über einen —
wie uns scheint — allzulangen Zeitraum
hinziehen, nicht verstehen, soll sie für die
wartende Oeffentlichkeit überhaupt einen
Sinn haben. .Wir glauben also, diese Er
klärung mit Befriedigung zur Kenntnis neh
men zu dürfen.
Wenn wir, sehr geehrter Herr Minister
präsident, Ihre Erklärung, die Arbeitneh
merschaft werde ihr „Mitsprache- und Mit
best immnngsrecht” erhalten, recht verstehen
sollen, so sind doch auch Sie wohl der An
sicht, und zu dieser Auffassung kommen wir
beim Verfolgen Ihrer Ausführungen, sei es,
daß sie in der Presse in direkter oder in
direkter Rede wiedergegeben sind, daß der
Betriebsrat im Betrieb bei der Erfüllung
seiner Aufgaben von keiner Seite gehemmt
werden soll. Wir befürchten hier auf Grund
unserer Erfahrungen in der Vergangenheit
allerdings viel weniger, daß von den Ge
werkschaften aus unzulässige Eingriffe in das
interne Betriebsleberi versucht werden könn
ten, als daß man von Seiten vieler Be
triebsleitungen bestrebt sein könnte, das Mit
sprache- und Mitbestimmungsrecht der Be
legschaft illusorisch zu machen.
V\ ir müssen deshalb von dem Betriebs
verfassungsgesetz fordern, daß es in klaren
Bestimmungen die Kompetenzen de» Betriebs
rates festlegt, wobei das Recht auf Mitbe
stimmung, soll diese nicht zur Farce werden,
nicht zu eng begrenzt werden darf.. Daß hier
zu ein weitgehender Schutz des Betriebsrates
treten muß, versteht sich wohl am Rande;
denn nur zu leicht läuft er sonst in Gefahr,
bei der Wahrnehmung berechtigter Interes
sen seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Auch
diese Befürchtung resultiert aus Erfahrun
gen der Vergangenheit, die wir jederzeit an
einer Reihe von Einzelfällen belegen können.
Es dürfte sich in diesem Zusammenhang
erübrigen, nochmals im einzelnen darzulegen,
Aus dem Inhalt:
Mitteilungen aus Indastrieverbänden 2
Keine ernst zu nehmende Lösung ...... 2
Neufestsetzung des Mindestlohnes 3
Die Weltwirtschaft im Jahre 1953 4 u. 5
Steuer- und Gebührenerleichterung
für den Wohnungsbau
Was ist fiit „die französische Wirtschaft untragbar? 8
Verwirkung im Arbeitsrecht 9
Die staatliche Sozialrenlnerhilfe 10
Gleicher Lohn für gleiche Leistung
(Um die Gleichberechtigung der Frau) 11 u. 12
Ferien werk der Arbeitskammer 13
Gewerkschaft und Politik . - 14 u. 15