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Jazz oder ernste Musik?
Ein Frage an die Jugend
ViT lassen uns vom Jazz begeistern; wir
lassen uns rmtrelße®, gcTat.cn in Taumel,
tanzen, pfeifen und fob«». Oder kwawn ge-
laugweilt m einer Ecke, spiden mit abge
brannten StreichhcrfeTn und kauen an Zi
garetten, während die Drei-Mann-Kapdle ihr
«darilbs Getön in die vtarräuchate Kneipe
sthrest. Der Zustand wirft ungelöste Probleme
auf. Wen trifft die Sdbiaild ? Uns? — Nur
zum TealJ Die Musik? — Nur zum Teil!
Die Komponisten? — Immer nur zum Tdll
Zu einem Teil tragen wir alle die Schuld.
Aber wo liegt diese Schuld? Sie liegt darin,
daß wir uns allzu leicht mit dem zufrieden
gebe*. was wir ohne Muhe erhalten können:
Zerstreuung, Abenteuer, Abwechselung in
schneller Folge, Lntcrhakung und Nurve*-
xausch, Man kann diese Dinge billig bekom
men, man bezahlt ein oder zwei Glas Bier
und erhält dafür ein p.n Abend lang das Ge
wünschte.
Ist das der Sinn der Musik? Will die
Musik mar unterhalten? Soll säe nur die Ner
venspannung fortsetzen, der wir täglich in
unserem Berufen ausgesetzt sind, ohne eine
befriedigende Antwort gnbesn zu können auf
die Probleme, die sieh vor unserer Seele aaf-
t.nn?
Der Jazz hat seine Berechtigung, wie der
menschliche Köcrper in seinem Dasein seine
Berechtigung hat. Doch die sogenannte «rüste
Musik hat ebenfalls ihre Berechtigung, so,
wie der menschliche Geist seine Berechtigung
hat. In dem Spaumungsfeld der beiden Pole
des Triebhaften und des Geistigen müssen
wir uns entscheiden. in welcher Bkhtung
wir gehen wölb n.
Das Ist das wahre Probh'-m der Jazzmusik
und der ernsten Musik (und der Jazzmusik).;
Der Jazz befriedigt unmittelbar, geht ins
Blut wie Traubenzucker,, die ernste Musik
dagegen will im langsamen Prozeß begriffen,,
aufgesogen und verarbeitet werden.
Der junge Mensch, der sich für sein künf
tiges Leben für den bequemen Stillstand
e.tifs.rbeid.p.f,, braucht «ich nicht mehr mir
Problemen befassen., die sich ihm erst nach
längerer Anstrengung offenbaren. Abo- der
jenige, der sich nicht mit dem soeben erreich
ten zufrieden gibt, muß um höhere Erkennt
nisse rängen. Die ernste Musik wird ihm da
bei behilflich sein.
Diese Gedanken blieben aber nur eia
Schall schöner Worte, wenn sie nicht ver
wirklicht würden. Wir müssen also mit der
ernsten Musik uns unmittelbar auseinander
setzen. Das große RuWfunkorohester Saar
brücken gibt uns Gelegenheit, in Jugend
konzerten, die regelmäßig veranstaltet wer
den, stets wertvollste Musik kennenzulexnem,
die oft unter Mitwirkung weltbekannter So
listen dargeboten wird.
Wie treten wir der Musik gegenüber? Zu
nächst dürfen wir nicht vergessen, daß es in
der ernsten Musik vieles gibt, was durchaus
unproblematisch gemeint ist und üut dem
frische« Musizieren dient. Eb wäre falsch,
in solchen Stücken schwerwiegende Probleme
zu suchen. Dagegen gibt es andere Werke,
aus denen das Ringsn des Komponlstea um
eine vielschichtige Problematik spüdbar her
vorgeht. Es gilt zunächst zu erkennen, wel
ches Stück musikantisch leicht gemeint Ist
und welches nicht. Nun, die leichteren Werke
sind eingängig, man hat sie bald „im Ohr‘’.
Dort aber, wo uns die Musik zunächst unver
ständlich erscheinen will, müssen unsere Be
mühungen einsetzen. Nehmen wir ein leben
diges Beispiel: in dem Jugendkonzert am 21.-
Februar werden folgende Werke mnfgefübrt:
Heinrich K-onietznY, Intrada (Uraufführung!,
Serge Prokofieff, Violinkonzert Nr. I D-
Dur, Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 1 D-Dur.
Das erste Werk Ist die Komposition eines
7,efcgnmssisdien Komponisten, der als aus-
eben der Musiker selbst Mitglied des großen
Rundfunkorchesters ist. Der Titel des Werke*
bedeutet „Eingang“ und gibt folgerichtig die
Empfindungen wieder, die uns anströmen,
wenn wir etwas Neuem begegnen. Es ist un
ruhig, aber dennoch von fester, innerer Ord
nung; schwungvoll mit plötzlichem, einpräg
samen Einfällen. Der erste Teil der Intrada
ist rhapsodeuhaft gearbeitet, während der
zwrifce Teil sich durch eine festere Form (Fu
gato) aiiv/pirKtiAt, gleichsam., als hätte ma*
den ersten, verwirrenden Eindruck des Neue*
überwunden. Endlich werden die einzelne»
Motive zusammengefaßt und in verbreiter
tem Zeitmaß dem Schlüsse zugeführt. Möge*
die Harmonien, die der Komponist in oft
kühnen Reibungen gibt zunächst fremd er
scheinen, so lassen sie doch die Ordnung er
kennen, die jeder guten Musik eigen ist.
Da« Violinkonzert von Serge Prokofieff ist
von einer ganz anderen Art. Der Komponist
hat zunächst Rücksicht genommen auf die Ei-'
genart des Soloinstrumentes, auf die Violine.
Gleich das erste Thema ist ein Gesang. Alle»
folgende sind teils spielerische, teilä ernst
hafte Variationen über rhytmische Motive im
den begleitenden Instrumenten. Das Werk
besteht aus drei Sätzen, die wiederum au»
drei Teilen, einem Vordersatz, einem Mittel
satz nnd einer Wiederholung des Vorder
satzes, diesmals aber in abgewandelter Form,
bestehe*. Während der erste Satz betont r
lyrisch gehalten ist, bricht in den beiden fol
genden Sätzen das rhythmische Element hem
mungslos durch. Hier erkennen wir in dem
Komponisten den Bussen, der sich auch in
seiner feinsinnigsten Knnsimnsik nicht von
dem Vorbildern seiner schweren und tempe
ramentvollen Volkstänze lassagen kann. Nut
der Schluß des Werkes klingt in farbigen,
fast unwirklichen "Klängen aus.
Während sich die beiden erstem Werke wie
selbstverständIkh in dm -Rhythmen und Har
monien der zeitgenössischem Musik bewegen,
erinnert uns das letzte Werk des Sinfonie-
komzextes daran, daß die Ausdruckslormen
der heutigen Musik sich erst in jüngster Zeit
gefestigt haben; denn hei Gustav Mahler fin
den wir das Rängen um neue Ausdrudksmiitel.
Er sucht sie im Monumentalen. Nicht so sehr
das musikalische Thema, das Motiv oder wie
man sonst die musikalische Keimzelle nennen
mag, sind hier das Objekt des künstlerischen
Bingens, sondern die Mittel der Darstellung,
der Klangreize und das äußere Bild des Auf- ^
tretens von Riesumorchestern und ßäeseochö-
Ten. In Gustav Mahler vareinen sich die Pro
blematik und die Auswegslosigkeit einer aus
gehenden Epoche, siimenhaft dargestellt in
all seinen Werken.. Dagegen verehren wir in
ihm ednan Künstler, der diese Problematik
zur äußersten Konsequenz durchgefochten hat.
Wir können nur sehr wenig von dem mit-
teakn, wes nu unserem Thema zu sagen
wäre. Wir wollen anregm, unser Thema ist
noch keineswegs erschöpf L Aus diesem
Grunde dürfen wir den Vorschlag machen,
all jene, die sich mit der Problematik der
Musik im Allgemeinen uaseinand ersetzen
wollen, zu eigener Fragestellung oder auch
zu eigenen Beitragen zu veranlassen, die wir
zur Diskussion steUcn wollen. Wir würden
es begrüßen, wenn uns viele Fragen einge-
sandt würden, damit unsere Diskussion le
bendig würde und sich somit für sehr viele,
nicht nur für junge Menschen, nutzbringend
gestalten würde®. Helmut Kreitz.
Herausgeber? JlauptvcrM'al I u ng dar Einhertsgewerk-
schaft SaaAnukea 3, ’BraaersträBe Ti—S, Tel. 90 31-35.
Vwantwortlidh ffiür den CesaiutinViBtt: JftidjKrd Rau#i;
Druck; MaktaEt-BiiirbRchwr Handu I s dr unkCmt>II
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der -„Arbeit“ 20.— ffrs.
{Erscheint regelmäßig monatlich).