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Tanuar 1954
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Vetband füt Bühne, film, Musik
U. a. KUNSTSCHAFFENDE IM SAARLAND
Geschäftsstelle:
Saarbrücken. Brauerstraße 6 — 8, Zimmer 27
Vorsitzender: Franz Schmerwitz
L)ie Geschäftsstelle ist geöHnet an allen Wo
chentagen von 10 — 12 Uhr und außerdem
von 15—17 Uhr.
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Das verkannte Genie
Immer wieder bekommen wir zu hören
und zu lesen, daß alle Genies, also auch
die großen Tonschöpfer, zunächst ver
kannt worden seien. Fachgenossen und
die große Menge hätten sich ihnen gegen
über taub verhalten. Diese Großen hätten
erst sterben müssen, damit die törichte
Menge ihren Irrtum eingesehen und die
Erhabenheit der Meister und ihrer Werke
erkannt habe, Franz Roh hat diesem The
ma ein ganzes Buch gewidmet und darin
auch über die Tonschöpfer ein anscheinend
j[ehr beweiskräftiges Material mit großer
ewisscnhaftigkeit zusammengetragen.
tVle zu erwarten war, spielen Bach, Mo
zart und Schubert darin eine Hauptrolle.
Rückt man die Dinge ins rechte Licht,
so kann bewiesen werden, daß niemals eine
falschere Behauptung aufgestellt wurde.
Ganz im Gegenteil liegt in der Musik of
fenbar eine Kraft, sich sofort mit den Mu
sikhungrigen in Verbindung zu setzen. An
dererseits haben die für Musik Zugäng
lichen in allen Jahrhunderten einen unge
mein feinen Spürsinn für große Musik be
wiesen. Auf dem Gebiet der Musik schließt
sich der Kreis zwischen Schöpfer und Auf-
nehmenden, wozu noch die Interpreten
kommen, offenbar leichter als etwa bei
Malkunst. Musik dringt zu den Menschen
hin, während das Bild oder die Plastik
aufgesucht werden müssen. Solche Kata
strophen wie die Rembrandts haben sich
unter den Tonschöpfern jedenfalls nie er
eignet.
Natürlich darf von dem Zusammen -
Zuwachsen zwischen Werk und Gemeinde
ichts Ungebürliches erwartet werden. Es
erfordert immer eine gewisse Zeit. Nur
ist sie eben viel kürzer, als meist geglaubt
und oft behauptet wird. Die erste Station
auf dem Weg in die Breite führt zur
Apostelbildung. Um den noch unbekannten
Meister sammeln sich die Freunde und Be
geisterte. die Fürsprecher für ihn werden,
Aldous Huxley hat die Bildung dieser
Gruppen in seinem Buch „Ziele und Wege“
anschaulich beschrieben. Sie sind zahlen
mäßig nicht groß. Eine Ahnung vom Wir
ken dieser Gruppen lebt seit je in den
Menschen. Die zwölf Apostel Jesu Christi
sind das erhabenste Beispiel. Die Bene
diktiner bilden Arbeitsgruppen von je 10
Mönchen. Noch unsere Tischgesellschaften
begrenzen wir in der Regel auf höchstens
«wölf Gäste.
Bei der Gruppenbildung um den gro
ßen Kunstschöpfer bieten sich verschie
dene Bilder dar. Die Maler umgeben sieh
gern mit Berufskollegen und bilden unter
sich Oruopen oder Schulen. Die Dresdener
Brücke, die Fauves in Paris und die Schule
von Worpswede sind bekannte Beispiele
dafür. Früher bildeten die Meister mit
ihren Schülern solche Arbeitsgruppen. Da
hinter steht die Ueberzeugung, daß ein
Künstler allein den Weg ins Kommende
kaum zu finden vermag und daß er in
mitten eines Kollektivs besser gedeiht.
Solche Gruppen hat es im letzten Jahr
hundert auch unter den Musikern gege
ben. Das Mächtige Häuflein. Les Six und
die Schule von Arceuil sind bekannte
Beispiele dafür. Arnold Schönberg ist dem
Gedanken eines musikalischen Kollektivs
lange nachgegangen.
Früher, also in der klassisch-romanti
schen Epoche, vollzog sieh die Gruppen-
bildung meist anders. Zu den Meistern stie
ßen Musikfreunde, also nicht Fachkolle-
legen. Solche „bürgerlichen“ Gruppen -
Bildungen beobachten wir besonders deut
lich bei Beethoven. Schubert, Schumann,
Brahms, Wagner, weniger ausgeprägt auch
bei anderen.
Manche Tonsehöpfer bedürfen allerdings
des Einsatzes solcher Gruppen gar nicht.
Ihr Erfolg steht von allem Anfang an fest.
Bach und Händel wurden förmlich von der
Schule weg in angesehene Positionen be
rufen. Beethoven war zwar kein Wunder
kind wie Mozart, aber schon als Jüngling
ein Bewunderter. In Wien setzte er sich
mühelos durch. An Paul Hindemiths seit
Donaueschingen unumstrittener Geltung
vermochten nieht einmal die Machthaber
von 1933 zu rütteln. Gleich schnelle Er
folge wurden Mozart. Liszt. Wagner.
Brahms, Strauß, Strawinsky und anderen
zuteil.
Die Behauptung vom verkannten Genie
stützt sich in der Regel auf einige Parade-
fälle. Bei Schubert muß man bedenken, daß
sieh sein ganzes Schaffen in einem Katarakt
von höchsten 15 Jahren vollzog. In die
ser äußerst knappen Zeit führte sein
schaffen zum klassischen Beispiel einer
äußerst tragfähigen Gruppenbildung.
Schuberts Konzert am 26. März 1825
brachte auch einen glänzenden Durchbruch
seiner äußeren Geltung. Schon dem Ein-
unddreißigjährigen wurde laute und breite
Anerkennung zuteil. Bei längerem Leben
wäre er keineswegs mehr auf freundliche
Unterstützung seiner Kameraden angewie
sen gewesen. Hätte er nur das geringste Ge
schick in der Auswertung seiner Werke be-
hesesseu. so wäre auch seinen Sinfonien die
starke Beachtung zuteil geworden, die seine
viel schwächeren Opern fanden. Die Wie
ner hranrhten also kaum mehr als zehn
Jahre für ihr Bekenntnis zu diesem Gro
ßen. Daß sie Beethoven wie einen Für
sten der Musik bestatteten, ehrt sie nicht
weniger. Beethovens Wirkung erstreckte
sich wie kurz zuvor die Haydns weit über
Wien hinaus gleich auf das ganze Europa.
Man muß die Schwierigkeiten der Ver
kehrswege bedenken, um zu ermessen, was
ihre Ehrungen und Aufträge aus England,
Frankreich und Spanien bedeuteten.
Das Fehlen jeglichen Eifers oder Ge
schicks bei der ersten Vorstellung der
Werke in der Oeffentlichkeit hemmt ihren
Siegeslauf natürlich etwas, wenn auch viel
weniger, als wir meist glauben. Mozart war
für diesen Teil des Lebenskampfes völlig
unbegabt, und das führte zu seiner wirt
schaftlichen Misere. Dennoch wäre es an
gesichts des Prager „Don Juans“ und des
„Zauberf!ötcn“-Erfolges in Wien unsin
nig, von einer Verkennung seines Genies
zu sprechen. Aehnlich verhält es sich bei
anderen. Wagners Leben war im ganzen
ein strahlender Siegeszug, dessen gelegent
liche Niederungen und Katastrophen er
selber beinahe willkürlich herbeigeführt
hat.
Von dem „Fall Barh“ wird am meisten
und lautesten gesprochen. Von seinen un
gewöhnlichen Jugenderfolgen war schon
die Rede. Schließlich kam er trotz eini
ger Umwege, bei denen sein herber Cha
rakter mitsprach, auf den ersten Posten
des Landes. Seine dortigen Pflichten wa
ren künstlerischer und pädagogischer Art,
wovon ihm die letzteren weniger lagen.
Alle künstlerischen Erwartungen, die die
Leipziger an ihren Thomaskantor stell
ten, hat er glänzend erfüllt. Nie regte sieh
unter ihnen ein Mißton. Es mußte schon
ein neidischer Fachkollege, ein Musikkri
tiker kommen, damit sein klares Bild ver
unreinigt werden konnte. Das berechtigt
natürlich noch lange nicht, seine Leipziger
Tätigkeit als nicht erfolgreich zu bezeich
nen. Solch bittere Worte von Kollegen
oder Vorgesetzten Behörden muß jeder
in der Oeffentlichkeit Wirkende hinneh
men. Diese Irrungen eines Fachmanns ha
ben auch den Eifer derer, die Bach in Httl-
cligtingsgedieilten feierten, nicht schmälern
können. In seinen letzten Jahren war Bach
nicht mehr der alte. Der Rat der Stadt
handelte zwar taktlos, aber doch aneh vor-
sorgend, wenn er sich nach einem Nach
folger umsah. Ein Beweis für Verkennung
ist dies gewiß nicht.
Immer wieder werden die Leipziger rmd
die damaligen Musikfreunde im übrigen
Deutschland gescholten, weil sie angeblich
die „Matthäuspassion“ für hundert Jahr
„vergessen“ haben. Dies ist ohne Frage die
allerfalscheste Behauptung. Die Mat
th äuspassion“ hat alle Erwartungen er
füllt, die man nach dem damaligen Brauch