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Saarbrücken / Oktober 1954
8. Jahrgang
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IM
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Nummei 10
Nur keine Mitbestimmung?
Straßenbahn außer BVG?
Wir haben es oft genug betont, daß das
Betriebsverfassungsgesetz alles andere als be
friedigend für die Arbeitnehmer an der Saar
ist (siehe auch unter „Mitglieder sprechen“).
Nicht zuletzt zeigt die Einengung seines Gel
tungsbereiches nur zu deutlich, daß es einem
mit der vielgepriesenen Mitbestimmung der
Arbeitnehmerschaft nicht allzu ernst ist, ja,
daß man einen. an sich doch positiven Ge
danken, nämlich den der Mitbestimmung da
zu auszunutzen versucht, die Arbeitnehmer
in Gruppen verschiedenen Rechts aufzuspal
ten. Nachdem man nun den öffentlichen
Dienst glücklich aus dem Geltungsbereich des
Betriebsverfassungsgesetzes hinausmanövriert
hatte, sollen jetzt auch die Straßenbahner mit
der gleichen Eleganz, wenn möglich natürlich
geräuschlos, abserviert werden. Bedauerlich,
daß audi Mitglieder der Regierung sich an
diesem Spiel beteiligen, das, obwohl der Ge
setzgeber selbst ausdrücklich seinen Willen
kundgetan hat, daß die Straßenbahner unter
das Betriebsverfassungsgesetz fallen sollen.
Nun, die Straßenbahner scheinen nicht ge
willt zu sein, auf ihr Recht zu* verzichten,
im Gegenteil, sie haben mit unmißverständ
licher Deutlichkeit erklärt, daß sie auch vor
dem letzten Mittel nicht zurückschrecken wer-
den.
Parallelen in der Bundesrepublik
Wir werden auf diese Dinge noch zu sprechen
kommen, vorerst sei uns eine kleine Abschwei
fung gestattet, die interessante und für uns
lehrreiche Parallelen in der Bundesrepublik
aufzeigt.
Das weitgehende Mitbestimmungsrecht in
der Montanindustrie der Bundesrepublik liegt
reaktionären Arbeitgeberkreisen allzu schwer
auf dem Magen. Besonders die Einrichtung
des Arbeitsdirektors, die sich zweifellos, ab
gesehen von relativ belanglosen Reibungen,
die schließlich jeder Fortsdiritt im Anfangs
stadium mit sich bringen kann, aufs beste
bewährt hat, wird in der Arbeitgeberpresse
als völlig verfehlte Maßnahme hingestellt.
Seit einiger Zeit versudit man nun drüben —
wir haben wiederholt von diesen Bestrebun
gen berichtet — über die Holdingsgesell
schaften (Obergesellschaften) dem Mitbestim-
mungsrecht der Arbeitnehmer auszuweichen.
Nachdem die Gewerkschaften in einer Klage
auf Ausdehnung des Mitbestimmungsrechts
auch auf die Holdingsgesellschaften nicht zum
Ziele kamen, hat man ihnen, als Beruhigungs
pille ein Gesetz über das Mitbestimmungs
recht in den Obergesellschaften bei Kohle und
Stahl, versprochen. Dieses Gesetz wurde nun
in aller Stille vom Bundeskabinett in seiner
Sitzung vom 23. 9. 1954 verabsdiiedet, ohne
vorher die Gewerkschaften überhaupt zu
hören. Derartige Methoden kennt man nun
überall, wen wundert es also, wenn die Ar
beitnehmer immer mißtrauischer gegenüber
Arbeitgebertum und Obrigkeit werden.
Ja, wir zweifeln wirklich, wir zweifeln audi
an einem Personalvertretungsgeselz, das dem
öffentlichen Dienst als lindes Pflaster auf die
ihm durch die Ausklammerung aus dem Be
triebsverfassungsgesetz gerissene Wunde ge
legt werden soll. Auch hier eine interessante
Parallele. In der Bundesrepublik wartet man
nun schon zwei Jahre vergeblich auf das Per
sonalvertretungsgesetz, und noch ehe es über
haupt im Bundestag über die Bühne geht,
schreit schon wieder die regierungsfreundliche
Presse, weil man eben das Wort Mitbestim
mung am liebsten überhaupt aus dem Schatz
der deutschen Sprache tilgen möchte,, man
dürfe den Räten (gemeint sind natürlich die
Betriebsräte) nicht zuviel Rechte geben. Wenn
man darüberhinaus bedenkt, daß man an der
Saar bereits vier Jahre das Tarifvertragsge-
setz für den Öffentlichen Dienst verspricht,
dann kann man sich ungefähr ein Bild
machen, wann mit dem Personalvertretungs
gesetz zu rechnen sein wird.
Straßenbahner kämpfen um ihr Redit
Wir sagten es sdion, daß die Straßenbah
ner nicht daran denken, sich mit leeren Ver
sprechungen veitrösten zu lassen, daran ändert
auch die Tatsache nichts, daß sie ihrer Em
pörung vorerst noch Zügel anlegten, um der
Entscheidung des Verwaltungsgerichts nidit
vorzugreifen.
Unseres Erachtens muß das Betriebsverfas
sungsgesetz auf die Straßenbahnen Anwen
dung finden. Nach § 88 Abs. 1/b findet das
BVG nur dann auf Betriebe öffentlicher Ver
waltungen keine Anwendung, wenn die Be
friedigung der wirtschaftlichen Bedürfnisse,
der sie dienen, ganz oder überwiegend der
öffentlichen Hand Vorbehalten ist. Nun liegt
der Nahverkehr in ganz erheblidiem Umfange
audi in privater Hand, weshalb für eine An
wendung des § 88 auf die Straßenbahnen
kein Raum ist.
Diese Auffassung wird audi geteilt in dem
Kommentar von Dratwa (Aibeitsministerium)
— Bernhard (Industrie- und Handelskammer)
— Junker (Arbeitgeberverband der Bauwirt-
sdiaft) — Weber (Arbeitsgemeinschaft der
Arbeitgeberverbände), wo es heißt: „In An
wendung dieses Grundsatzes fallen Eisenbahn
Hnd Post nicht unter das Gesetz, wohl aber
die Straßenbahnen. Die Beförderung von Per
sonen im Nahverkehr wird audi in erheb
lichem Maße durch private Unternehmen be
trieben.“
Und der Wille des Gesetzgebers?
Man sieht, wir stehen mit unserer Ansicht
durchaus nicht isoliert, ganz abgesehen von
der Tatsache, daß der sozialpolitische Aus
schuß bei Beratung des Gesetzes am 16. 6. 54
folgendes zu Protokoll gab:
„Der Ausschuß vertritt die Auffassung, daß
Straßenbahnen und Nahverkehrsbetriebe, gleich
welcher Art, unter die Bestimmungen des
BVG fallen.
Der Berichterstatter soll dies in einer Be
richterstattung in der Plenarsitzung zum Aus
druck bringen.“
Dies ist durch den Abgeordneten German
in der Penarsitzung vom 30. 6. 54 geschehen,
ohne daß ein einziger Abgeordneter, auch kein
Mitglied der Regierung, widersprochen hätte.
Wir dürfen also doch wohl mit Recht anneh
men, daß der Gesetzgeber die Einbeziehung
der Straßenbahnen in das BVG gewollt hat.
Das scheint jedoch selbst Mitglieder unserer
Regierung nidit zu berühren, die jetzt mit
juristischer Spitzfindigkeit das Recht der
Straßenbahner verdrehen wollen. Ob ihnen
bewußt ist, daß sie damit den saarländischen
Landtag desavouieren, oder spielt das keine
Rolle, wenn man nur für eine weitere Ein
engung der Mitbestimmung sorgen kann?
Merkwürdige Rolle der CGS
Nun, alle diese Dinge könnten uns auf
Grund unserer Erfahrungen in der Vergan
genheit nicht einmal sonderlich überraschen,
Fortsetzung Seite 3.
AUS DEM INHALT: Seite
Und nochmals die Preise 2
Die Streiks in der Bundesrepublik 4
Staatsoberhaupt für Einheitsgewerkschaft und
Streikrecht 5
Sind Betriebsratsmitglieder unkündbar? . . . S
Ein Arbeiter zum Betriebsverfassungsgesetz . 7
Wird die Lohnfrage geregelt werden? .... 8
40-Stundenwoche 8
Europa und die Probleme der Produktivität . 9
Neue Tarifverträge 10-11
Unfaire Werbemebhöden .13
Montanunion iin Uberganssstadium ..... 14