8. Jahrgang
Saarbrücken September 1954
Nummer 9
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ORGAN DER EINAEITSGEUIERHSCHAFT DER ARBEITER. ANGESTELLTEN UND DEUTEN
Keine Mitbestimmung — aber Mitverantwortung?
Tanz um den Mindeststundenlohn — Rosinenpolitik der Arbeitgeber
Die Einheitsgewerkschaft hat seit Ver
abschiedung des Betriebsverfassungsge
setzes in Konferenzen, Kundgebungen
^und Versammlungen laufend darauf
hingewiesen, daß das Gesetz nicht den
Erwartungen der Arbeitnehmer ent
spricht und daß es ihnen insbesondere
nicht die Mitbestimmung bringt, auf die
sie infolge ihrer verantwortungbewuß
ten Mitarbeit in den Betrieben ein vol
les Anrecht haben. Es soll in diesem Zu
sammenhang nicht auf einzelne Veran
staltungen der Kampagne eingegangen
werden, sind sie doch alle von dem glei
chen Tenor getragen: Kampf um ein
besseres Betriebsverfassungsgesetz.
Daß das Unternehmertum an einer
wirklichen Mitbestimmung der Arbeit
nehmer nicht interessiert ist und sie
trotz der Sirenentöne vom guten Be
triebsklima und der echten Partnerschaft
grundsätzlich ablehnt, braucht uns nach
unseren Erfahrungen in der Vergangen
heit nicht sonderlich zu verwundern,
was uns aber trotz harter Gewöhnung
immer wieder in Erstaunen versetzt, ist
,Adie Dreistigkeit mit der man in prekä-
^Fren oder scheinbar prekären Situationen
der saarländischen Wirtschaft an das
Verantwortungsbewußtsein der Arbeit
nehmer appelliert.
Nur ein Beispiel: Mit jeder Einfüh
rung eines neuen staatlich garantierten
Mindeststundenlohnes erleben wir das
Wehegeschrei großer Kreise des Arbeit-
gebertums, die sich-außer Stande erklä
ren, diesen Mindestlohn zu zahlen und
die schwärzesten Prognosen für die Be
triebe an den Himmel malen. Wir waren
also auch keineswegs überrascht, als bei
Erlaß der Verordnung vom 9. März 54
zur Neufestsetzung des Mindeststunden
lohnes, oder besser gesagt schon vor
dem Erlaß dieser Verordnung, der Un
ternehmertanz um den Mindeststunden
lohn von neuem begann. Am Rande sei
vermerkt, daß die Tatsache den Anblick
dieses Tanzes nicht angenehmer gestal
tet, daß er von dem gleichen Unterneh
mertum aufgeführt wird, das die Vater
schaft für den Art. 4 der Wirtschafts
konvention mit Frankreich keineswegs
verleugnen kann, dieses Artikels, der
das Lohnniveau in Frankreich und an
der Saar reichlich schematisch ausbalan
cieren soll. Nun, nichts weiter über den
Art. 4, aber konsequent wäre doch nun
wohl die Haltung der Unternehmer, im
Saarland grundsätzlich den gleichen
Mindeststundenlohn zu zahlen wie in
Frankreich. Daß dort der Existenzlohn
bezahlt wird, kann wohl kaum bestrit
ten werden, nur hierzulande verlangt
man in altbewährter Rosinenpolitik von
den Arbeitnehmervertretungen die Zu
stimmung zu mehr als großzügigen To
leranzen.
Als man in der Verordnung vom 28.
März 1951 zur Änderung der Verord
nung zur Festsetzung des Mindeststun
denlohnes erstmalig Unterschreitungen
des Mindeststundenlohnes, das Vorlie
gen eines entsprechenden Tarifvertrages
vorausgesetzt, zuließ, versuchte man
den Gewerkschaften diese Regelung des
§ 3 mit dem Argument schmackhaft zu
machen, daß man — natürlich in eng
stem Rahmen — saarländischen Betrie
ben eine Anlaufzeit zur Gewöhnung an
das rauhe Klima der freien Konkurrenz
im franco-saarländischen Wirtschafts
raum geben müsse, eine Regelung, die
umso notwendiger wäre, wegen der dif
ferierenden Lohnzonenabschläge für Be
triebe in Frankreich und an der Saar.
Wir müssen den Arbeitgebern leider be
scheinigen, daß sie es durch ihre steiner
weichenden Klagelieder verstanden, in
der Folgezeit den § 3 der Verordnung
weidlich zu ihren Gunsten auszunutzen.
Die Verordnung vom 9. März 1954
(siehe Arbeit 1954/3 S. 3) versuchte nun
auf Betreiben der Gewerkschaften mit
einer für den Arbeitnehmer untragba
ren Entwicklung Schluß zu machen und
Mindestlohnunterschreitungen auf einen
relativ engen Bereich wirklich notlei
dender Industriezweige zu beschränken.
Die Ergänzungsverordnung vom 21. Au
gust 1954 (Text siehe an anderer Stelle
dieser Nummer) bringt nun wieder eine
Durchlöcherung des gesunden Prinzips,
im Saarland kein Lohndumping zu be
treiben. Da die verlängerten Schonfri
sten für Betriebe, die bisher unter dem
staatlich garantierten Mindestlohn be
zahlt haben, am 15. September ablaufen,
versuchen nun eine ganze Reihe von
Arbeitgeberverbänden die Gewerk
schaften zu Tarifverträgen zu veranlas
sen, die, als Voraussetzung für die Ge
nehmigung durch das Arbeitsministe
rium, Unterschreitungen des Mindest
stundenlohnes vorsehen.
Wir wissen, daß es den Arbeitgebern
an Behauptungen nie gefehlt hat, wenn
es galt, Arbeitnehmer um den ihnen zu-
stehenden Lohn zu prellen. Auch dieses
Mal versucht man die Gewerkschaften
unter Druck zu setzen, indem man dar
auf hinweist, daß eine große Anzahl von
Betrieben unweigerlich zum Erliegen
kommen muß, wenn sie zur Zahlung
der Mindeststundenlöhne gezwungen
werden, und man schiebt den Gewerk
schaften die Verantwortung für etwa
eintretende Erschütterungen des Ar
beitsmarktes zu. Ganz abgesehen von
der Tatsache, daß diese schwarzmalen
den Behauptungen durch keine schlüs
sigen Beweise belegt werden, dazu
müßte man sich zu einer Offenlegung
der Karten bequemen, an die man an
scheinend garnicht denkt, ist es doch
geradezu unmoralisch den Arbeitneh
mern, denen man eine wirksame Mit
bestimmung in den Betrieben nicht ein
räumen will, die Verantwortung für
eine angeblich sich auf zeigende Wirt
schaftssituation aufzuerlegen, an der sie
doch wohl weder von der gesamten
Aus dem JnfiaCt:
Der Kampfeswille trägt Früchte Seite 2
Änderungsverordnung zur Neufest
setzung des Mindestlohnes „ 2
Adolf Kummernuß zum Hamburger
Streik „ 3
Mitglieder sprechen:
Mehr Selbstbewußtsein für Frei
heit und Redit „ 4
Motor oder Schubkarren „ 3
Um den Ausbau der sozialen Sicher
heit „ 3
Unfallversicherung * 7
Kündigungsschutzgesetz „ 9
Reditsprechung zum BVG » 10