Full text: 1954 (0009)

Die Stellung der Gewerkschaften im öffentlichen Leben 
Der Leiter der Ausländsabteilung im DGB 
Bundesvorstand, Kollege Ludwig Rosenberg, 
machte zu dem Thema: „Gewerkschaften, 
Staat, politische Parteien“ grundsätzliche Aus 
führungen. Spontaner Beifall bewies die Not 
wendigkeit seines Referats. 
Mit dem Beginn dessen, was man „Das 
Deutsche Wunder“ nennt, nahm auch das alte 
„Deutsche Unglück der Uneinigkeit“ wieder 
seinen Anfang. Wir haben die Zeit nicht 
vergessen, in denen man sich von seiten der 
Politiker und Staatsmänner geradezu über 
schlug in Lobreden auf den deutschen Ar 
beiter, Angestellten und Beamten, in denen 
man seine Gewerkschaften lobte, daß es bei 
nahe peinlich wurde. Wollte man heute füh 
rende Politiker an ihre damaligen Reden und 
Versprechungen erinnern — sie würden sich 
selbst nicht wiedererkennen. Die unsinnigsten 
Verleumdungen werden aufgestellt über uns, 
und allzu viele glauben, was böswillig be 
hauptet wird. 
Es wäre leicht, über alle diese albernen 
Reden hinwegzugehen. Aber die bittere Er 
fahrung in unserem Volk lehrt uns, daß man 
das nicht darf, daß man in Deutschland selbst 
die dümmsten Lügen zu glauben pflegt und 
daß die Demokratie keineswegs so gesichert 
ist, daß man dem demokratischen Urteils 
vermögen des Volkes blind vertrauen könnte. 
Deshalb erscheint es notwendig, wieder ein 
mal klar und eindeutig zu sagen, wie und wo 
die Millionen Arbeiter, Angestellte und Be 
amten und ihre Gewerkschaften zum Staat 
und zu den politischen Parteien stehen. Die 
deutschen Gewerkschaften stehen unerschütter 
lich zur Demokratie. Sie bejahen die demo 
kratische Staatsforrn aus innerster Ueberzeu- 
gung und sind gegen jede Form der Diktatur, 
ganz gleich unter welcher Flagge, ganz gleich 
unter welcher Firma. Die Gewerkschaften 
kämpfen für die persönliche Freiheit und 
Menschenwürde. Lohn und Gehalt sind nur 
Mittel dieses Kampfes — nicht Endziel. Des 
halb ist uns Demokratie auch mehr als nur 
Verv altungsfornn Die moderne Demokratie ist 
Die Krankenversicherung im Saarland 
(Fortsetzung von Seite 5) 
ziehen, daß der gesamte Eisenbahnbetrieb 
überhaupt nichts taugt, ebensowenig trifft 
dies im übertragenen Sinne für die soziale 
Krankenversicherung zu. Nur auf der Basis 
des Vertrauensverhältnisses ist eine ersprieß 
liche Zusammenarbeit möglich. Der Kranken 
versicherungsträger, verkörpert durch seine Be 
diensteten, wird es stets als seine vornehmste 
Aufgabe betrachten, dem Wolile seiner Ver 
sicherten zu dienen. Das besagt aber nun 
nicht, daß bedenkenlos jedem Wunsche und 
jeder Forderung des einzelnen Versicherten 
zu entsprechen ist. Immer gilt es, das Ge 
samtinteresse aller Versicherten zu wahren. 
Wenn sich ein Versicherter in seinen Rech 
ten benachteiligt fühlt oder sonstwie glaubt, 
Grund zur Beschwerde zu haben, so dürfte 
es immer zweckmäßig sein, sich der jeweils 
Vorgesetzten Dienststellen zu bedienen, die, 
sofern es ihnen möglich ist, für Abhilfe sor 
gen werden. Allzu billig ist es jedoch, in 
einfacher Schwarz-vveiß-Zeichnung mit einer 
einseitigen Darstellung des Sachverhaltes in 
die Öffentlichkeit zu treten. Denn es ist wie 
mit allen Dingen im Leben: Zu jedem Tun 
und Handeln, das geeignet ist, den Wider 
spruch des Anderen hervorzurufen, gehören 
deren Zweil (wird fortgesetzt) 
nur lebensfähig, wenn die Mehrheit des Vol 
kes sie bejaht, wenn alle Schichten des Volkes 
wirtschaftlich und sozial integriert worden 
sind, wenn dieser Staat — ihr Staat, die Wirt 
schaft — ihre Wirtschaft, diese Gesellschaft 
— ihre Gesellschaft ist. 
Mit Wirtschaftsanschauungen des 19. Jahr 
hunderts wird man die Probleme des 20. Jahr 
hunderts nicht lösen; darüber täuschen auch 
Erfolge nicht hinweg, die ohne ausländische 
Hilfe undenkbar wären. Man kann den Ar 
beitnehmern ihre rechtmäßige Stellung in 
Wirtschaft und Gesellschaft nicht streitig ma 
chen, eine Wirtschaft, die ohne ihre Arbeit 
nicht bestände, eme Gesellschaft, die ohne 
ihr verantwortliches Handeln im Chaos unter 
gegangen wäre. Versucht man das, so muß 
sich das bitter rächen. Aus allen diesen Ge 
danken ergibt sich unser Verhältnis zum 
Staat. Wir wollen, daß dieser Staat zur 
Heimat der Werktätigen wird, ein wirklich 
demokratischer Staat, ein Staat des Volkes. 
Wenn wir davor warnen, daß sich die 
Steigbügelhalter Hitlers wieder in der Ver 
waltung von Staat und Wirtschaft breit ma 
chen, dann sind wir undemokralisch! Sie und 
die reaktionären Kräfte in Wirtschaft und 
Politik sind es auch, die immer wieder ver 
suchen, die große einheitliche Gewerkschafts 
bewegung zu spalten. Sie wissen sehr wohl, 
wie zuverlässig wir sind, als Verteidiger des 
demokratischen Staates. Deshalb soi! unsere 
Macht gebrochen werden! Staat und Wirt 
schaft kann man unterwandern! Die Gewerk 
schaften muß man spalten, denn man kann 
sie nicht erobern. 
Parteipolitisch sind wir neutral! Poli 
tisch wollen und können wir nicht neutral 
sein! Unsere Stellung zu den Parteien ist klar 
u. eindeutig. Unabhängig von allen bestimmten 
wir selbst Ziel und Weg. Die Parteien ent 
scheiden ihre Stellung zu uns. Aber wir bean 
spruchen dasselbe demokratische Hecht wie 
die Bauern, die Industriellen, die Autofahrer 
und aridere Gruppen im Volke! Was für die 
einen die Verweigerungen der Ablieferung von 
Lebensmitteln — ist für uns der Streik! Was 
für die anderen die Auto-Sternfahrt nach Bonn 
— ist für uns die Massendemonstration! \V as 
dem einen recht ist, ist dem andern billig! 
Die deutsche Gewerkschaftsbewegung hat 
eine große historische Aufgabe: endlich in 
Deutschland der demokratischen Idee zum 
Leben und zum Erfolg zu verhelfen. Als 
Deutschland in Trümmern lag, hat man uns 
diese Aufgabe niemals bestritten. Heute glaubt 
man, uns nicht mehr nötig zu haben, und es 
mag Leute geben, die da glauben, dieser 
junge Slaat könne ohne die Hilfe der Ar 
beiter, Angestellten und Beamten und ohne die 
aktive Mitarbeit ihrer großen Organisationen 
blühen und gedeihen. Es scheint manchmal 
so, als gälte es Leute, die es für förderlich 
hielten, soziale Spannungen zu vermehren, 
anstatt sie zu beseitigen. Sie wissen nicht, 
oder sie wollen nicht wissen, daß die treuesten 
Demokraten die Arbeitnehmer und ihre Ge 
werkschaften sind, daß letzten Endes sie es 
sein werden, die den Bestand des Staates und 
dieser Staatsform sichern — daß sie aber nur 
verteidigen, was ihnen wert erseheint, ver 
teidigt zu werden. ÖTV - Presse - Juli 1954 
Für den guten Kaffee nur die feine 
Aima -MILCH 
Internationale Gewerkschaftsarbeit 
(Fortsetzung von Seite 2) 
Sekretärs des IBFG einen besonderen 
Höhepunkt. J. H. Oldenbroeck wies darauf 
hin, daß der IBFG >war die jüngste, gleich 
zeitig jedoch die repräsentativste gegenwärtige 
Gewerkschaftsinternationale sei. Er fuhr fort, 
daß „die Stärke der freien Gewerkschafts 
bewegung in ihrer Fähigkeit liegt, auf der 
Grundlage der freien Aussprache und der 
demokratischen Entscheidung sich selbst zu 
verjüngen und allen neu auf tretenden Lagen 
gerecht zu werden.“ In Bezug auf die Be 
ziehungen zwischen den Gewerkschaften und 
der IAO unterstrich er, daß sie nur dann 
ersprießlich sein könnten, wenn die Gewerk 
schaften frei seien, „denn die Natur selbst 
der IAO erfordert, daß die Arbcitnehmer- 
delegierten auf dieser Konferenz das Recht 
haben, auf der Rednertribüne ihre eigenen 
Regierungen zu kritisieren ohne fürchten zu 
müssen, daß sie bei der Rückkehr in ihr Land 
für Insubordination bestraft würden.“ 
Der Streit ginge nicht, hob Oldenbroek 
hervor, um die Natur eines Wirtschafts 
systems oder das Ausmaß öffentlichen Eigen 
tums, solange diese nicht benutzt würden, 
um die Arbeiter ihrer Freiheit und die Ge 
werkschaften ihrer Unabhängigkeit zu be 
rauben. Man kämpfe gegen die Verweige 
rung der grundlegenden Menschenrechte. „Wir 
glauben an Wahlen, nicht an Säuberungen lind 
Liquidierungen, wir ziehen den Stimmzettel 
der Kugel vor.“ 
Zum Schluß sprach der Generalsekretär 
die Hoffnung ans, daß die IAO auch weiterhin 
die Gewerkschaften bei der Aufrechterhaltung 
der gewerkschaftlichen Freiheit unterstützen 
werde und bei deren Einführung, so weit 
sie noch nicht bestehe. Die Gewerkschafts 
freiheit darf kein toter Buchstabe oder eine 
hohle Phrase in der Satzung oder der Er 
klärung von Philadelphia bleiben. „Man gebe 
sieh keinem Irrtum hin“, schloß Oldenbroek, 
„die Arbeitnehmer in vielen Ländern machen 
ihr Urteil über die IAO davon abhängig, 
wie weit diese in der Verteidigung der ge 
werkschaftlichen Rechte fest bleibt.“ 
Das Problem der geistigen Arbeiter 
Eine zweiwöchentliche Konferenz für An 
gestellte und geistig Schaffende der IAO, die 
von Vertretern der Regierungen, der Arbeit 
geber und der Arbeitnehmer aus 20 Ländern 
besucht war, nahm eine Reihe von Reso 
lutionen zur Bekämpfung der Arbeitslosig 
keit der geistigen Berufe an. 
Die Konferenz erklärte, daß das Lehr 
personal einen besonderen Beitrag in der 
Heranbildung der Menschheit zu leisten habe 
und deswegen die Arbeitsbedingungen ihm 
einen Lebensstandard sichern sollten, der mit 
der Würde und der Verantwortlichkeit seines 
Berufes und dessen sozialer Wichtigkeit über- 
einstimmte. Die Lehrer sollten frei in der 
Ausübung ihrer bürgerlichen Rechte sein und 
keiner Diskriminierung unterliegen, das Recht 
haben, bernflichen oder gewerkschaftlichen 
Organisationen beizutreten und volle akade 
mische Freiheit bei der Erledigung ihrer be 
ruflichen Aufgaben. Die Resolution über Maß 
nahmen gegen die Arbeitslosigkeit der geisti 
gen Arbeiter gab detaillierte Richtlinien fiir 
die Stellen in den verschiedenen Ländern, 
deren Tätigkeitsbereich den Arbeitsmarkt für 
Angestellte und geistige Arbeiter beeinflußt. 
Aus „Mitteilungsblatt des IBFG*
	        
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