Full text: 1954 (0009)

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Tanuar 1954 
Die Krankenversicherung im Saarland 
I. Allgemeiner l eberblick 
Die soziale Krankenversicherung 
konnte im November vergangenen Jah 
res auf ci i TOjähriges Bestehen zurück. - 
blicken, so daß es sich lohnt, einen 
kurzen Ueberblick über ihre Entwick 
lung zu geben. 
Das erste deutsche Krankenversiche 
rungsgesetz datiert vom 15. November 
1883. Seit diesem Zeitpunkt war die 
soziale Krankenversicherung vielen 
Wandlungen unterworfen. Erinnert sei 
in diesem Zusammenhänge an die Fol 
geerscheinungen nach dem ersten 
Weltkrieg und der daran anschließen 
den Inflation im Jahre 1923. Viel tief 
greifender waren die Umwälzungen 
nach dem zweiten Weltkrieg, die zu 
meistern, dem Außenstehenden kaum 
•n seiner vollen Tragweite jemals be 
wußt geworden sind. Es war jedoch 
noch immer möglich, die soziale Kran 
kenversicherung den jeweiligen Erfor 
dernissen anzrpassett. Die Lösung ihrer 
Probleme berührt heute nahezu die ge 
samte Bevölkerung des Saarlandes. Sie 
stellt den bedeutendsten Faktor für die 
Erhaltung der Gesundheit und damit 
der Arbeitskraft des Volkes dar. 
Die ursprüngliche Absicht der sozia 
len Krankenversicherung ging dahin, 
den Teil der Bevölkerung, der im 
Krankheitsfalle hilflos der Not preis 
gegeben war, zu einer Gemeinschaft 
zusammenzuschließen und durch die 
gemeinsame Kraft aller einen wirksa 
men Schutz für jeden einzelnen im 
Krankheitsfalle herbeizuführen. Dieser 
Grundgedanke ist bis heute erhalten 
geblieben. — Vor 70 Jahren waren es 
etwa 15—20 Prozent der Bevölkerung, 
die zu diesem Personenkreis gehörten. 
Das Anwachsen der sozial schutzbe 
dürftigen Bevölkerung stand und steht 
mit der fortschreitenden Industriali 
sierung in engem Zusammenhang, die 
ihren sichtbaren Ausdruck in dem dicht 
besiedelten und hochindustrialisierten 
Saarland findet. 
Wenn davon ausgegangen wird, daß 
nur derjenige nicht schutzbedürftig ist, 
der sich aus eigener Kraft in allen 
Wech elfällen des Lebens ohne Gelahr- 
dnng seiner Existenz selbst helfen 
kann, so ergibt sich von selbst, daß 
wahrscheinlich nur noch etwa 10 Pro 
zent der gesamten saarländischen Be 
völkerung hierzu imstande ist, oder mit 
anderen Worten: Nahezu 90 Prozent 
der Bevölkerung können sich nur durch 
kollektive. Hilfe Schutz verschaffen. 
Dieser Grunderkeimtnis wurde im 
Saarland im weitgehendsten Maße 
durch den Gesetzgeber insofern Rech 
nung getragen, als hier jeder Arbeit 
nehmer, der eine versicherungspflichti 
ge Beschäftigung ausübt, ohne Rück 
sicht auf die Höhe seines Einkommens 
der Versicherungspflicht unterliegt. 
Darüber hinaus ergab sich im Jahre 
1947 in organisatorischer Hinsicht die 
Notwendigkeit, alle bisher im Saarland 
bestehenden gesetzlichen Krankenver 
sicherungsträger.— mit Ausnahme der 
Saar-Knappschaft und der Eisenbahn- 
betriebskrankenkasse — durch Zusam 
menlegung in einem Versieherungsträ- 
ger zu verschmelzen. Wenn hier von 
einer Notwendigkeit gesprochen wird, 
so deswegen, weil damit gerade der 
auf dem Gebiete der Krankenversiche 
rung vorherrschenden Zersplitterung 
im Interesse der Leistungsfähigkeit des 
Versicherungsträgers Einhalt geboten 
wurde. 
Man mag in dieser Zusammenlegung 
der einzelnen Krankenkassenarten in 
einem einzigen Versichcrungsträger 
den Weg zur kollektiven Einheitskran 
kenversicherung erblicken; man mag 
auch den Vorwurf der Vermassung er 
heben, ja sogar das Schlagwort vom 
„Sozialkapitalismus" prägen. Eines 
wird man bei allem Für und Wider 
doch nicht übersehen können, nämlich 
die ganz logische Feststellung, daß die 
Finanzkraft und damit die Leistungs 
fähigkeit eines einzigen Krankenver 
sicherungsträgers wesentlich größer 
sein muß als die zahlreicher kleinerer 
und kleinster Krankenkassen, die mög 
licherweise nur diesen oder jenen In 
teressengruppen Rechnung tragen. 
Vergleichen wir doch einmal hierzu 
die Tendenz in der Privatwirtschaft. 
Unverkennbar ist hier das Ziel auf die 
Konzentrierung wirtschaftlicher Macht 
gerichtet. Ohne einen Massenkonsum 
ist die Leistungsfähigkeit unserer mo 
dernen Wirtschaft überhaupt nicht 
denkbar, und lebt nicht zuletzt die 
Wirtschaft von der Befriedigung 
der Massenbedürfnisse? Warum also 
auf einmal mit zweierlei Maß 
messen und dort, wo es um das Wohl 
des einzelnen Menschen geht, möglichst 
einer Zersplitterung des sozialen Schut 
zes das Wort reden? Dabei werden ge 
flissentlich Argumente vorgebracht, die 
in anderem Zusammenhang durchaus 
ihre Berechtigung haben mögen, aber 
hier völlig fehl am Platze sind. So wird 
daran erinnert, es gelte, die individua 
listische Freiheit, die beruf'sständische 
Eigenart und dergleichen mehr vor der 
„drohenden Vermassung“ auf sozialem 
Gebiete zu bewahren. Die Verbindung 
des Massenbegriffs oder besser gesagt 
der Vermassung mit der gegenwärtigen 
Form der Krankenversicherung im 
Saarland geschieht nur allzuoft in der 
Absicht, diese mit einem Makel zu be 
lasten. Irgendeine Folgerung aus die 
ser negativen Feststellung mit dem Er 
gebnis positiver Vorschläge ist bisher 
jedoch noch immer ausgeblieben. 
Es gilt zu erkennen, daß unser Mas 
sendasein eine Tatsache ist, die einfach . 
nicht weggleugnet werden kann. Das 
bedeutet nicht, sich dem Massendasein 
unterwerfen zu müssen, bedeutet aber 
eine Anpassung und Einfügung in un 
sere heutige moderne Gesellschafts 
und Organisationsform, in der es auf 
keiner Seite Herrschaftsansprüche oder 
absolute Freiheit geben kann. Die An 
erkennung dieser nicht länger zu über 
sehenden Wirklichkeit trotz aller ge 
genteiligen programmatischen Forde 
rungen ist schon deswegen notwendig, 
weil die vor uns liegenden Aufgaben 
nur auf der Basis der vertrauensvollen 
Zusammenarbeit und des gegenseitifren 
Verständnisses aller Beteiligten zumin 
dest einer Lösung nähergebracht wer 
den können. 
Jedenfalls hat sich die 1947 im Saar 
land in der Krankenversicherung ge 
fundene Organisationsform in den we 
nigen Jahren ihres Bestehens zweifel 
los bewährt. Sie bietet vor allem die 
Gewähr dafür, etwaige künftig auftre 
tende Schwierigkeiten leichter über 
winden zu können. Die gegenwärtige 
Organisationsform dürfte diejenige 
sein, die am besten gegeeignet ist, den 
Sozialversicherten und der sozialen Si 
cherheit zu dienen. 
Es würde zu weit führen, den ganz 
offensichtlichen Unterschied der Lei 
stungsfähigkeit beispielsweise der frü 
heren Ortskrankenkassen, die immer 
hin den größten Teil aller versiche 
rungspflichtigen Arbeitnehmer, insbe 
sondere der Arbeiter, erfaßten, mit den 
heutigen Trägern der Krankenversiche 
rung im Saarland herauszustellcn. Die 
Fülle des Materials verbietet es, hierauf 
im einzelnen näher einzugehen. 
Pie folgenden Ausführungen werden 
sich deshalb auf den gegenwärtigen 
Leistungsstand beschränken. Auch 
wird in diesem Zusammenhang noch 
einiges Grundsätzliche über das Ver 
halten des einzelnen Versicherten und 
seiner sozialen Krankenversicherung 
zu sagen sein. W. K. S.
	        
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