Wohnung 8 000.— bis 9.000.— ffrs Miete zu
bezahlen! Sie ist also oft gezwungen, weiter
in baufälligen Notwohnungen und Baracken
zu vegetieren, nicht zu wohnen. Es ist dies
ein unwürdiger Zustand für ein Kulturland
im 20. Jahrhundert, dessen Fortschritte und
Errungenschaften auf den Gebieten der Tech
nik und Zivilisation doch in erster Linie den
schaffenden Menschen der Kulturländer zuzu
schreiben sind. Wieviel Arbeitswillen und Er
findungsgeist, wieviel Fleiß und wieviel
Opfer haben diese Menschen gebracht, um
das Leben schöner, praktischer und angeneh
mer zu gestalten, und wie wenig profitieren
seine einfachen, fleißigen, schaffenden Men
schen davon. Man hat vielmehr den Eindruck,
als ob in der zweiten Hälfte dieses an Wider
sinn und Unsinn so reichen Jahrhunderts,
dessen Narrheit sich am deutlichsten in deT
Wasserstoffbombe demonstriert, ein allge
meiner Rückschritt auf das 19. Jahrhundert
hin zu verzeichnen wäre! Nämlich eine Auf
teilung in wenige unermeßlich Reiche und
unendlich viele Bitteranne! Man redet so
furchtbar viel von Demokratie und Menschen
rechten und sieht so selten wirkliche Taten
zum Wohle der Allgemeinheit. Wen trifft für
diesen unschönen, ungerechten und ungesun
den Zustand die Verantwortung und die
Schuld?
In erster Linie den Arbeitnehmer selber,
wiederum gleichgültig, ob es sich dabei um
Beamte, Angestellte oder Arbeiter handelt.
Warum? So sehe ich Euch mit erstaunten
Augen fragen! Wieso? Was haben wir zu
dem jetzigen Zustand beigetragen? Nichts
habt Ihr getan, garnichts, das ist es ja eben!
Ein großer Teil von Euch ist — um das Kind
einmal ganz klar beim Namen zu nennen —
nicht gewillt, für seine Rechte und Interessen
zu kämpfen. In dieser Welt und vor allem in
unserem materialistischen Zeitalter muß man
aber um seine Rechte kämpfen wie in der
Natur jedes Tier und jede Pflanze um seinen
Platz an der Sonne kämpfen muß. Umsonst
ist der Tod Eure Väter und Vorväter haben
Euch den jetzigen Lebensstandard erkämpft
in harten, opferreichen Kämpfen, achtet
darauf, daß Ihr nicht nach und nach ein Recht
nach dem andern verliert und man Euch
zurückdrückt auf einen Zustand und Verhält
nisse, wie «e vor 100 Jahren in Europa
herrsditenl Wißt Ihr noch wie das war? Kin
der arbeiteten in Bergwerken und Spinnereien
18 Stunden und mehr am Tag mit einem
trockenen Stückchen Brot. Denkt an die
Greuel in den englischen Spinnereien, die
Weber in Schlesienl Sklavenfron schlimmster
Art im Zeichen des Fortschritts. Eure Väter
und Großväter haben Euch den 8-Stunden-
Tag und viele andere Erleichterungen und
Verbesserungen für den Arbeitnehmer er
kämpft, es wurde ihnen nichts geschenkt.
Stück für Stück mußten sie es einer profit-
gierigen Unternehmerschaft- abringen. Sie
konnten in diesen Kämpfen nur siegen und
»ich durchsetzen, weil sie sich in ihren Ge
werkschaften fest zusammengeschlossen hatten
und kein noch so schweres Opfer finanzieller
oder zeitlicher Art scheuten, um zum gemein
samen Kampf beizutragen.
Und heute? Man braucht sich nur eine Be-
legschaftsversammlung anzusehen? Ich habe
welche miterlebt mit 1% — in Worten —
einem Prozent Beteiligung. Wundert Ihr Euch
da noch, wenn uns der Arbeitgeber auslacht?
Man hört immer wieder die Äußerung: Ach
die Gewerkschaft macht ja doch nichts! Oder,
— die Arbeitgeber bezahlen uns ja doch nur
»oviel sie wollen — Meine lieben Arbeits
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kollegen, wenn sie uns nur soviel bezahlten,
wie sie wollten, dann bekämen wir nicht viel
mehr wie jene englischen Kinder in den
Spinnereien von Manchester vor 100 Jahren.
Glücklicherweise sind wir doch noch nicht so
weit, daß sie uns bezahlen wie sie wollen,
sondern immer noch so, wie sie müssen. Sie,
die Arbeitgeber, nehmen sich dabei allerdings
in zunehmendem Maße kleinere und auch
größere Freiheiten in den komplizierten
Lohnsystemen heraus — zu ihren Gunsten
selbstredend — und die Arbeitnehmerschaft
kann es sich nicht leisten, da auf die Dauer
tatenlos und uninteressiert zuzusehen. Es
geht ja schließlich dabei nicht nur um uns,
sondern auch um das Wohl und Wehe unserer
Familie und unserer Kinder. Es geht um die
Zukunft! Stillstand ist Rückschritt! In den
letzten 9 Jahren nach dem Ende des letzten
großen Krieges sind außer schönen W'orten
und Proklamationen für die Arbeitnehmer
schaft keine allzugroßen Ziele und Forderun
gen mehr erreicht worden, jedenfalls stehen
diese in keinem Verhältnis zu den schönen
Worten mit Proklamationen.
In allen Staaten Europas herrscht heute
„angeblich“ die Demokratie, d. h. eine de
mokratische Staatsform. Demokratie heißt
Volksherrschaft. Man kennt eine liberale De
mokratie, eine christliche — verschiedene
Zwischenformen — und schließlich Volksde
mokratien. Der kleine Mann wäre also der
Herrscher?! Leider ist das über die Abgabe
des Stimmzettels nur sehr unvollkommen der
Fall und er wird nicht darum herum kom
men, sich zur Wahrnehmung seiner Interessen
zu Interessen- und Kampfgemeinschaften zu-
sammenzusdiließen. Für den Arbeitnehmer
kann dies nur die Gewerkschaft sein, und
zwar gehören da restlos alle hinein, nicht
nur ein Bruchteil! Die besten Verfassungen
und Gesetze nützen bei den heutigen kom
plizierten Finanz-, Wirtschafts- und Sozial
problemen nichts, wenn nicht Faddeute und
Spezialisten da sind, die sie für den jeweili
gen Interessenten auswerten und vertreten.
Um die Redrte und Interessen der Arbeitneh-
mersdiaft in den versdiiedenen Industrie
zweigen erfolgreich gegen die Arbeitgeber und
deren Verbände vertreten zu können, bedarf
es umfassender Kenntnisse und vieler Erfah
rung und der Erfolg der Interessenvertretung
hängt nidit zuletzt davon ab, inwieweit es
gelingt, Fadikräfte für die Ziele der Gewerk-
sdiaft einzuspannen. Dafür muß der Arbeit
nehmer die Mittel aufbringen und zwar jeder
Arbeitnehmer, wenn er eine wirksame Interes
senvertretung wünscht.
Man mag mit mandiem im Verband und
Betrieb nidit zufrieden sein bezüglich der
Gewerksdiaftsarbeit, sowohl in personeller
als auch in sonstiger Hinsicht, das kann man
aber nicht dadurch ändern, daß man abseits
steht und sich um garnichts kümmert. Nein!
Jeder Arbeitnehmer gehört in die Gewerk
schaft, nicht nur als zahlendes Mitglied, son
dern als Kämpfer und Antreiber, jawohl als
Antreiber! Besucht die Versammlungen und
tragt Eure berechtigten Forderungen vor und
unterstützt diejenigen Arbeitskollegen und
Vertrauensleute, die oft keine Mühe und kein
Risiko scheuen, um Eure Interessen wahrzu
nehmen. Wenn wir unser Ziel erreichen und
der Arbeitnehmersdraft einen wohlverdienten,
angemessenen und zeitgemäßen Lebensstan
dard sichern wollen, so haben wir keine Zeit
zu verlieren. Das beste Betriebsverfassungs
gesetz — wir haben nidit das beste — nützt
uns nidits, wenn wir nidit willens und fähig
find, die darin festgelegten Paragraphen auch
zu unseren Gunsten zu verfechten und durch
zusetzen.
Wenn Du, lieber Arbeitskollege, meinen
Ausführungen zustimmst, so gib diesen Ar
tikel weiter an deinen Kollegen, für den Du
mitbezahlst, Deinem Kollegen, der sich um
nidits kümmert, der nur ab und zu mal mault,
es würde nichts gemacht. Vielleidit sieht er
ein, daß es nidit nur um Deine Existenz und
Zukunft geht, sondern auch um seine eigene
und die seiner Familie. Wir müssen uns zu-
ßammensdiließen zur Sidierung unserer I.e-
bensredite. Dazu ist es notwendig, daß die
Gewerkschaften nidit vegetieren, sondern
leben und aktiv werden. Euch, die mitarbei-
ten und milkämpfen und Eudi, die Ihr die
unverdienten Früdite des gewerksdiaftlidien
Kampfes stillschweigend und gleichgültig in
Ansprudi nehmt, rufe ich die Worte des
großen deutschen Didrters zu:
„Feiger Gedanken, bänglidies Sdiwanken
weibisches Zagen, ängstliches Klagen
wendet kein Elend, madi Dich nidit frei
allen Gewalten, zum Trutz dich erhalten
ninnner sidi beugen, kräftig sidi zeigen
rufet die Anne der Götter herbei.“
(Coethe)
Arbeiier-Filmfestspieie
Das Internationale Institut für Arbeiterfilme
hat für die Internationalen Arbeiter-Filmfest
spiele, die in Hamburg vom 15. bis 18. Sep
tember dieses Jahres abgehajten werden sol
len, einen bemerkenswerten Zuspruch ge
funden.
Europäisdie und amerikanisdie Organisatio
nen haben sdion über 20 Filme angeboten,
aber die endgültige Auswahl wird nidit ge
troffen werden, bevor die Organisationen in
Asien und Afrika ebenfalls Gelegenheit hat
ten, ihre Filme zu unterbreiten. Diese Orga
nisationen werden gebeten, das so bald wie
möglidi zu tun. Eine Besdireibung der ver
fügbaren Filme ist an ILFI, 26, rue du Lom
bard, Brüssel, Belgien, zu schicken. Die end
gültige Auswahl wird Filme aus so vielen
Ländern wie -möglidi umfassen und eine mög
lichst große Vielseitigkeit des Arbeitslebens
zeigen.
Für die Internationalen Arbeiter-Filmfest
spiele selbst haben viele Landesorganisationen
sowohl wie Internationale Berufssekretariate
Vertreter angemeldet.
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Martin Decker & Co. GmbH.
SAARBRÜCKEN
Warndtstrasse 15 - Telefon 8566