Full text: 8.1954 (0009)

(Fortsetzung von Seite 6) 
Schuhmachermeisters ein Kabinett gemietet"; 
; Ueber diese „herzensgute alte au" und ihre 
Familienverhältnisse berichtet er: 
„Unsere Quartiergeberin wohnte zusammen 
I mit drei halberwachsenen Kindern im Zimmer 
nebenan. Ihr Mann und eine erwachsene 
Tochter waren einige Jahre zuvor an Tuber- 
ikulose gestorben. Ein verheirateter Sohn litt 
! gleichfalls an Tuberkulose und Marb an die 
ser Krankheit, noch während ich bei sel 
tner Mutter wohnte ... Ständig wurde sie 
ivon der Angst gefoltert, däß auch die drei 
i dahingerafft würden. Ihre Befürchtungen wa- 
i ren leider gerechtfertigt. Sie hat alle ihre 
Kinder überlebt" (64/65). 
Eine ganze Familie von sechs Köpfen aus- 
[ gerottet von der Tuberkulose, damals die 
: Wiener Krankheit (morbus vienensis) ge- 
| nannt, das war Wien im Jahre des öOjähri- 
'gen Jubiläums der Thronbesteigung Seiner 
Majestät des Kaisers von Oesterreich, Königs 
von Böhmen usw. und apostolischen Königs 
von Ungarn Franz Josef des Ersten. Eine 
der Ursachen des Wütens der Tuberkulose 
beschreibt Johann Böhm also: 
„Die meisten Arbeiter und kleinen Ange- 
f stellten, die mit ihren Familien eine aus Zim- 
: mer und Küche, wenn es hoch ging, aus 
’ Zimmer, Kabinett und Küche bestehende Woh 
nung innehatten, haben sie mit Untermietern 
! oder mit Bettgehern geteilt. Sie mußten das 
Lun, weil sie allein aus ihrem Arbeitsverdienst 
^-4» Zins nicht bezahlen konnten. Eine aus 
: ...mmer und Gangküche bestehende Wohnung 
(dal) heif)f eine Küche ohne Fenster ins Freie; 
j deren Tür direkt auf den Gang öffnete) ko- 
fsfefe in der Regel 12 bis 15 Gufder pro 
I Monat, eine so Iche aus Zimmer, Kabinett 
; und Küche 14 bis 18 Gulden, vereinzelt 
- wohl auch 20 Gulden pro Monat. Bei einem 
'Durchschnittseinkommen von 10 bis 12Gul- 
jden pro Woche betrug der ’onatszins also 
i mehr als einen Wochenlohn. Um ihn auf- 
[ bringen zu können, muhten Untermieter und 
Beftgeher mithelfen. Es war keine Selten- 
f heit, daf) Familien von fünf oder mehr Per 
sonen in einem einzigen Zimmer schliefen 
• und in der Gangküche auf einem Notbeft 
noch ein oder zwei Bettgeher" (66). 
Das war Wien ohne Mieterschutz. Erst im 
ersten Weltkrieg legten die Minister ihrem 
kaiserlichen Herrn jene Notverordnung zur 
Sanktion vor, die den Mieterschutz begrün 
dete, der aber erst nach dem Kriege, in der 
: Ersten Republik, seine sinnvolle Ergänzung 
im sozialen Wohnbau erhielt. 
Es ist im Rahmen dieses Referats nicht 
:möglich, den reichen Inhalt dieses Buches 
zuschöpfen. Man muh es lesen. Vor al- 
die jungen Arbeiter mühte man dazu 
.bringen, es zu lesen. Für sie ist dieses Buch 
geschrieben, um ihnen zu zeigen, wie es 
einst war, wozu der Kapitalismus fähig ist, 
• wenn ihm nicht eine zum Kampf entschlossene 
Arbeiterschaft Schranken auferlegt. Und da 
mit sie würdigen lernen, was ie Generation 
der Alfen,'auf die sie mit leisem Hochmu! 
I herabsehen, geleistet hat, um ihnen eine bes 
sere Welt zu bereiten, die de als etwaj 
I Se^stverständüches hinnehmen. 
p ür sie ist dieser Absatz geschrieben: 
,,Es gab zu jener Zeit nicht selten auch 
drückende Arbeitslosigkeit, doch gab es keine 
Arbeitslosenunterstützung. Die Krankenkassen 
: haben lediglich für kurze Zeit (in der Regel 
waren es 20 Wochen) den erkrankten, ar 
beitsunfähigen Arbeitern ein sehr geringes 
j Krankengeld bezahlt und dazu eine ärztliche 
| Behandlung, die auch den primitivsten An 
forderungen nicht entsprechen konnte, ge- 
j währt. Invaliden- und Altersversorgung gab 
,es vor dem ersten Krieg nur für einen Teil 
der Angestellten; alte und arbeitsunfähig ge 
wordene Arbeiter waren einzig und allein 
1 auf die Unterstützung ihrer arbeitsfähigen An- 
I S e hörigen angewiesen. Hatten sie so’che rVchf, 
• so blieb ihnen keine anders Möglichkeit, 
als beffeln zu gehen. 
Die gesetzliche Arbeitszeit war mit elf Stun 
den festgesetzt, auch an Samstagen. Zu 
schläge für Ueberstunden gab es selbstver 
ständlich nicht, ebensowenig bezahlen Ur 
laub, von dem ein Arbeiter nicht einmal zu 
träumen gewagt hat" (68). 
Lasen wir da kürzlich in einer Zeitung 
das Buch Johann Böhms als ein Zeugnis da 
für angeführt, daf) die Arbeiterbewegung von 
heute sich von ihrer eigenen Vergangenheit 
losgelöst habe. 
Einige der Proben, die wir zitiert haben; 
zeigen, dal) Johann Böhm nichts von dem 
aufgegeben und abgeschworen hat, wofür 
seine Generation gekämpft und geblufef hat 
Hier noch zwei weitere: 
„Die so weitgehende Verbesserung dereinst 
bestehenden Zustände ist einzig und allein 
auf die Wirksamkeit der Gewerkschaften und 
der Sozialdemokratischen Partei zurückzufüh 
ren. ln jahrelanger, harter, opferreicher und 
schwerer Arbeit haben Partei und Gewerk 
schaften die halb verlumpte Arbeiterschaft 
dieser Stadt und unseres ganzen Landes aus 
der ihr damals eigenen Lethargie aufgerüf 
felt, ihren Widerstand wachgerufen und die 
Arbeiter erst zu Menschen gemacht, ihnen 
menschenwürdige Lohn- und Arbeitsbedingun 
gen geschaffen, sie aus dem aflerschlimm- 
sfen Wohnungselend herausgeführt und 
schließlich zu wenigstens politisch gleichbe 
rechtigten Bürgern dieses Staates gemacht" 
(67/68). 
Ermdssigung der 
Gegen Jahresende wurde vom saarl. Land 
tag das Abänderungsgesetz zum Einkommen- 
__ sfeuergesefz verabschiedet. U. a. bringt dieses 
Gesetz auch Ermäßigungen des Einkommen- 
steuertarifes. So wurde bei der Sfatfelsteuer 
(die Einkommensteuer wird bekanntlich in 
Teilbeträgen nach festen Hunderfsätzen und 
nach gestaffelten Hundertsäfzen berechnet) in 
der Steuerklasse I der Freibefrag von 180.000 
ffrs. Jahreseinkommen auf 220.000.— ffrs. er 
höht. Die 2. Stufe (10 Proz. Belastung) wurde 
von früher 180.000.— ffrs. bis 370.000.— ffrs. 
auf 220.000.— ffrs. bis 420.000 ffrs. geändert. 
Die 3. Stufe läuff demnach an mit einem Jah 
reseinkommen von über 420.000.— ffrs. Die 
übrigen Sfufen sind gleich geblieben, so daß 
die Neufassung des Einkommensteuergesetzes 
zu einer Steuerermäßigung für die Bezieher 
kleinerer Einkommen führt. 
Bei der Veranlagung werden Renten aus 
der Angestelltenversicherung, Invalidenver 
sicherung und Knappschaftsversicherung vom 
A) KERAMISCHE INDUSTRIE 
Da nun die Finna Villeroy & Boch end 
gültig eine Verhandlung und damit eine Er 
höhung der Löhne abgelehnt hat, hat der 
I.-V. der Fabrikarbeiter alle Betriebsobmänner 
der V&B-Werke am 7. 1. 54 zu einer Stellung 
nahme eingeladen. 
Es wurde einstimmig beschlossen, den 
Staatl. Schlichtungs und Schiedsausschuß an 
zurufen. 
Den kfm. und techn. Angestellten teilen wir 
mit, daß ein Tarifvertrag für die kfm.- und 
techn. Angestellten ausgearbeitet und der 
Firma V&B eingereicht wurde. 
Mit diesem Vertrag soll erreicht werden: 
a) eine klare Festlegung aller Tätigkeitsmerk 
male und somit eine der Tätigkeit ent 
sprechende Einstufung, sodaß jeder Ange 
stellte anhand dieses Vertrages sofort fest 
stellen kann, ob er richtig eingestuft und 
nach welcher Gehaltsstufe er zu bezahlen 
ist. 
7,Freilich,' die wirtschaftlich«» OleicnberechS 
figung ist noch ausständig; um sie geht zur 
Zeit der Kampf. Unverkennbar ist aber, daß 
wir uns auch ihr Schritt *ür Schrift nähern. 
Am Ende dieser Entwicklung steht die so 
zialistische Gesellschaftsordnung, die eines 
Tages das kapitalistische Zeitalter abfösen 
wird." (252). 
Achtung!! 
Sparer der französischen Bausparkassen 
Wie schon in der Tagespresse veröffent 
licht, werden saarl. Bausparer, die einen Ver 
trag mit franz. Gesellschaften haben aufge 
fordert, bis spätestens zum 20. 1. 1954 dem 
Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Er 
nährung und Landwirtschaft — Referat W 3, 
Saarbrücken, Am Bahnhof, schriftlich fol 
gende Angaben zu machen: 
1. Name und Anschrift des Bausparers 
2. Name der franz. Bausparkasse 
3. Wann und in welcher Höhe ist der Bau 
sparvertrag abgeschlossen worden? 
4. Wünscht der Bausparer Erfüllung des Ver 
trages oder will er vom Vertrag zurück 
treten? 
5. Wieviel Ist auf den Sparvertrag eingezahlt? 
6. Ist die Bausparsumme bereits zugeteilt und 
ausgezahlt? 
7. Ist der Vertrag gekündigt? 
Wir ersuchen die Interessenten dringend, 
den Termin nicht zu versäumen! 
20. Januar 1954! 
Einkommensteuer 
Einkommen abgezogen, wenn der Ge 
samtbetrag der Einkünfte den Befrag von 
300 000.— ffrs. im Jahre nicht übersteigt.' 
D. h. mit anderen Worten, daß Renten steuer 
frei bleiben, wenn sie den Jahresbetrag von 
300 000.— ffrs. nicht erreichen und sonstige 
Einkünfte nicht bezogen wurden. 
Durch die Neuregelung der Haus 
haltsbesteuerung wurden gewisse Här 
ten ausgeräumt. So kommen Ehegatten erst 
dann zur Veranlagung, wenn ab dem Verart- 
lagungszeifraum 1952 der Gesamtbetrag ih er 
Einkünfte im Jahre 900.000.— ffrs. überstiegen 
hat (monafl. 75.000.— f, .). Zur Vermeidung 
von Harfen bei der Zusammenveranlagung 
wird die für die beiden Ehegatten berechnete 
Steuer um 15 Proz. der Einkünfte der Ehefrau 
aus nichtselbständiger Arbeit gekürzt, jedoch 
höchstens um 15.000.— ffrs. für den Veran 
lagungszeitraum 1952 um 22.000.— ffrs. für 
den Veranlagungszeitraum ab 1953. 
Sobald das Abänderungsgesefz offiziell vor 
liegt, werden wir es eingehend besprechen.' 
b) eine Erhöhung «1er derzeitigen Gehälter. 
Wir werden diesen Entwurf in unserer 
nächsten Nr. der „Arbeit“ veröffentlichen 
Bei dieser Gelegenheit bitten wir alle Kol 
leginnen und Kollegen die Mitgliedsbeiträge 
rechtzeitig abzuführen und damit den Kassie 
rern das schwere Amt etwas erleichtern. 
B) CHEMISCHE INDUSTRIE 
Auch hier versuchte der I.-V. der Fabrik 
arbeiter zu Lohnverhandlungen mit dem Ar 
beitgeberverband der Chemischen Industrie 
zu kommen, um die derzeitig gültigen Löhne 
und Gehälter zu verbessern. 
Der Arbeitgeberverband hat eine Lohn- 
und Gehaltserhöhung kategorisch abgelehnt. 
Aus diesem Grunde hat die Tarifkommis 
sion des Verbandes einstimmig beschlossen, 
ebenfalls den Staatl. Schlichtungs- u. Schieds 
ausschuß lüErzurufen. 
I.-V. der Fabrikarbeiter 
Willi Kuhnen 
Der I.V. der Fabrikarbeiter meldet: 
9
	        
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