Saarbrücken
l Jahrgang
Febr./Mär* ]^5S
Nummer 4/5
ORGAN DER EINREITSGEUIERHSERRITEN DER ARBEITER, ANGESTELLTEN UND GERRITEN
Gewerkschaftsausschuß
nimmt Stellung zur sozialen Lage
Programmatische Forderungen - Mit Entschlossenheit ans Werk
Der Gewerkschaftsausschuß nahm in seiner Sitzung vom 25. Februar
1955 zwei wichtige Entschließungen an. Die eine Entschließung, die sich
mit der sozialen Lage der saarländischen Arbeitnehmerschaft befaßt, hat
ein ganz besonderes Gewicht. Sie legt die Gewerkschaftsarbeit für die
nächste Zeit fest und enthält eine Reihe programmatischer Forderun
gen. Man muß sich jetzt allseits darüber im klaren sein, daß, nachdem,
wie eine weitere Entschließung feststellt, der gewerkschaftliche Boden
grundsätzlich wieder bereinigt ist, die praktische Gewerkschaftsarbeit
auf der ganzen Linie mit starkem Schwung im Gange ist. Die Reso
lution mit den programmatischen Forderungen wurde. einstimmig
angenommen. Dieser Sachverhalt ist ein Unterpfand für die Entschlos
senheit, mit der man jetzt zu Werke geht.
Die Stunde ist also gekommen, nicht für Nörgler und Quertreiber,
sondern für diejenigen, die in ehrlicher Begeisterung um die rein ge
werkschaftliche Zielsetzung, um den wahren sozialen Fortschritt heute
wie morgen kämpfen wollen, wie sie es ehedem getan haben. Jeder, der
guten Willens ist, wird nichts Trennendes suchen, sondern das sehen,
was uns alle bindet und stark macht: Einheit in Einigkeit!
Und so wird die EG. mit Sicherheit erneute Höhepunkte ihres Schaffens
und ihrer Leistung für die Arbeitnehmerschaft erreichen.
Die programmatischen Forderungen, die aufgestellt wurden, lauten:
„1. Vereinheitlichung der Altersversorgung mit
dem Ziel, die Altersversorgung auch in der
Privatwirtschaft der Versorgung im öffent
lichen Dienst anzngleichen.
1. Um zu verhüten, daß der Arbeitnehmer
durch die im Alter abnehmende Arbeits
kraft in eine niedrigere Lohnkategorie ein
gestuft wird, wodurch auch der ihm zu-
stehendc Prozentsatz seiner Altersversor
gung auf den niedrigeren Lohn berechnet
wird. Ist eine Lohnsicherung für alle Ar
beitnehmer einzufnhren. die eine Kürzung
des erreichten Höchstlohnes verhüten soll.
5. Für alle Arbeitnehmer sollen Dienstalters-
Zulagen eingeführt werden, die dureh eine
allgemeine Kompensationskasse zu über
nehmen sind.
Zur Durchführung dieser Aufgaben muß
das ßeitragsaufkommen zur Sozialversiche
rung eine Neuregelung erfahren.
4. Erhöhung des Krankengeldes auf eiiun
Mindestsatz von 75 Prozent des bezogenen
Einkommens.
I. Sofortiger Erlaß des Betriebsrätegesetz :s.
6. Sofortiger Erlaß des Kündigungsschutzge
setzes.
7. Bezahlung aller gesetzlichen Feiertage.
8. Ueberprufung aller Tarifverträge und Be
soldungsordnungen, um sie den Teuerungs
verhältnissen anzupassen.
9. Sofortiger Wegfall des § 3 der Verordnung
zur Aenderung der Verordnung zur Fest
setzung des Mindeststundenlohnes vom 27.
8. 1950.
Der Gewerkschaftsausschuß ist sich
bewußt, daß diese Forderungen einen re
volutionären Umschwung im gesamten
Sozialleben bedeuten und daß zur Erfül
lung dieser Forderungen, die für die All
gemeinheit von entscheidender Bedeutung
sind, die gesamte Arbeitnehmerschaft mit
helfen muß. Kein Arbeitnehmer darf
mehr außerhalb der Einheitsgewerkschaft
stehen!
Der Gewerkschaftsausschuß wählte aus sei
ner Mitte eine Fachkommission, die in
aller Kürze Einzelheiten zu den Forderungen
des Gewerkschaftsausschusses ausarbeiten und
Regierung 'und Landtag sowie der gesamten Oef-
fentjichkeit unterbreiten wird.
Diese Kommission,' die die Bezeichnung So
zial- und Arbcitsrechfskomniission trägt, setzt
sich wie folgt zusammen: Koll. Jakob Schäfer,
I.V. Baugewerbe, Koll. Josef Hecktor, I. V.
Handel, Banken und Versicherungen, Kollege
Eduard Weiter, I.V. Eisenbahn, Kollege Ernst
Kiesgen, I.V. Oeffentliche Betriebe, Kollege
Richard Rauch, I.V. Metall, Kollege Klaus
Heinz, I. V. Verkehr und Transport, Koll. Willy
Kuhnen, I. V. Fabrikarbeiter und Leder und Be
kleidung.
Von der Hauptverwaltung gehören als Fach
berater der Kommission die Kollegen Franz
Rieth und Richard EisenbeAs an.
*
Die vorstehend abgedruckt© Aufstellung der
Vertreter der einzelnen Industrieverbände gibt
jedem Gewerkschaftsmitglied die Möglichkeit,
von sich aus sofort an den zuständigen Kolle
gen sei es mit Forderungen, Anregungen, Wün
schen Auskunfterteilung usw. heranzutreten.
Alle Kräfte für den Fortschritt
Ein weiteres wichtiges Ergebnis der
Beratungen des Gewerkschaftsausschus
ses vom 25. Februar war der nachste
hende Appell an die gesamte Mitglied
schaft der EG. Unter Vermeidung einer
Uebersehätzung der Schwierigkeiten er
gab sich ein Konsolidierung der Gesamt
lage, die jetzt nach Ausräumung man
cher Mißverständnisse wieder das Ver
trauen der Mitglieder in die Einheitsge
werkschaft festigt, die Wahrung der par
teipolitischen und religiösen Neutralität
erneut unterstreicht und somit die Grund
lage für die erfolgreiche Verfechtung
der in der ersten Entschließung auf-
geführten gewerkschaftlichen Aufgaben
garantiert. Die Stabilität ist gewährlei
st und der soziale Fortschritt, dem der
erfolgreiche Kampf der EG bisher ge
golten hat, wird auch in Zukunft nicht
ausbleibcn. Die Befolgung der beiden Ent
schließungen der Ausschußsitzung vom
25. Februar wird dazu beitragen. Wie
die Funktionäre, so können auch die Ein
zelmitglieder wieder mit verstärkter
Energie und mit neuem Vertrauen den
Zielen zustreben.
In seiner Sitzung am 25. Februar
beschäftigte sich der Gewerkschafts
•chuß mit der Situation innerhalb
Einheitsgewerkschaft, wie sie durch
Vorkommnisse im I. V. Bergbau
dessen Auflösung durch die Regier
entstanden ist. Er lehnte die Maßnal
der Regierung entschieden ab, da durch
das Verbot des I. V. Bergbau, das zwei
fellos durch das Abweichen einiger füh
render Funktionäre des I. V. Bergbau
von dem Grundsatz der Einheitsgewerk
schaft der parteipolitischen Neutralität
verursacht wurde, zum größten Teil an
den ganzen Vorkommnissen Unschuldige
betroffen wurden.
Der Gewerkschaftsausschuß kam nach
ernsthaften Beratungen zu der Auffas
sung, daß diesen Menschen unbedingt
wieder Gelegenheit gegeben werden muß,
sich innerhalb der Einheitsgewerkschaft
zu organisieren und beschloß in seiner
überwiegenden Mehrheit, dem Atifnahme-
antrag der I. G. Bergbau in die Ein
heitsgewerkschaft stattzugeben. Besonders
im Hinblick auf die große Zahl der bei
der Sozialabteilung des I. V. Bergbau
anhängigen Verfahren könne die Neu
schaffung einer Bergarbeiterorganisation
innerhalb der Einheitsgewerkschaft nicht
mehr den geringsten Aufschnb dulden.
Der Gewerkschaftsausschuß stellte fest,
daß nach den satzungswidrigen politi
schen Verirrungen einiger Funktionäre
des I. V. Bergbau mit allem Ernst zur
eigentlichen gewerkschaftlichen Arbeit zu
rückgekehrt werden müsse im Interesse
der Erhaltung der Einheit in der Ar
beiterbewegung und damit zum Wohle
der gesamten Arbeiterschaft.
(Wortlaut der 2. Entschließung Seite 2)
AUS IDIEM IIN1HAMTS
Internationale Gewerkschaftsnachrichten
*
Die Haftpflicht des Arbeitnehmers
Die Theatergemeinde teilt mit
Neue Erfolge der Gewerkschaftsarbeit
*
Mitteilungen der Verbände
Bonderzulage für Sozialrentner dringlich
Die Teuerung
Kulturarbeit der Gewerkschaften
ituBniiiiiliHNiiHiiiiiliHminiauiiuitmulilHiaiiiiimiiiiiiitmiiiuiwinuHiinuiiimniHuinttHmuliiuiiiüiiiitiiiiHiiiiiiüiiimiiuiiiiiiniiiiimimiiiiiitisiiiiiiiiiiiiüiiiitimiiiiuiuie
Ferienlager
Kolonialreich in Oesterreich
Bedeutende tntscheidungen
Wir werden sehr oft vo” unseren Kol
legen gefragt, warum — von außen ge
sehen —■ manches nicht im rechten
Tempo erscheine. Man höre nichts Be
sonderes von Differenzen und Aktionen.
Zunächst ist dazu zu sagen, daß Ein
gaben und Forderungen von uns am
laufenden Band bei den Arbeitgeberver
bänden gestellt werden, wir aber leider
nicht immer so vorwärts kommen, wie
wir es wünschen. Wir waren 1946-47
auf ein Lohn- und Gehaltsniveau ge
sunken, das nicht mehr unterboten wer
den konnte. Der Lebensstandard der
saarländischen Arbeitnehmer war damals
nicht mehr sehr weit von dem der chi
nesischen Kulis entfernt. Durch die Ein
führung des französischen Lohnsystems
wurde dann manches langsam aufgeholt.
Aber seit geraumer Zeit sind wesentliche
Erhöhungen nieht mehr erzielt worden.
Das notwendige Schwergewicht
Heute besteht für jede Gewerkschaft
die Frage, wie sie Einfluß auf die ge
sellschaftliche Entwicklung des Staates
nehmen kann, dem sie angehört. Eine
Gewerkschaft, die versucht, Parteistel
lung gegen eine Regierung zu beziehen,
wird recht bald erleben, daß sie wir
kungslos wird, denn in dem Moment,
in dem sich die Gewerkschaft politisch
deklariert, wird sie zur Partei und kann
dann nur die Anhänger bei sich führen,
die eben auf dieses politische Programm
eingeschworen sind. Nach meiner Auf
fassung ist es viel wichtiger, die Ge
werkschaft versucht möglichst alle Ar
beitnehmerkreise in sich zusammenzu-
fassen und wird dadurch zu einem
Schwergewicht, dem der Staat mit sei
nen gesellschaftlichen Einrichtungen weit
gehend Rechnung tragen muß.
Es ist heute sehr schwer, eine Ge
werkschaft zu leiten ohne dabei die so
genannte politische Linie nicht zu über
schreiten. Dadurch aber, daß viele Re
gierungsentscheidungen direkt oder in
direkt das Leben des schaffenden Men
schen beeinflussen und die Gewerkschaft
nun einmal der gesellschaftliche Ver
treter der Arbeitnehmerschaft ist, kommt
dieselbe mit dem Staat und seinen Ein
richtungen sehr oft in Konflikt. Dies
ist auch an der Saar nicht anders.
Der Lebensstandard
Die mit verschiedenen Zeitunterschie
den eintretenden Erhöhungen der Preise
für Dinge, die man nicht entbehren
kann, rufen beim Arbeitnehmer starken
Unwillen hervor. Die Arbeitnehmer
schaft betrachtet heute ihren Lebens
standard und stellt dabei fest, daß der
selbe in den letzten 30 Jahren starken
Veränderungen unterworfen war. Und
man fragt sich: Warum haben wir trotz
gewaltiger technischer Verbesserungen
und anderen Fortschritten gerade heute
nur eine langsame Entwicklung des Le
bensstandards zu verzeichnen. Eine Er
klärung ist jene, daß wir im Augenblick
eine Stagnation feststellen müssen, von
der niemand richtig weiß, wann sie
überwunden sein wird. Durch die In
kraftsetzung des Schumanplanes wird man
in Deutschland, Frankreich, Belgien, Hol
land. Luxemburg und Italien so man
chen zur Gewohnheit gewordenen Wirt-
ichaftsahlauf ändern müssen.
Die Tatsache, daß der Schumannlan
angelaufen ist, muß mich von den Ge
werkschaften beachtet werden. Zunächst
hat man die Zollgrenzen zwischen den
sechs Ländern Deutschland. Belgien,
Holland, Frankreich, Italien, Luxem
burg für Kohle, Stahl, Erz und Schrott
aufgehoben. Die Hohe Behörde, d. h.
die 9 Männer, die die Entscheidung über
die Fragen fällen, die der Plan vorsieht,
werden bis zum 10. April auch die
Preise für die genannten Produkte fest-
setzen. Beim ersten Anblick erscheint
dies als eine formale Angelegenheit, je
doch diejenigen, die sich damit zu be
fassen haben, das ist der beratende Aus
schuß und die Mitglieder der Hohen Be
hörde, wissen, daß dieser Akt für einige
Länder sehr nachteilig wirken kann. Die
Erzeugungsbedingungen der 6 Schuman-
planländer sind ganz verschieden.
Deutschland muß einen großen Teil der
Eisenerze, die es für seine Hütten
braucht, aus Schweden und Norwegen
einführen. Günstig liegt für die deut
schen Hüttenwerke die Kohle. Die Ruhr
kohle ist qualitativ die beste Kohle, die
in den Schumanplanländern vorkommt.
Vor allen Dingen ist sie die beste Koks
kohle, was in der Eisen- und Stahlpro
duktion ein großes Plus darstellt. Aus
diesem Grunde waren auch in den letz
ten Jahren die Eisen- und Stahlpreise
in Deutschland niedriger als in den an
deren Schumanplanländern. Frankreich
hat mit die größten Eisenerzlager in
Europa und kann daher seine gesamte
Hüttenindustrie, sowie die des Saarlan-
des mit Eisenerzen beliefern. Der Erz
gehalt der in Frankreich gewonnenen
Erze schwankt zwischen 25 und 40 °/o,
also immerhin ein Eisenerz, das sich zur
Verhüttung sehr gut eignet. Während
Deutschland wenig Erz und viele Kohle
hat, steht es in Frankreich genau um-
umgekehrt, viel Erz und wenig brauch
bare Kohle. Darum ist auch Frankreich
noch Exportland für die Saar, Luxem
burg und Belgien. Das drittgrößte Schu-
manplanland Belgien hat neben Kohle
sehr wenig Erze und führt die letzteren
aus Frankreich ein. Die Kohlenvorkom
men in Belgien sind bedeutend, aber
die Ausbeutungsverhältnisse sind sehr un
günstig. Daher fördert Belgien eine ver-
fonrA Ifnlllp.
Luxemburg hat eine für das kleine
Land verhältnismäßig große Eisen- und
itahlerzeugende Industrie. Die zur Ver
hüttung benötigten Erze werden zum
größten Teil im eigenen Land gewon
nen. Die Kohle muß restlos eingeführt
werden. Verbraucht wird meistens die
Ruhrkohle. Das Land, das am wenig
sten von der Produktionsseite her Be
deutung hat, ist Italien. Italien hat ganz
wenig Kohle und auch sehr wenig Stahl
erzeugung. Es kommt hauptsächlich durch
seine weiterverarbeitende und Fertigin
dustrie als Eisen- und Stahlverbraucher
in Frage.
Jedes Land, das der Montanunion au
gehört, hat schon von außenher bedeu
tende Differenzen gegenüber den ande
ren Ländern in bezug auf ihre wirt
schaftlichen Basen. Zur Produktion tra
gen auch andere Faktoren wesentlich bei.
Das ist zunächst die Arbeitskraft und
sind auch sonstige Belastungen, die die
Betri-be zu tragen haben. Kaufkraftmä-
ßig gesehen verdient man an der Ruhr
ungefähr doppelt so viel als in Italien.
Auch sind den verschiedenen Ländern
bedeutende Unterschiede in bezug auf