Saarbrücken
8 Jahrgang
Dez. 1953
Nummer 14
ORGAN DER EINHEITSGCUlERHSrnnFTEN DER ARBEITER. ANGESTELLTEN UND BERUHEN
Appell an Regierung und Landtag
Um die Verabschiedung des Betriebsrätegesetzes
„Das Streben nach größerer Teilhabe an
den betrieblichen und höheren Füh-
rungsaufgaben, ist ein echtes Anliegen
der heutigen Arbeitnehmer, ja der Ge
genwart überhaupt; es darf darum nicht
als ungebührliche Anmaßung verpönt
und verübelt, sondern muß als ange
messenes und verpflichtendes Ziel an
erkannt und soweit wie möglich ver
wirklicht werden
Grundsatz l aus der Schrift „Verantwor
tung und Mitverantwortung in der Wirt
schaft", herausgegeben von Josef Kar
dinal Frings.
Es jährt sich nun bald zum 4. Male, daß
die Einheitsgewerkschaft mit ihrem Ent
wurf für ein neues Betriebsrätegesetz an
Landtag und Regierung herantrat und da
mit die Realisierung eines Grundsatzes der
Verfassung des Saarlandes (Art. 58) for
derte. Diese Forderung war umso dringli
cher, als die noch heute in Kraft befind
liche Betriebsräteverordnung vom 1. Aug.
1947 in keiner Weise mehr den berechtig
ten Ansprüchen der Arbeitnehmerschaft
auf Mitbestimmung und Mitwirkung im
Betrieb genügen konnte. Die Mängel die
ser Verordnung, insbesondere ihr unzu
länglicher Schutz für die Betriebsräte, sind
wohl hinreichend bekaunt, sodaß sich ein
erneutes Aufzeigen erübrigen dürfte. Es
dürfte auch wohl nicht nötig sein, noch
mals im einzelnen darzulegen, wie das Be-
tricnsraregesetz von Landtagsperiode zu
Landtagsperiode immer wieder versprochen
und immer wieder verschleppt wurde.
Darauf wies Kollege Rauch in seinem
Referat vor der Konferenz der Vorstände
der Industrieverbände am 21. 11. 1953 im
Lokale „Hirsch“ eingehend hin, und auch
die Oeffentlichkeit wird hiervon in einer
groß angelegten Kundgebungswelle, zu der
in der Konferenz der Anstoß gegeben
wurde, gebührend informiert werden.
Auf die Versammlung der Vorstände der
Industrieverbände kann die Einheitsge
werkschaft mit berechtigtem Stolze zu
rückblicken.
Es waren keine marktschreierischen Pa
rolen, die von dem Referenten Koll. Rauch
und von Koll. Weiter als Versammlungs
leiter, verkündet wurden, sondern die sach
lichen, wenn auch mit der nötigen Schärfe
vorgetragenen Ausführungen von Funkti
onären, die sich ihrer Verantwortung ge
genüber der bisher allzu geduldigen Ar
beitnehmerschaft voll bewußt sind und die
in klaren, unmißverständlichen Worten
darlegten, daß die Arbeitnehmer an der
Saar nun endlich ihr Recht mit allem
Nachdruck verlangen müssen und verlan
gen werden, ein Recht, das man ihnen'
oft genug zugesichert, aber bisher noch
nicht gegeben hat. Das gilt sowohl für die
Forderung nach Verabschiedung eines fort
schrittlichen Betriebsrätegesetzes, als auch
für die sozialpolitischen Forderungen, die
als Grundsatz das gleiche Recht aller Ar
beitnehmer auf eine ausreichende Alters
versorgung herausstellten und Sofortmaß
nahmen in der Sozialversicherung verlang
ten. ('Siehe auch Entschließungen).
Erfreulich auch das hohe Niveau, auf
dem sich die Diskussion bewegte. Aus der
Versammlung heraus kam der Auftrag an
die Organe der Einheitsgewerkschaft, in
einer sofort anzusetzenden Kundgebungs
und Versammlungswelle, der Oeffentlich-
keit den Willen der Arbeitnehmerschaft
kund zu tun und diesen Willen zu einer
festen Entschlossenheit zu erhärten.
Getreu diesem Auftrag wurden für Don
nerstag, den 26. Nov. 1953, die Betriebs
räte und Funktionäre der Einheitsgewerk
schaft zu einer Kundgebung nach Sulz
bach in die. Festhalle einberufen. Ueber
lOOOMenschen füllten den großen Saal und
die Veranstaltung, auf der die Kollegen
Rauch, Schäfer und Weber unter der Ver
sammlungsleitung voö Koll. Weiter spra
chen, bot in äußerem Eindruck wie; in den
klaren Ausführungen de? Referentejri ein
imposantes Bild. 1
Es folgten bisher Kundgebungen in
Merzig mit über 150 Teilnehmern,*
Neunkirchen mit über 500 Teilnehmern,’
St. Ingbert mit über 500 Teilnehmern
und Homburg mit weit übe? 1000 Teil
nehmern.
Kundgebungen in .Völklingen, St; Wen
del, Dudweiler, Dillingen, 1 Nonnweiler,*
Saarlouis, Schmelz und Saarbrücken; wer
den bei Erscheinen der „Arbeit“ stattgefun
den haben und weitere .Veranstaltungen
werden folgen, auf die noch rechtzeitig
aufmerksam gemacht werden wird.
Die erste Etappe der Kampagne um das
Betriebsrätegesetz wird abschließen mit
einer öffentlichen Kundgebung auf einem
der freien Plätze der Stadt Saarbrücken,
zu der ebenfalls rechtzeitig aufgerufen
wird;
Es bleibt vorerst abzuwarten, was die
Reaktion von Regierung und Landtag auf
die Kampagne der Einheitsgewerkschaft
sein wird.' Von der Arbeitnehmerschaft an
der Saar erwarten wir, daß sie sich in ei
nem geschlossenen Block hinter die Forde
rungen der Gewerkschaft stellt; denn sind
wir uns darüber klar, daß uns nichts ge
schenkt werden wird, und wir in nicht er
lahmendem Kampfe zu unserer gerechten
Sache stehen müssen.
Eine Reaktion ist allerdings schon auf
die Konferenz der Betriebsräte im „Hirsch“,
zu Saarbrücken erfolgt, und zwar noch vor
der Kundgebung in Sulzbach;
Der Herr Ministerpräsident selbst hat in
einem Schreiben an den Präsidenten der
Einheitsgewerkschaft geantwortet, das ja
bereits durch Rundfunk und Tagespresse
publik geworden sein dürfte', sodaß wir
uns eine Wiederholung im einzelnen er
sparen dürfen.’ Einige Ausführungen des
Herrn Ministerpräsidenten sind jedoch zu
interessant, als daß wir auf eine Kommen
tierung verzichten könnten.’
Die Kundgebung in Sülzbach hat ihm
bereits bescheinigt, daß das Schreiben vom
23. tl. 1953 die Arbeitnehmerschaft in kei
ner Weise befriedigen kann; Fügen wir
hinzu; daß wir auch garnicht erwartet
hatten, in diesdem Schreiben eine lücken
lose Klarstellung zu erhalten, geschweige
zu erfahren, wann nun endlich doch der
Arbeitnehmerschaft an der Saar ihr lang
versprochenes Recht werden soll;
Und ftiede auf ttden!
t
Einer der Züge, die dem Menschen
— und wohl nur ihm r- eingeboren sind,
ist seine Sehnsucht nach Frieden, nach
der Möglichkeit, sich sein Dasein unge
hindert und ungestört nach eigenem Er
messen zu gestalten;
Um die Advents- und Weihnachtszeit
wächst diese Friederissehrisucht und gip-;
feit in dem ;,Fest des Friedens.“ Die
weihnachtliche Friedensbotschaft macht
allerdings zur Voraussetzung, daß diel
Menschen, an die sie; gerichtet ist; J,guten
Willens“, seien?
Und ;,da stock Ich schon“ S * S J ob diese
geistige Bereitschaft wohl bei der Ber
mudakonferenz, bei der UNO-Vollver-;
Sammlung, bei der Koreabonferenz -=■
oder gehen wir garnicht so weit: ob
sie auch nur hier im Saarland vorhan
den ist;
Leider muß man nicht nur leise Zwei
fel darüber hegen. Darüber kann auch
die etwas künstliche, weil in der Haupt
sache aus Erwerbsgründen bewußt ge
züchtete Weihnachtsatmosphäre nicht hm-
wegtäuschen. Muß man nicht schon an
dieser seelischen Friedenseinstellung zwei
feln, wenn man, um die Weihnachtskon-
junktur ganz ausschöpfen zu können, die
Angestellten der Kaufhäuser zwingt, nicht
wie vorgesehen, an zwei verkaufsfreien,
sondern sogar an drei Sonntagen Dienst
zu tun? Zeugt es von sozialer Friedens-
bereitschaft, wenn entgegen der gesetzli
chen Vorschrift über den freien Mitt-
wochnachmittag die Geschäftsinhaber in
unfairer Ausnützung ihrer wirtschaftlichen
Machtstellung ihre Angestellten und na
mentlich die Lehrlinge zwingen, auch
diesen Nachmittag im Geschäft zu ver
bringen? Die Regierung des Saarlandes
hat es sich zur löblichen Gewohnheit ge
macht, in einer Weihnachtsansprache dem
saarländischen Volke durch den Mund des
Ministerpräsidenten zum Ausdruck brin
gen zu lassen, was sie zur Sicherung des
Friedens namentlich «auf sozialem Ge
biete geleistet hat und noch zu leisten
vo"bat.
Es wäre diese Ansprache; heuer die rechte
Gelegenheit,’ den Schaffenden an der Saar
mitzuteilen; daß man sich ernstlich mit
der Verwirklichung der, Gesetzesanträge zu
feinem Kündigungsschutz, einem Tarifver
tragsgesetz für den öffentlichen Dienst
ünd vor allem zum Betriebsverfassungsge
isetz beschäftigt;
Es gibt auch an der Saar immer noch
die Tragödie des alternden Arbeiters und
Angestellten, denen die bisherige gesetz
liche; Regelung die Sorge für ihren Le
bensabend noch nicht hat abnehmen kön
nen. Welch einen Weihnachtsfrieden würde
für diese alternden Menschen auch nur
fein Ansatz zur Durchführung des Kün
digungsschutzgesetzes, bzw. des Tarif
vertragsgesetzes für den öffentl. Dienst,
bedeuten; Und von jedem Schaffenden an
der Saar würde es als schlüssiger Be
weis des ;,guten Willens“ angesehen wer
den, wenn nach vierjährigen ergebnislo
sen Verhandlungen Landtag wie Regie
rung als Weihnachtsgeschenk den Schaf
fenden das Betriebsrätegesetz unter den
Weihnachtsbaum legen würden.
Wenn dann auch die vom Herrn Mini
sterpräsidenten in seinem Schreiben an
den Präsidenten der Einheitsgewerkschaft
gemachten Ausführungen über den tätigen
guten Willen des Kabinetts in Erfüllung
gingen, wenn das von ihm auf der öf
fentlichen Kundgebung am 29. 11. 1953
aufgestellte Programm über den Ausbau
der Sozialpolitik, die Verbesserung der
Renten und die Durchführung der Selbst
verwaltung in der Sozialversicherung nicht
allzu lange auf sich warten läßt, dann
glauben auch wir, daß die weihnachtliche
Friedensbotschaft nicht auf bittere Skep
sis, sondern doch noch auf hoffnungsvolle
gläubige Herzen treffen wird und daß
doch noch manche von Harm geformte
Lipnen die altgewohnten Worte vor sich
hinflüstern werden 88!! und Friede den
Menschen auf Erden; die guten Willens
sind. K. H. W;
immimnininniininninimninimnn?mn
Aus bem Inhalt:
Seite
Entschließungen der EG 2
Wettbewerb des I.V. Graphik 2
Die Lohnpfändung 3
Rationalisierung sogar des Verdauungs
prozesses 3
Die Stellung der Gewerkschaften in der
Verfassung 3
Herrn Huffing ins Stammbuch 4
Vergangenes und Gegenwärtige« 5
Vom Aufbau zum Ausbau 5
Theatergemeinde 5
Verbraucher will kein Rabattgesetz 6
Neubau Asko Heinitz 6
Winterreisen der Arbeitskammer 7
imiiiiiiiiiimiifiiiiHiiiiiiniiHfmiiiiiiiiiimi
Der Herr Ministerpräsident weist den
Vorwurf der Verschleppung des Betriebs
rätegesetzes, soweit er auf die Regierung
abzielt, zurück, da das Beratungstempo
einzig beim Landtag liege. Formell durch -
aus richtig, aber will man uns ernsthaft
glauben machen, daß das Betriebsrätege
setz nicht schon längst zur Verabschiedung
gekommen wäre, hätte die Regierung auf
das Gesetz den Wert gelegt, den man vor
her anderen Gesetzen beizulegen beliebte,
und die dann auch mit oftmals überra
schender Geschwindigkeit zur Verabschie
dung gekommen sind. Sagen wir es doch
unumwunden, daß man sich innerhalb der
Regierung nicht einig darüber ist, was man
der Arbeitnehmerschaft anbieten kann,
und was man ihr noch anzubieten wagen
kann; Diese Problematik spiegelt sich ge
nau im Landtag wider. Wie wäre es sonst
zu erklären, daß der Vorsitzende des sozi
alpolitischen Ausschusses, Herr Ruf fing,
zwar in seiner Eigenschaft als Präsident
der christlichen Gewerkschaft bei jeder
Gelegenheit die Forderung nach dem Ge
setz mit Lautstärke erhebt, aber in seiner
Eigenschaft als Vorsitzender des sozialpo
litischen Ausschusses zumindest nichts zur
beschleunigten Behandlung des Gesetzes
beiträgt, um nicht zu sagen, das Gesetz zu
verschleppen hilft, obwohl er doch der
Fraktion im Landtag angehört, welche die
absolute Mehrheit darstellt, also sehr wohl
nach einem Zeitraum von 4 langen Jahren
mit garnicht wenig Verhandlungen, hätte
Farbe bekennen können; Wir gestehen,
daß wir Herrn Ruffing um seine Stellung
zwischen den Stühlen nicht beneiden. Ganz
setsam mutet uns jedoch an, daß Herr Ruf
fing jetzt nach 4 Jahren auf dem Partei
tag der CVP entdeckt und der erstaunten
Arbeitnehmerschaft an der Saar verkün
det, das Betriebsrätegesetz könne unter
Umständen die „Funktion des Wirtschafts-
ablaufes“ stören, was natürlich das Unter
nehmertum verständlicherweise schon im
Versuche verhindern wolle. Die befürch
tete Störung der „Funktion des Wirt
schaftsablaufes“, überlassen wir unkom-
mentiert dem Urteil der Arbeitnehmer an
der Saar. Es ist jedoch für uns nicht ohne
Reiz, zu erfahren, daß das Unterneh
mertum die Verabschiedung des Betriebs
rätegesetzes zu verhindern sucht. Das haben
wir bereits in aller Offenheit festgestellt,
ohne allerdings das geringste Verständnis
dafür aufbringen zu können, daß man der
Arbeitnehmerschaft vorenthalten will, wast
ihr auf Grund ihrer Leistungen, und we
gen ihrer engen Verbundenheit mit den
Betrieben zusteht;
Nun, mit den Ausführungen von Herrn
Ruffing befaßt sich die Zuschrift eines
unserer Mitglieder noch näher (siehe nn>-