Full text: 1953 (0008)

Oktober 1953 
Seite 3 
1. V. Groß- und Einzelhandel 
Schärfster Protest 
Am 1. Oktober hielt der I. V. Groß- und 
Einzelhandel der EG in Neunkirchen eine 
Versammlung ab, in der Gewerkschaftssekre 
tär und Geschäftsführer H e k t o r über den 
neuen Tarif, Altersversorgung, Dicnstalterszu- 
lagc, Sterbegeld, Gründung einer Jugend 
gruppe und über die 40-Stundenwoche re 
ferierte. 
Die anwesenden Angestellten gaben ihrer 
Entrüstung über das Verhalten von Firmen, 
die beim Eintritt in eine Gewerkschaft und 
dem Besuch einer Gewerkschaftsversammlung 
mit dem Hinweis auf Entlassung drohen, 
schärfsten Ausdruck. Der I. V. Groß- und 
gegen Willkürakte 
Einzelhandel wird sofort die Gemeinschaft de« 
Saarhandels über diese Vergewaltigungen der 
Angestellten benachrichtigen. Sollte nicht eine 
baldige Aenderung eintreten, sieht sich der 
I. V. Groß- und Einzelhandel gezwungen, 
solche uns bekannte Firmen durch die Presse 
und durch Flugblätter der Oeffentlichkeit be 
kanntzugeben. Eis handelt sich hier um Will 
kürakte gröbster Art, die noch in beson 
derem Lichte erscheinen, da man feststellen 
muß, daß diese Firmen selbst für sich dae 
Recht in Anspruch nehmen, in der Arbeitge 
berorganisation der Gemeinschaft des Saar 
handels organisiert zu sein. 
I. V. Handel, Banken, Sparkassen, Versicherungen 
Der Industrieverband Handel, Banken, Spar 
kassen, Versicherungen der Einheitsgewerk 
schaft hat seine Betriebsräte der Banken und 
Sparkassen am 29. 9. 1953 zu einer außer 
ordentlichen Sitzung einberufen, um über 
die schriftlichen Ausführungen des Bedin 
gungsausschusses der Kreditinstitute im Saar 
land vom 28. 9. 1953 eingehend Stellung zu 
nehmen. 
Eis wurde folgende Entschließung einstim 
mig angenommen: Eis sollen keine langen Ver 
handlungen wegen Abschluß eines neuen Ta 
rifvertrages geführt werden, da eine sofor 
tige gehaltliche Besserstellung für die Ange 
stellten vordringlich ist. Der jetzige Mantel 
tarifvertrag soll bestehen bleiben. Der jet 
zige Grundkoeffizient 100 = 12.460.— Frs. 
Unser einstimmiger Vorschlag geht dahin, 
den Grundkoeffizient 100 auf 16.000.— Frs. 
zu erhöhen, weitere Beibehaltung des 14. 
Monatsgehaltes und der Urlaubsbeihilfe. 
Dieser Vorschlag wurde einstimmig ange 
nommen, jetzt wird eine rasche Lösung an 
gestrebt. Wir geben der Ueberzeugung Aus 
druck, daß der Bedingungsausschuß diesem 
Vorschlag, ohne die Verhandlungen hinan*» 
zuziehen, alsbald zustimmen wird. 
Auf die ablehnende Haltung der Berufsver 
einigung gegenüber den Gewerkschaften di« 
Gehälter der Angestellten bei Versicherungs 
gesellschaften und Gruppen von Gesellschaf 
ten in die Gehälter anderer Berufsgruppen 
anzugleichen, um eine Besserstellung der jetzt 
schlecht bezahlten Angestellten zu erreichen, 
waren die Gewerkschaften gezwungen, den 
Landesschlichter beim Ministerium für Ar 
beit und Wohlfahrt anzurufen. 
Am 1. 10. 1953 fand dann eine Sitzung 
beim Landesschlichter statt. In einer leb 
haften Diskussion der Gewerkschaften mit 
dem Vertreter der Berufsvereinigung entschied 
der Landesschlichter, daß beide Parteien 
eine neue Basis ausarbeiten, die eine An 
gleichung der Gehälter der Angestellten an an 
dere Berufsgruppen vorsieht. Nach Eingang 
der schriftlichen Vorschläge findet in unge 
fähr 10 Tagen die nächste Sitzung vor dem 
Landesschlichter statt. 
Gewerkschaftliche Nachrichten 
Neugegrflndeter I. V. Bergbau tariffähig. 
Durch Erlaß des Arbeltsminlsters wurde dem neu- 
gegründeten Bergbau der Einheitsgewerkschaft die 
Tariffähigkeit zuerkannt. Damit ist der Bergbau 
anerkannter Sozialpartner und berechtigt, Tarif 
verträge abzuschließen und Lohnverhandlungen ca 
führen. 
i ütr neue Vorstand des I. V. Bergbau Saar nahm 
die Bezirkseinteilung sowie die Besetzung der Se 
kretärposten der einzelnen Bezirke vor. Der Vor 
stand beschloß, die bisherige Einteilung In sieben 
• Bezirke beizubebalten. Die Besetzung der Posten 
X —ergab folgende itegelung; Bezirkssekretär von Völk 
lingen' Heinrich Herrmann, Saarlouis Karl Zutnpf, 
Sulzbach Friedrich Augustin, St. Ingbert Paul 
Maas, Neunklrchen Otto Körner, St. Wendel Alois 
Spohn und Illingen Willi Kannegießer. 
Nach der Neugründung ist jetzt die erst» Nr. 
der Verbandszeitschrift „SAAR-BERGBAU“ erschle-; 
nen. Dl« sechsseitige Ausgabe enthält u. e. ein 
Arbeitsprogramm des Vorstandes, Aufrufe cur ver«; 
antwortungsbewußten Mitarbeit, die Satzungen fflt 
den Neuaufbau, Verbandsmittellungen und eine 
Jugendselte. 
Streiks. 
Innerhalb der Wirtschaftsgebiete der west«' 
liehen Erdhalbkugel kam es auch in den letz«' 
ten Wochen zu einer Reihe von größeren 
Streiks. Einige Streikbewegungen sind noch 
nicht abgeschlossen. Ueber den Verlauf und 
die Lehren aus diesen Streiks werden wir 
demnächst berichten. 
DGB erneut für Gewerkschaftseinheit. 
In einer Verlautbarung des DGB-Nachrich- 
tendienstes zu dem Konflikt betr. den be 
kannten Briet der CDU/CSU-Sozialausschüsse 
und der kath. nnd evgl. Arbeitervereine 
heißt es, es seien Mißdeutungen aufgekom 
men. In einem Schreiben an Bundesminister 
Kaiser und Ministerpräsident Arnold erklärt 
sich der Bundesvorsitzende des DGB, Waltor 
Freitag, ausdrücklich unter Beachtung der 
Beschlüsse von Bundesvorstand und Bundes 
ausschuß, falls es gewünscht wird, bereit, 
Gespräche mit Gewerkschaftlern zu führen. 
Diese Bereitschaft zu Gesprächen beweist, daß 
der Deutsche Gewerkschaftsbund im Rahmen 
des Zumutbaren gewillt ist, dazu beizutragen, 
die Einheit der Gewerkschaften zu erhalten. 
* 
Alfred Fossil gestorben. Im Alter von 59 Jahren 
lat Alfred Fossil, der sich am Wiederaufban det 
deutschen Gewerkschaften, besonders !m kulturel 
len Sektor, groß« Verdienste erworben hat, wäh« 
rend eines Referats auf einer DGB-Angestellten- 
tagung am Herzschlag gestorben. 
Die Gewerkschaften 
von Hendrik de Man a. a. 
Lebensordnung oder Zweckapparat 
Auslandsforschung Heft 3; 100 Selten, geh. DM 3.50 
C. W. Lcske Verlag • Darmstadt 
Die Gewerkschaften der Arbeitnehmer sind ein 
Teil unserer Arbeits- und Wirtschaftsordnung. Wenn 
sie Ihre Funktion richtig begreifen, wenn sie ge-; 
sund sind, wenn sie das Vortrauen ihrer Mitglie 
der rechtfertigen, Ist ein wesentlicher Teil unseres 
Lebens In Ordnung. Was ist die Funktion der Ge 
werkschaften f Sollen sie auf Biegen nnd Brechen 
die Interessen Ihrer Mitglieder vertreten, wie es 
die amerikanischen Gewerkschaften tunl Sollen 
sie ein Tellstück des staatlichen Führungsapparates 
sein wie die Gewerkschaften der Sowjetunion t 
Oder sollen sie weder den einen noch einen an 
deren Weg gehen, sondern einen dritten, auf 
dem kein Gegensatz zwischen den Interessen ihrer 
Mitglieder und denen der Allgemeinheit besteht I 
Sind nicht die wahren Interessen der Arbeiter-: 
sebaft auch die Interessen des Ganzen? Unsere 
Sammelscbrlft Ober die Gewerkschaften stellt das 
Beispiel der USA, der Sowjetunion and GroßbrL; 
tannlens dar and bietet dem Leser Material, aas 
dem er sich selbst ein Urteil bilden kann. 
Sind die Gewerkschaften nicht eine Einbrnebsstell« 
%eatecg.emeuide teilt mit: 
J^aussiehtlich«« Programm für die Spielzeit 
Jliete I (sonntags): 
' 1953 Die Meistersinger von Nürnberg 
o (Richard Wagner) 
• anuar 1954 Der Vogelhändler (Carl Zelüer) 
""ete II (montags)! 
26. 10. 1953 Der Vogelhändler 
16. 11. 1953 Wie es Euch gefällt (William 
Shakespeare) 
80. 11. 1953 Di« Zauberflöt« (Wolfgang 
Amadeus Mozart) 
Außerdem sind vorgesehen für beide Mietern 
Der Bettelstndent (Carl Millöcker) 
Aida (Giuseppe Verdi) 
Tiefland (Eugen d’Albert) oder 
Madame Butterfly (Giaoomo Puccini) 
Hauptmann von Köpenick (Carl Zockinayer) 
Prinz von Hamburg (Heinrich van Kleist). 
Als Sondervorstellung ist die Operette „Feuer 
werk“ oder „Saison in Salzburg“ vorgesehen. 
Für die Miete I sind noch eine Anzahl Abon 
nements erhältlich. Meldungen bitten wir um 
gehend an die Hauptkass >, Kulturabtei hing, 
Telefon Saarbrücken Nt. 9533, Apparat 16, a* 
richten. 
für den Kommunismna? Wie steht «s um den kom 
munistischen Einfluß io der französischen und der 
Italienischen Gewerkschaftsbewegung? War die er 
neute Spaltung nötig? Hat sieb In der internatl-; 
onalen Gewerkschaftsbewegung eine klare Schelf 
düng der Geister zwischen Kommunisten und Nicht-' 
kommunisten ergeben? Die Sammelscbrlft schildert 
das Ringen der Kommunisten um Positionen Inner 
halb der Gewerkschaften, Ihre Anfangserfolge und 
Ihre Niederlagen, auch die unklaren Frontabschnitte. 
Wer die Gegenwart verstehen will, maß ihre Ar 
beiterbewegung kennen I Am Beispiel fünf große! 
Staaten: der Sowjetunion, der USA, Großbritannl* 
ens, Frankreichs und Italiens werden die Problem« 
deutlich, die für jede Gewerkschaft entstehen. 
* 
Soweit die wesentliche Darstellung des Verlags 
selbst zu einem Buch. Zweifellos Ist das Buch füg 
Jeden Funktionär, für Arbeiter und Angestellte* 
und jeden am Arbeitsprozess Interessierten ein« 
wichtige Lektüre. Eine eigene Stellungnahme folgt. 
Die Konsumgenossenschaften im Saarland 
Im Saarland entstanden die ersten Gründun 
en von Konsumgenossenschaften in den 60er 
ahren des vorigen Jahrhunderts. Vorläufer 
von ihnen waren die von der damaligen preußi 
schen Bergverwaltnng geschaffenen sogenann 
ten Brot- und Mehlgelderfonds. Diese Fonds 
hatten den Zweck, das Brotgetreide bet der Ern 
te auf eigene Rechnung aufzukaufen, einmal um 
die notwendigen Bestände an Getreide zu si 
chern, zum andern und durch besondere Ab 
kommen mit den Mühlen die bis dahin stets 
schwankenden Mehl- und Brotpreise für das 
Erntejahr zu stabilisieren. Die schlimmen Not 
jahre, die infolge der Mißernten in den Jahren 
1846 und 1847 eintraten, mögen hierzu Ver 
anlassung gegeben haben. Da die Einrichtungen 
der Brot- und Mehlgelderfonds bei dem steten 
Ausbau des saarländischen Bergbaues nicht aus 
reichten, um die Versorgung der stets anstei 
genden Belegschaftsmitglieder zu sichern, grün 
dete man in späteren Jahren auf Anregung der 
Bergwerksdirektion die ersten saarländischen 
Konsumvereine. Andere saarländische Fabri 
kanten folgten diesem Beispiel. 
Beispiele aus England hatten auf die preußi 
sche Bergverwaltung Saarbrücken anregend ge 
wirkt. Denn bei den Beratungen in der Grün 
dungsversammlung am 7. 8. 1867 in Friedrichs 
thal wurde nicht nur auf Schulze-Delitzsch und 
seine Genossenschaften, sondern auch auf die 
Konsumgenossenschaften in den englischen In 
dustriegebieten besonders hingewiesen. In den 
Jahren 1867-68 wurden im Saarland im An 
schluß an die Friedrichsthaler Versammlung 
bereits neun Konsumvereine gegründet. Eis ging 
anfangs nicht alles zur besten Zufriedenheit in 
diesen neuen genossenschaftlichen Unterneh 
mungen; wenigstens nicht überall. Einige die 
ser Genossenschaften, deren Verwaltung in gu 
ten Händen lag, gewannen von Jahr zu Jahr an 
Bedeutung. Die Umsätze dieser Genossenschaf 
ten vergrößerten sich, und die Zahl der Ver 
kaufsstellen stieg mir dem andauernden Zustrom 
neuer Mitglieder. Andere von ihnen gaben in 
späteren Jahren ihre Selbständigkeit wieder auf, 
um sich der leistungsfähiger gewordenen Nach 
bargenossenschaft anzuschließen. In den 70— 
80er Jahren kamen noch einige genossenschaft 
liche Neugründungen hinzu. So entstanden die 
Fabrik-Konsumvereine Merzig, Mettlach, Bre- 
bach, Fenne, St. Ingbert usw. Eine der spä 
testen konsumgenossenschaftlichen Gründungen 
war die des Saarbrücker Eisenbahn-Konsumver 
eins im Jahre 1881. 
Die berufliche Gliederung der Genossenschaf 
ten (Gruben-Konsum, Eisenhahn-Konsum, Fa 
brik-Konsum) wurde in späteren Jahren durch 
das Ineinanderfließen der Ortsgruppen usw. 
von den Ereignissen überholt. In gutnachbarli 
cher Zusammenarbeit machten diese Konsum 
vereine gute Fortschritte. Ihre Zahl stieg bis 
zur Jahrhundertwende auf 32 an, und sie ge 
diehen je nach der örtlichen Lage ganz gut. 
Ihre Umsätze nahmen von Jahr zu Jahr zu; 
die Zahl der Mitglieder erhöhte sich laufend 
und das Verkaufsstellen-Netz wurde sorgsam 
und bedächtig, aber immer weiter ausgebaut. 
Den Einwirkungen der Kriegs- und Nachkriegs 
jahre 1914-18 konnten manche dieser Genos 
senschaften nicht standhalten. Einige von ihnen 
mußten sich auflösen, oder sie schlossen sich 
einer anderen Genossenschaft an. Insgesamt ge 
sehen kann jedoch gesagt werden, daß der Ge 
nossenschaftsgedanke sich in jenen Jahren im 
Saarland sehr stark ausbreitete. Bis zum Jah 
re 1934 hatten die Genossenschaften eine gute 
ansteigende Entwicklung. Ein geschäftlicher 
Rückgang trat bei den Konsumgenossenschaf 
ten dann mit dem Jahre 1935 ein. Die fortge 
setzte Diffamierung der Konsumgenossenschaf 
ten in der Oeffentlichkeit, in Verbindung mit 
den Schikanen, denen ihre Verwaltungen Tag 
für Tag ansgesetzt waren, verursachten eine 
starke rückläufige Entwicklung, sowohl ansatz- 
mäßig, als auch bei der Zahl der Mitglieder. 
Diese Mißhelligkeiten setzten sich fort bis zur 
endgültigen Auflösung der Konsoimgenossein- 
schaften im Jahre 1942. 
Interessieren dürften einige Zahlen über den 
Stand der saarländischen Konsumgenossen 
schaften wenige Jahre vor ihrer Auflösung. 
Zahl der Konsumgenossenschaften 28 
Zahl der angeschlossenen Mitglieder 64.069 
Jahresumsatz: 20.231.000 Mark. 
Ihre Wiedergründung nach dem Kriege. 
Die zwangsweise Auflösung hat auch den 
saarländischen Konsumgenossenschaften unend 
lich viel materiellen und ideellen Schaden zn- 
gefügt. Nicht nur, daß ihre Organisationen zer 
schlagen worden waren, auch die betrieblichen 
Einrichtungen wurden von den Kriegsereignis- 
sen stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Ver 
mögen einiger Genossenschaften gingen in den 
Wirren vollständig verloren. Bei einigen ande 
ren mangelte es nach 1945 wiederum aus an 
deren Gründen an jeglicher Voraussetzung für 
eine Wiederingangsetzung aus eigener Kraft. 
Die Zerstörungen, die der Krieg angerichtet 
hatte, waren eben für manche Konsumgenossen 
schaften zu groß. Hinzu kam ferner, daß mei 
stens auch keine finanziellen Mittel mehr vor 
handen waren. So kam man dann bei der Wie 
dergründung der saarländischen Konsumgenos 
senschaften im Jahre 1946 zu der Lösung, ea 
zunächst bei den zwei Konsumgenossenschaften 
Saarbrücken und Neunkirchen-Heinitz zu be 
lassen. Spätere Gründungen waren die beiden 
Konsumgenossenschaften des Eisenwerks HADIR 
St. Ingbert und die des Völklinger Eisenwerk* 
in den Jahren 1949-50. 
Die Stellung der Konsumgenossenschaft in de* 
Wirtschaft — Ihre Gegner — gestern und heute 
Die Genossenschaftsbewegung kann auf eine 
100jährige Geschichte zurückschauen. Von vie 
lerlei Gefahren bedroht, von ihren wirtschaft 
lichen Gegnern verhöhnt, trat sie ins Daseim 
Wie oft schon verbanden sich die Widersacher 
zur Vernichtung der Konsumgenossenschaften! 
aber die Genossenschaften wuchsen. Sie blieben 
auch nicht von inneren Krankheiten verschont! 
aber ihre robuste Natur siegte. 
Seit den ersten Anfängen sind die Genossen 
schaften zu einem wirtschaftlichen und recht 
lichen Gebilde geworden. Sie vereinigen heut« 
nicht nur die wirtschaftlich Schwachen zu einer 
stärkeren Einheit, sondern die Genossenschaft 
als Unternehmungsform wird auch von den 
Stärkeren als nützliches Instrument benutzt, 
wenn es ihren Interessen dient. Darum fehlt 
dem Pressefeldzug, wie er früher schon und 
auch jetzt leider wieder gegen die Genossen 
schaften im allgemeinen und die Konsumgenos 
senschaften im besonderen mit unwahren und 
diffamierenden Behauptungen („totaler Herr- 
schaftsanspruch“, „ungleiche Startbedingun- 
geu“, „Vorstufe zum Kollektivismus“) geführt 
wird, jede Logik und jede innere Berechtigung, 
Die saarländischen Konsumgenossenschaften ge 
nießen keinerlei steuerliche Bevorzugung. Im 
Gegenteil. Unser Umsatzsteuergesetz sieht für 
den saarländischen Großhandel erheblich« 
steuerliche Begünstigungen vor, die die Kon 
sumgenossenschaften nicht genießen. Der weit 
aus größte Teil des saarländischen Einzelhan 
dels zahlt eine Umsatzsteuer von nur 2 Prozent, 
während die Konsumgenossenschaften mit ihren 
hohen Umsätzen dem Steuersatz von 2,5 Pro 
zent unterliegen. Ihre Geschäftsberichte weisen 
jährliche Steuerleistungen von über 400 Mil 
lionen Franken aus, also — betrachtet im 
Rahmen der Verhältnisse — doch enorme Sum 
men. Die vor einiger Zeit in der Presse erschie 
nene Zahlengegenüberstellung über die im Ver 
hältnis zum Handel angeblich zu geringe Steuer 
leistung der Konsumgenossenschaften geht von 
einer völlig unbewiesenen Annahme, also nicht 
von Tatsachen aus und kann daher von vorne- 
herein als unrichtig angesehen werden. Elbenso 
verhält es sich mit der angeblichen staatlichen 
Unterstützung, deren sich die Konsumgenossen 
schaften erfreuen sollen. Die angebliche staat 
liche Begünstigung besteht darin, daß man den 
Konsumgenossenschaften im Saarland, wenn sie 
die Absicht haben, eine neue Verkaufsstelle zu 
errichten, mehr Schwierigkeiten bereitet, als 
in irgend einem anderen Lande Europas. 
Kein Einwand kann die Tatsache aus der Welt 
schaffen, daß die Konsumgenossenschaften zu 
denjenigen sozialen Institutionen gehören, di« 
sich in der Zeit des Frühkapitalismus mit sei 
ner brutalen Industrialisierung und den damit 
oftmals auftretenden sozialen Unzuträglichkei 
ten des geplagten Menschen als erste angenom 
men haben. Die starke Entwicklung, die di« 
Konsumgenossenschaften seit ihrer Gründung 
vor 100 Jahren besonders in England genommen 
haben, ist nichts anderes, als der Ausdruck der 
Befriedigung eines materiellen und ideellen Be 
dürfnisses. In den genossenschaftlichen Bestre 
bungen liegt nichts Umstürzlerisches. Wenn die 
Konsumgenossenschaften den vernünftigen Ge 
danken in die Tat umsetzen, dem wirtschaftlich 
Schwachen zu helfen, so verfolgen sie ein Ziel, 
das jeden gerecht denkenden Menschen beseelen 
sollte. Nichts kann auch nur annähernd die so 
zialen Gegensätze und Spannungen besser aus- 
gleichen und die Befriedung des Volkes mehr 
fördern, als das Verständnis und das Gerechtig 
keitsgefühl für die nicht mit iridischen Gü 
tern gesegneten Menschen. Eine Genossenschaft, 
die nach solchen Zielen strebt, wird immer ein 
nützliches Glied unserer staatlichen Gemein 
schaft sein, das Achtung und keine Anfeindung 
verdient. Ziel und Zweck der Kon-umgenosse»- 
schaften ist es nicht, die bestehenden sozialen 
Gegensätze innerhalb der Volksgemeinschaft za 
vertiefen, sondern sie betrachten es als ihre* 
vornehmste Aufgabe, diese zu überbrücken. Zur 
Verwirklichung dieses hohen Zieles haben di« 
Konsumgenossenschaften in der Vergangenheit 
schon unendlich viel getan. 
Die Konsumgenossenschaften sind ihrem We 
sen nach eine Rechts- und Wirtschaftsform für 
sich. Sie sind weder ein Produkt des Kapitalis 
mus noch irgend einer parteipolitischen Rich 
tung. Sie gehen in ihrem Ursprung auf die ein 
fache und doch so tiefe menschliche Erkennt 
nis zurück, die zu allen Zeiten die Gerechten 
zu verbinden vermochte, und die der Ausgangs 
punkt der christlichen Lehre überhaupt iäti 
Daß der Mensch seinem Nächsten dienen und 
ihm helfen soll. Darum ist letzter Zweck einer 
echten Genossenschaft nicht der Verdienst, son 
dern der Dienst. Darüki liegt der entscheidend« 
Unterschied. 
Daß solche, aus dem Gemeinschaftssinn ge 
borenen genossenschaftlichen Gebilde sich in ei 
ner etwas anderen Geistesrichtung bewegen ab 
die übrige freie Wirtschaft, liegt in ihren We- 
eensunterschieden. begründet. Das soll und darf 
aber beide Teile nicht daran hindern, auf ihre 
Art einträchtig und in gegenseitiger Achtung 
nebeneinander zu bestehen und nützlich« Glie 
der unserer Wirtschaft zu sein. 
Albert Kiefer
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.