Full text: 1953 (0008)

Saarbrücken 
& Jahrgang 
Juli 1953 
Nummer 9 
ORGAN OER EINHEITSGEWERHSEHRETEN DER ARBEITER, ANGESTELLTEN UND RERIRTEN 
Um den gerechten Anteil am Sozialprodukt 
Unerfüllte Wünsche der Arbeitnehmerschaft 
In der privaten Wirtschaft wie im öf 
fentlichen Dienst kämpft zur Zeit die 
Arbeitnehmerschaft um höhere Löhne und 
Gehälter. Zuletzt wurde in der Metall 
industrie die Forderung auf eine 10 o/ 0 ige 
Lohn- und Gehaltserhöhung erhoben. Der 
Industrieverband der Fabrikarbeiter stellt 
fest (siehe an anderer Stelle dieser Num 
mer), daß der gesetzliche Mindeststunden - 
lohn in keiner Weise mehr den heutigen 
Lebensverhältnissen entspricht und ver 
langt entsprechende Neufestsetzung. 
Alle diese Forderungen resultieren aus 
dem berechtigten Wunsche der Arbeit 
nehmerschaft, ein menschenwürdiges Da 
sein führen zu können und den gerech 
ten Anteil am Sozialprodukt zu erhalten. 
Der gesetzliche Mindeststundenlohn 1 Er 
«oll — so verstehen wir ihn jedenfalls 
— die unterste Grenze der Arbeitsein 
kommen darstellen, das heißt also, das 
Existenzminimum gewährleisten. Ganz 
abgesehen von der unerfreulichen Tat 
sache, daß im Saarland eine ganze Reihe 
von Arbeitnehmern noch unter diesem 
längst überholten Existenzminimum be 
zahlt wird, müssen wir feststellen, daß 
der Mindest-Stundenlohn den tatsächli 
chen Verhältnissen bei weitem nicht ent- 
»pricht. 
Wenn man den bestimmt nicht üppig 
f |cfiillten Warenkorb von 1938 zugrunde 
egt, nach dem die Indices der Lebens 
haltungskosten auf der Basis Januar 1948 
t 100 berechnet werden, so kommt man 
zu einem Mindestbedarf für die 5- 
köpfige Familie von rund 36 000.— Fr. 
monatlich, das heißt aber mit anderen 
,,Der vom 4. bis 11. Juni 1953 in 
Stockholm tagende dritte Weltkongreß 
des Internationalen Bundes Freier Ge 
werkschaften erklärt nach Anhören ei 
nes Augenzeugenberichtes von Vertre 
tern der ostberliner Arbeiterschaft über 
den spontanen Ausbruch der Volkswut 
£egen die in Ost-Berlin und der Sow 
jetzone Deutschlands herrschende Ty 
rannei und Ausbeutung, daß der Zu 
sammenbruch der Regierungsgewalt in 
der Sowjetzone Deutschland über alle 
Zweifel klargestellt hat, wie diese an 
gebliche Volksregierung durch die vofi 
den Kommunisten gelenkten „Gewerk 
schaften“ unterstützt und getragen wird 
und wie sie bei den Massen verhaßt 
ist und nur Dank der Sowjetarmee an 
der Macht gehalten wird. 
Der Kongreß unterstreicht, daß der 
spontane Aufstand der Arbeiter in Ost- 
Berlin und der Sowjetzonc in offener Zu 
rückweisung der Bedingungen erfolgte, 
die von der sowjethörigen Regierung im 
Einverständnis mit den kommunistischen 
Marionettengewerkschaften für die Ar 
beiter festgelegt wurden. Diese soge 
nannten Gewerkschaften wurden den Ar 
beitern als Mittel zu ihrer Unterdrückung 
aufgezwungen und haben sich in blinder 
Verteidigung ihrer Gebieter im entschei 
denden Augenblick gegen die freie Ar 
beiterschaft gewandt. 
Der Kongreß ist entrüstet darüber, daß 
sowjetische Panzer und Gewehre gegen 
die Arbeiter gerichtet wurden, um ihren 
aktiven Widerstand zu brechen. 
Er ehrt die dem kommunistischen Ter 
ror zum Opfer gefallenen Arbeiter, die 
gleich Tausenden vor ihnen ihr Leben 
gaben im Kampf gegen Unterdrücker 
und Ausbeuter. 
. Er grüßt die deutschen Arbeiter, die 
m der ersten Tradition des Freiheits- 
kampfes der Werktätigen so mutig gegen 
die ihnen aufgezwungene Tyrannei aufge 
standen sind und nicht gezögert haben, 
unter Einsatz ihres Lebens den Maschi 
nengewehren und Panzern der Sowjet 
armee Trotz zu bieten. 
Der Kongreß stellt fest, daß die Ar 
beiter aufs neue bewiesen haben, daß 
Worten, daß unter Berücksichtigung der 
Familienzulagen ein Netto-Einkommen 
von 26 200.— Fr. monatlich garantiert 
sein müßte; um überhaupt den Lebens 
unterhalt fristen zu können. Der geset- 
liche Mindeststundenlohn von 96,25 Fr. 
entspricht aber bei 48stündiger wöchent 
licher Arbeitszeit lediglich einem Mo 
natseinkommen von 20854.“ Fr; brutto, 
das — wir müssen es nochmals betonen 
— von einer Reihe von Arbeitnehmern 
nicht einmal bezogen wird; 
Abgesehen von wenigen Ausnahmen 
wird ein Nettoeinkommen von 26 200.— 
Fr. in den Effektivlöhnen nur erreicht 
durch Ableistung von Ueberstunden und 
übermäßige Beanspruchung auf dem Ar 
beitsplatz, ist jedenfalls durch die der 
zeit geltenden Tariflöhne nur für Spit 
zengruppen gewährleistet. So kann bei 
spielsweise bei normaler Arbeitszeit in 
der eisenschaffenden Industrie, die unter 
den Industriezweigen mit an vorderster 
Stelle rangiert, erst der Facharbeiter 2. 
Stufe (F 2) durch seinen Tariflohn die 
sen Betrag gerade überschreiten, wäh 
rend alle andern Gruppen in Gefahr 
laufen, bei Rückgang der Produktion un 
ter das tatsächliche Existenzminimum 
(26 200.— Fr.) herabzusirtken. 
Gewiß, die Effektiv-Löhne liegen hö 
her — ein sehr großer Teil auch nicht 
—. aber wir haben ja inzwischen fest 
gestellt, wie rapide diese bei der gering 
sten rückläufigen Konjunkturbewegung 
herabsinken, während man nicht daran 
dachte, die Arbeitnehmerschaft in 
sie die Vorhut der für Freiheit und De 
mokratie kämpfenden Kräfte sind. 
Er bringt seine Ueberzeugung zum 
Ausdruck, daß — wie die Ereignisse 
in Ost-Berlin und in der Sowjetzone und 
die ähnlichen Ausbrüche aktiven Wider 
standes in der Tchechoslowakei gezeigt 
haben — selbst der grausamste Terror 
die Verbundenheit der freien Arbeiter 
der demokratischen Länder mit ihren 
Brüdern in den Ländern hinter dem 
Eisernen Vorhang nicht brechen kann.’ 
Der Kongreß fordert im Interesse des 
Weltfriedens die Wiederherstellung der 
Einheit Deutschlands auf der Grundlage 
freier, gesamtdeutscher Wahlen. 
Der Kongreß gelobt im Namen der 
54 Millionen Arbeiter in den Reihen der 
freien Gewerkschaftsbewegung der Welt 
umumschränkte dauernde Solidarität mit 
den tapferen Arbeitern Ost-Berlins und 
der Sowjetzone Deutschlands. 
Der Kongreß fordert alle angeschlos- 
senen Organisationen des IBFG auf, ihre 
Mitglieder für praktische Bemühungen u.' 
Aktionen zu gewinnen, um für dieses Ver 
sprechen der Solidarität moralische und 
finanzielle Unterstützung aufzubringen, 
mit der den Opfern und Flüchtlingen der 
sowjetischen Tyrannei sichtbar geholfen 
werden kann: 
Der Kongreß erklärt, daß der 17. Juni 
1953, der Tag des spontanen Aufstandes 
der deutschen Arbeiter gegen die sow 
jetischen Tyrannen und gegen die kom 
munistisch gelenkten Gewerkschaften stets 
ein leuchtendes Symbol für die Entschlos 
senheit der Arbeiterschaft in alles Welt 
sein wird, sich niemals der Tyrannei zu 
beugen und alles für den Gewinn der 
Freiheit einzusetzen! 
Der Kongreß verneigt sich von dem Mut 
und Heldentum dieser Arbeiter und bringt 
die unerschütterliche Entschlossenheit des 
des IBFG zum Ausdruck; unablässig auf 
Herbeiführung des Tages hinzuarbeiten, 
an dem die Menschen überall mit uns 
den vollen Genuß von Brot, Frieden und 
Freiheit teilen können.* 
gebührendem Maße am Wirtschaft«- 
aufschwung zu beteiligen (siehe auch 
„Entwicklung der Produktion und Lohn- 
summen“ in Nr. 7 der Arbeit von Mai 
1953). Was ist also naheliegender, als daß 
die Gewerkschaften den Wünschen der 
Arbeitnehmer Rechnung tragen und ihre 
Lohnforderungen, die sie bereits im Jahre 
1952 gestellt hatten; wiederholen; 
Was wir wollen, ist eine Festlegung 
von Tariflöhnen, die dem Arbeitnehmer 
eirt menschenwürdiges Auskommen ga 
rantieren und ihn nicht in Gefahr brin 
gen, daß jeder Konjunkturrückschlag auf 
seine Schultern abgelastet wird, zumal 
wir nicht daran zweifeln, daß höhere 
Löhne von dem größten Teil der Wirt 
schaft verkraftet werden können, ohne 
daß «ich dabei die Preisschere öffnen 
muß: 
Nun; wir kennen die Taktik der Ar 
beitgeber nur zu genau, im Konjunk 
turaufschwung gestellte Lohn- und Ge 
haltsforderungen zu verschleppen, um 
dann beim Abklingen der Konjunktur 
zu behaupten; die Forderungen der Ge 
werkschaften seien übersetzt. Wir wis 
sen, daß man uns auch jetzt wieder 
dieses Argument entgegenhalten wird und 
— auch darüber hegen wir keinen Zwei 
fel —’ versuchen wird, die Forderungen 
der Gewerkschaften kategorisch abzu- 
lehnen. Auf der andern Seite ist man 
jedoch nicht bereit, wenn man über 
schlechten Geschäftsgang klagt, die Kar 
ten offen auf den Tisch zu legen, wo 
durch doch manches Mißverständnis (?) 
der Gewerkschaften bezw. der Arbeit 
nehmer von vorneherein ausgeräumt wer 
den könnte: 
Solange man sich zu diesem Spiel mit 
offenen Karten nicht bequemen wird, 
solange man sich weigern wird, dem 
Arbeitnehmer in der Wirtschaft den ge 
bührenden Platz der Mitbestimmung ein 
zuräumen; wird man sich gefallen lassen 
müssen, daß die Gewerkschaften ihre 
Forderungen in erster Linie nach dem 
Lebensbedarf der Arbeitnehmerschaft aus- 
richten; daß sie jedenfalls nicht daran 
denken werden; ihre Forderungen zu 
rückzuschrauben; solange nicht der Be 
weis erbracht ist, daß die Höhe der 
Lohn- und Gehaltsforderungen nicht der 
Steigerung der Produktivität entspricht. 
In diesem Zusammenhang bedauern 
wir ganz außerordentlich, daß der Land 
tag wieder einmal in Ferien geht, ohne 
daß das Betriebsrätegesetz zur Verab 
schiedung gekommen ist. Auch hier hätte 
man von staatswegen das Seine dazu 
beitragen können, daß die Arbeitnehmer 
schaft in echter Mitbestimmung und da 
mit auch Mitverantwortung sich eng- 
stens nach den Bedürfnissen der Wirt 
schaft ausgerichtet hätte. Solange dieser 
Zustand nicht erreicht wird, wird er 
ster Maßstab für alle Forderungen der 
wirkliche Lebensbedarf der Bevölkerung 
sein und nicht eine Zahlenrelation (In 
dex der Lebenshaltungskosten) die zwar 
die Entwicklung angibt, aber nichts über 
den tatsächlichen Bedarf des schaffen 
den Menschen aussagt: 
Erhöhung der Grundgehälter im 
öffentlichen Dienst 
Wie wir nach Redaktionsschluß 
erfahren, hat der Landtag soeben 
beschlossen, den Beamten die bis 
her zur Sicherung des Pensionsan 
spruches eijibehaltcnen 6 °/o vom 
Grundgehalt mit Wirkung vom 1. 
Januar 1953 auszuzahlen. 
Die Angestelltengehälter werden 
die gleiche Aufbesserung erfahren, 
Die Löhne für die Arbeiter im öf 
fentlichen Dienst sollen den Ge 
hältern angeglichen werden. 
Näheres bitten wir den Ver 
bandsorganen der Einheitsgewerk 
schaft zu entnehmen, die in den 
nächsten Tagen erscheinen wer 
den. 
M.ehc Aktivität! 
„Die Gewerkschaften tun ja nichts!" 
Das ist das Schlagwort aller Beitrags- 
scheuen und Unorganisierten. Man 
schimpft, daß das Lohnniveau schlecht, 
ist, daß der Erholungsurlaub zu gering 
ist, daß das Kündigungsschutzgesetz noch 
nicht erlassen ist, das Betriebsrätegesetz 
zu keinem Abschluß kommt usw. Dabei 
vergessen die Schimpfenden, daß, wenn 
es nach ihrer Tätigkeit ginge, wir sehr 
wahrscheinlich heute noch in Höhlen 
wohnen würden. Das, was wir haben, 
ist uns Gewerkschaften auch zu wenig. 
Wir haben stets unsere Wünsche und 
Forderungen und stellen diese offen her 
aus. Aber Wünsche und Forderungen blei 
ben Angelegenheit des einzelnen, wenn 
sich keine Kraft findet, die dieselben 
verwirklicht. Die Gewerkschaften haben 
nur soviel Macht, als die Arbeitnehmer 
schaft ihnen gibt. Jeder Unorganisierte, 
mag er sich noch so revolutionär ge 
bärden, schimpfen und toben, er wird 
niemals ein Kämpfer für den kulturel 
len Fortschritt der Arbeitnehmerschaft 
sein. Alles was bisher erreicht wurde, 
ist Kollektivleistung, d. h. es waren im 
mer eine Anzahl Menschen, die ihr Be 
streben auf ein bestimmtes Ziel gerich 
tet haben und durch ihr gewerkschaftli 
ches oder politisches Gewicht das er 
reicht haben, was wir heute als Rea 
lität feststellen. 
Diese geschichtliche Erkenntnis ist bei 
unserer Saararbeitnehmerschaft noch sehr 
mangelhaft vorhanden. Soviele glauben 
noch, daß Schimpfen und Räsonieren der 
Inbegriff aller gewerkschaftlichen Ar 
beit sei. Diejenigen, die nur schimpfen 
tun das meistens, weil sie über die Zu 
sammenhänge der Dinge garnichts wis 
sen, oder schlecht informiert, meistens 
falsch informiert sind. Eis ist noch lange 
nicht so, daß die Gewerkschaftsleitung 
einfach ihre Forderungen bei den Ar 
beitgebern bzw. bei der Regierung an 
zumelden hätte und dann die Erfüllung 
dieser Forderungen oder Wünsche un 
verzüglich vor sich gehen würde. 
Das Recht der Kritik über das Aus 
bleiben einer Lohnerhöhung bzw. bes 
seren Urlaubsregelung steht nur einer 
Gruppe zu,' das sind die organisierten 
Kollegen! Grundsätzlich sei hier noch 
einmal gesagt, Aufträge übernimmt die 
Gewerkschaftsleitung von organisierten 
Kollegen und Rechenschaft gibt sie eben 
falls nur den organisierten Kollegen. Al 
len Beitragsscheuen können wir das 
Schimpfen nicht verbieten, aber bei einem 
geringen Maß von persönlichem Anstand 
würden sie schweigen, und wenn sie noch 
eine weitere menschliche Tugend hätten; 
würden sie sich schämen, daß sie bei 
seite stehen und spekulieren auf das 
Opfer ihrer Kollegen! Die schwierigen 
Probleme; die Vertretung der Arbeitneh 
mer gegenüber dem Unternehmer und 
seinen Vertretern; überlassen sie wohl 
weislich den anderen. Wenn es biswei 
len um ihr ureigenes Interesse geht, 
werden sie auf einmal munter und raffen 
sich vorübergehend zu etwas Aktivität 
auf. Aber meistens nur so lange, bis das 
Ziel; das sie sich gesteckt haben, für sie 
selbst erreicht ist. 
Wir können noch anerkennen, wenn der 
einzelne Arbeiter den Mut hat, wenig 
stens seine persönlichen Interessen im 
Betrieb zu vertreten. Aber das wird er 
nur dann erfolgreich tun können, wenn 
rechts und links von ihm Kameraden 
stehen, die ihn dabei wirksam unterstüt 
zen. 
Wir haben Betriebe an der Saar, die 
kaum organisiert sind, aber wie sieht es 
dort aus! Welchen Schutz haben die Ar 
beitnehmer, wenn sie einmal mit einem 
Vorgesetzten in Kollision kommen oder 
bei der Betriebsleitung in Ungnade fal 
len. Die Kollegen sind restlos der Will 
kür der Direktion ausgeliefcrt und die 
Arbeitsdisziplin erinnert noch gewisser 
maßen an die Hilger-Stumm-Zeiten. wo 
der Arbeitnehmer vollständig rechtlos im 
Betrieb w T ar. Daran ändert auch nichts, 
wenn der Arbeitgeber 1 oder 2 mal im 
Jahr seine Betriebsfeier aufzieht, bei der 
es Bier, Rippchen, Zigarren und Zigaret 
ten gibt. Fest steht eins, daß in den 300 
Arbeitstagen des Jahres diese Arbeitge 
ber das kleine Präsent hundertfach her 
ausholen. 
Mit den Arbeitern der Ostzone solidarisch 
Resolution des IBFG. zum 17. uni 1953
	        
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